Man könnte meinen, EU-Kommissar Günther Oettinger (das ist der mit dem lustigen Englisch) ist unter die Kommunikationsguerill@s gegangen. Bereits bei seiner Antrittsrede 2010 als EU-Kommissar für Energie-, Strom- und so Zeug gab er sich größte Mühe, mit seiner mittlerweile legendären englischen Rede mittels unverständlicher Sätze in unverständlichem Englisch das Vertrauen der Bürger*innen in ihre Regierung mittels subversiver Formsprache zu zerlegen. Wer das für Zufall hält, wurde am Ende der Rede eines besseren belehrt: Dort forderte Günni Oettinger ganz offen: „(…) we have all chances to bringt Anarchy on a good way.“ (ab Minute 1:35 im Video). Und nun tritt er vor dem Hamburger Reeder*innen-Verein mit einer latent verstörenden Rede auf, die aus dem Repertoire der Yesmen entnommen sein könnte.
Einschleimen mit „Schlitzaugen“
Um sein Publikum gewogen zu machen, witzelt er zuerst über „Schlitzaugen“, albert über die Frauenquote herum und zeigt sehr zum Verständnis seiner greisen Hörer*innenschaft große Bewunderung für die schlanken Entscheidungswege der chinesischen Diktatur im Vergleich zur EU. Dem so eingestimmten Publikum lässt er nun die Hose runter: Unter dem Thema „Regierungskunst“ hetzt er heftigst in übelster Populist*innenmanier gegen den Sozialstaat. Mit der unwahren Ansage, das „Frau Nahles“ das Renteneintrittsalter wieder auf 61 Jahre senken wolle, begründet er im folgenden eine gnadenlose Tirade gegen den Sozialstaat, in dem angeblich die Leute bis Mitte 20 zur Schule gingen, um dann bis zur Rente zu studieren: „In der Mathematik ist Minus mal Minus Plus. In der Rentenkasse ist Minus plus Minus Minus“.
Das Publikum lacht und klatscht
Und alle im Publikum finden es toll. Rassismus, Sexismus, ein diffuses Bedrohungsgefühl, dass in krassen Sozialrassismus gegen nicht so reiche Leute wie EU-Kommisar*innen und Reeder*innen umschlägt und sich in einer verschwörungstheoretischen Sicht auf die Welt versteift. Deutlicher könnten Kommunikationsguerill@s die Repräsentant*innen des Hamburger Bürger*innentums gar nicht vorführen und aufzeigen, wie selbstverständlich rechtsextremes Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft ist.
Dem linksliberalen Bürger*innentum den Spiegel vorhalten?
Aber Oetti, der heimliche Kommunikations-Guerillero, zeigt hält auch dem linksliberalen freitag-, taz- oder süddeutsche lesendem Bürger*innentum den Spiegel vor. Denn dort regt sich grade alles über EU-Kommissar Oettingers Rassismus und Sexismus auf. Aber hey: Was erwartet ihr von jemanden, der Nazi-Justiz-Mörder zu „Widerstandskämpfern“ umdeutet? Folgt man Max Horkheimers Theorien zum autoritären Charakter, dann sind Rassismus und Sexismus Einstellungssyndrome, die in Bündeln vorkommen. Und dann ist es überhaupt nicht überraschend, das ein autoritärer Charakter wie Oetti, der mordende Nazi-Jurist*innen verklärt, sich auch rassistisch und sexistisch äußert.
Armut ist nicht sexy
Was aber viel problematischer ist, als das dumme Gequatsche eines alten verwirrten weißen Mannes, der sich in der Zeit nicht mehr zurecht findet und nur durch den Job bei der EU vor dem Pflegeheim bewahrt wird, ist, dass sich all die Leute, die sich zurecht über den Rassismus und den Sexismus aufregen, überhaupt nicht für den Rest der Rede, die vom reichen weißen Reeder*innenpuplikum in Hamburg durchweg positiv aufgenommen wurde, interessieren. Und dass, obwohl diese Rede mit ihren krassen Forderung nach sozialem Kahlschlag und ihrer Bewunderung für die chinesische Kapitalismus-Diktatur eine einzige Kampfansage im Klassenkampf von oben ist. Aber da schaut die ganze linksliberale Journaille des Landes lieber weg… Mit dem hässlichen Fakt, das in diesem Land die oberen 5% der Bevölkerung über 64% des Eigentums verfügen, während die unteren 50% mit 0,4% des Eigentums auskommen müssen, will man sich im Hedo-Hipster-Land lieber nicht beschäfftigen. Den Armut ist nicht sexy.
Mehr Infos:
Was ist Kommunikationsguerilla?
http://www.maqui.blogsport.eu/2016/06/16/was-ist-kommunikationsguerilla/
Kommunikations-Guerilla-Analyse:
http://www.maqui.blogsport.eu/kommunikationsguerilla-analyse/
Polizeigewalt und Demokratie:
http://www.maqui.blogsport.eu/2016/02/21/polizei-gewalt-als-teil-der-demokratie/