Erst töten, dann feiern: So haben es offenbar die Massenmörder im Konzentrationslager Auschwitz gehalten. Ein Fotoalbum, das unter anderem der Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, Stefan Hördler, herausgegeben hat, zeigt die Täter in ihrer Freizeit abseits der Mordaktionen.
Es klingt wie aus einem Krimi: Ein Mann wertet in jahrelanger Kleinstarbeit über 100 für verschollen geglaubte Privatfotografien aus. Er kennt weder die Daten der Bilder noch die Namen der abgebildeten Personen. Um an die Informationen zu kommen, die er benötigt, muss er akribisch zu Werke gehen – Foto um Foto genau untersuchen, mit anderen Abbildungen abgleichen, Akten durchforsten. Es ist eine mühsame Arbeit, aber sie lohnt sich.
Stefan Hördler, Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, hat diese Anstrengungen auf sich genommen. Er kam über einen ehemaligen US-Soldaten an insgesamt 116 Fotos, die allesamt von Karl Höcker stammen, dem Adjutanten des letzten Lagerkommandanten von Auschwitz. Die Aufnahmen waren mehr als 60 Jahre im Besitz des Amerikaners. Erst 2006 hat er sie für Forschungszwecke übergeben. Hördler hat die Fotos kritisch analysiert, datiert und die abgebildeten Personen benannt. Dafür ging er nach eigener Aussage die Gesichter durch und glich diese mit anderen Bildern ab. Herausgekommen ist am Ende ein beeindruckendes und zugleich bedrückendes Werk über die Massenmörder von Auschwitz.
Die Elite des Grauens im „Alltag“
Das Besondere am „Höcker-Album“ ist, dass es die Belegschaft im größten aller Vernichtungslager abseits der Tötungsaktionen zeigt. Von falscher Harmlosigkeit erfüllt, illustriert es die Mörder und ihre Helfershelfer bei Ausflügen, in ausgelassener Stimmung, bei Geselligkeit und Entspannung. Abgebildet sind unter anderem der Auschwitz-Kommandant Richard Baer, sein Vorvorgänger Rudolf Höß und Lagerarzt Josef Mengele.
Zu den Bildern gehört eine Gruppenaufnahme, die vermutlich am 15. Juli 1944 auf einem feierlichen Treffen von über 70 Männern zum Abschluss der sogenannten „Ungarn-Aktion“ entstand. Jenem Massenmord, dem mehrere hunderttausend ungarische Juden zum Opfer gefallen waren. Die Männer auf dem Foto stehen vor einem Erholungsheim. Sie wirken gut gelaunt, während sie der Musik eines Ziehharmonikaspielers lauschen.
Eine ganz wichtige historische Quelle
In der ZDF-Talkshow Markus Lanz hat Hördler kürzlich über seine Erkenntnisse gesprochen. Die Bilder seien die einzigen bekannten Quellen, die derartige Zusammenkünfte und das anwesende KZ-Personal zeigten, erklärte der Historiker. Die Fotos belegten zudem, dass in Auschwitz NS-Leute anwesend waren, die in offiziellen Personalakten gar nicht auftauchten oder „nominell nie dort waren“. Das erschwerte später eine Strafverfolgung. Und noch etwas hat Hördler herausgefunden: Es sei mitnichten so gewesen, dass der kleine Buchhalter im stillen Kämmerchen saß. Diese Leute seien vielmehr überall eingesetzt worden und „taten durchaus auch Dienst an der Rampe“, hieß es in der Sendung.
Das KZ Auschwitz wurde am 18. Januar 1945 größtenteils geräumt. Die meisten Gefangenen wurden in Todesmärschen westwärts getrieben. Baer und Höcker flohen nach Mitteldeutschland und übernahmen das Kommando im KZ Mittelbau-Dora. Das nördlich von Nordhausen (Thüringen) gelegene Lager wurde am 11. April 1945 durch die US-Armee befreit. Heute dienen das Gelände und die Stollen als europäischer Lern- und Gedächtnisort.
Von Matthias Klöppel