»Antifa gehört heute zum guten Ton«

Autonomen-Demo 1994. Zu der Zeit war das Tragen von Helmen auf Demonstrationen noch legal
Erstveröffentlicht: 
07.10.2016

Damals, um 1977, als sich die Autonomen erstmals formierten, etablierten sich auch die neuen Neonazis. Die davor waren eher so NPD mit Schlips und Kragen, aber die Neuen traten mit Wehrsportgruppen und Uniformen auf, sehr aggressiv.

In meiner Heimatstadt in Niedersachsen gründete sich ein antifaschistischer Arbeitskreis. Es war die Zeit des Kalten Krieges, als Antifaschisten noch außerhalb des politischen Konsens standen. So war dieser Arbeitskreis ein Sammelbecken von Anarchisten, Kommunisten und Jugendlichen, die nirgendwo reinpassten, so wie ich. Ich bin direkt am Grenzzaun großgeworden, und der Kommunismus der DDR war nicht die Gesellschaft, die ich mir vorstellte. Ich habe mich dann bei den Autonomen einsortiert, das waren die Leute meiner Generation, ein antiautoritärer militanter Haufen. Eine Bewegung, man zählte sich einfach dazu.


Was tun wenn’s brennt?

Zu den Hochburgen der Autonomen zählte West-Berlin. Ich war oft in der Stadt, so auch, als am 11. Juni 1982 gegen den Besuch von US-Präsident Ronald Reagan demonstriert werden sollte. Demo-Treffpunkt war der Nollendorfplatz. Als ich die U-Bahn verließ, erwartet mich eine atemberaubende Atmosphäre. Es war ein Rauschen zu hören, ähnlicher einer Meeresbrandung. Das Geräusch erzeugten Hunderte Menschen, die Pflastersteine ausgegraben hatten, die sie rhythmisch zusammenschlugen. 4.000 Menschen waren von der Polizei auf dem Nollendorfplatz eingekesselt. Viele trugen schwarze Lederjacken und hatten Sturmhauben über die Gesichter gezogen, es gab auch etliche mit Helmen. Es war klar, hier würde es gleich ziemlich heftig knallen. Ringsum waren Hundertschaften mit Wasserwerfern aufmarschiert, sie standen hinter fest im Boden verankerten Natodrahtrollen, es sollte kein Entkommen geben. Dann schoss die Polizei erste Tränengasgranaten in die Menge, die meisten wurden zurückgeworfen.

Wir waren an der Motzstraße, vor uns standen Hundertschaften mit Schilden, dahinter Wasserwerfer. Da formierten sich über die gesamte Straßenbreite mehrere Reihen von Schwarzvermummten, dicht an dicht, von Haus zu Haus, eingehakt, die dann langsam auf die Polizei zugingen. Auf den letzten Metern rief jemand etwas und plötzlich holten die Autonomen Schlagstöcke aus den Jacken und drauf ging es, hart auf hart, wie im Mittelalter mit Schilden und Helmen. Die Bullen haben auch ausgeteilt, ab und zu ist ein Autonomer weggesackt, hier war kein Durchkommen.

An einer anderen Stelle war ein Möbelhaus, da haben einige Aktivisten die Scheiben eingeschlagen und Teppiche rausgeholt, über die Natodrahtrollen geworfen und darüber folgte dann ein Angriff auf die Polizei, auf die gleichzeitig ein unglaublicher Steinhagel niederprasselte. Die Polizisten gerieten in Panik, rannten zu ihren Wannen – wir waren durchgebrochen, das war unglaublich! Zwischen Nollendorf- und Winterfeldtplatz war kein Polizist mehr zu sehen. Da stand eine verlassene Wanne, die wurde umgekippt und abgefackelt. Später gab es davon ein Plakat mit der Aufschrift „Was tun wenn’s brennt?“.

Die autonome Bewegung war breit, da ging es um Häuserkampf, Anti-AKW-Kampf, Startbahn West und eben auch Antifaschismus. Die Antifa-Fraktion war noch klein, aber gut organisiert. Wir haben den Nazis das Leben ganz schön schwer gemacht. Es gab viele Anschläge, Fahrzeugparks von Wehrsportgruppen gingen in Flammen auf und solche Aktionen. Das Problem war nur, dass unserer klandestinen Organisierung der politische Arm fehlte. Es gab keine Sprecher, die Flugblätter hatten kein Impressum, man konnte sich nirgendwo hinwenden, also konnte man auch nicht politisch arbeiten, Bündnisse mit anderen politischen Gruppierungen eingehen, es ging ausschließlich um die Konfrontation. Einen Ausweg bot die erste Bündnis-Demonstration 1988, wo Grüne und DGB und alle möglichen mitmachten. 2.000 Menschen sind zum Haus eines Nazis gegangen, angeführt vom Schwarzen Block. Aber es war klar: Wir greifen das Haus nicht an. Das wurde von vielen Autonomen als Verrat angesehen und die Bündnispolitik daraufhin von ihnen bekämpft.

Das Ende einer Ära

Mit dem Fall der Mauer kam diese riesige nationalistische und rassistische Welle, begleitet von einer bislang nicht gekannten Gewalt. Jetzt wurde Antifaschismus zum überragenden Thema und wandelte sich zu einer Bewegung. In diesem Zusammenhang gab es Versuche einer bundesweiten Organisierung. Aber das ist vorbei. Heute würde ich nicht mehr von einer Antifa-Bewegung sondern von einer Antifa-Szene sprechen. Vieles hat sich geändert. So hat man die Antifa früher nur mit der Pinzette angefasst, heute gehört das Thema zum guten Ton und staatstragende Kräfte mischen sich gern bei Anti-Nazi-Aktionen ein – zumindest so lange es friedlich bleibt.

Ich meine, dass die Antifa insgesamt erfolgreich war, denn wir hatten entscheidenden Anteil daran, dass der Nazi-Bewegung der Weg versperrt wurde. Das kann man natürlich nicht allein auf die Antifa zurückführen, trotzdem sieht es in der BRD doch noch etwas anders aus als in anderen europäischen Ländern, in denen Rechtsradikale ganz selbstverständlich in Parlamenten sitzen oder Regierungen entsprechende Positionen vertreten.

Nach wie vor versuche ich mein Möglichstes, den Funken weiterzuverfolgen, weil ich natürlich nicht einverstanden bin mit dem wie es läuft, und grundsätzlich die Parole „Keine Macht für Niemand“ richtig finde. Ich trete als Redner in Erscheinung, schreibe Bücher oder ziehe als linksradikaler Wanderprediger durch die Gegend. Natürlich kenne ich frustrierende Momente, aber ich stelle den Kampf nicht grundsätzlich in Frage.