Zwei Jahre nach dem Entstehen der islamfeindlichen Pegida-Bewegung haben am Sonntag Tausende Anhänger in Dresden demonstriert. Der Gegenprotest beschränkte sich auf einige Hundert. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz, um Zusammenstöße wie vor einem Jahr zu verhindern. Ärger gibt es um ein Polizeivideo.
Das islam- und fremdenfeindliche Pegida-Bündnis hat bei einer Kundgebung zu seinem zweijährigen Bestehen am Sonntag in Dresden nach Schätzungen etwa 7.500 Menschen auf die Straße gebracht. Die Forschungsgruppe "Durchgezählt" spricht von 6.500 bis 8.500 Teilnehmern. Im vergangenen Jahr waren es rund 20.000 Menschen.
Elsässer: "Wir wollen die Macht"
Als Redner traten auf dem symbolträchtigen Theaterplatz vor der
Semperoper unter anderem der Österreich-Chef der in Deutschland vom
Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung, Martin Sellner, der
Chefredakteur des neu-rechten "Compact"-Magazins, Jürgen Elsässer, und
der Bundesvorsitzende der rechtspopulistischen Kleinpartei "Die
Freiheit", Michael Stürzenberger, auf. Unter "Merkel muss weg"- und
"Volksverräter"-Rufen wurde die Bundesregierung wegen der
Flüchtlingspolitik attackiert und ein Stopp der Zuwanderung gefordert.
Elsässer
erklärte auf der knapp dreistündigen Veranstaltung: "Es reicht uns
nicht, wenn die AfD 2017 in den Bundestag kommt. Wir wollen die Macht!"
Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt erklärte dazu in der
ARD: "Die AfD ist der parlamentarische Arm dessen, was Pegida auf der
Straße tut. Und obendrein hat sich die deutsche Politik in die Richtung
entwickelt, die Pegida eingefordert hat. Aber nicht wegen Pegida,
sondern wegen der realen Probleme."
Rene Jahn, Mitbegründer der
Pegida-Bewegung in Dresden, hat sich zwar längst vom Organisatorenteam
distanziert, dennoch verteidigt er diese Art des Protestes. Dies sei
eine Möglichkeit, öffentlich auf die Sorgen und Nöte der Menschen
aufmerksam zu machen, so der Dresdner Kleinunternehmer: "Ich bin nicht
der Meinung, dass es sich hier um eine Häufung von Rechtsradikalen
handelt. Es ist der falsche Weg, auf Pegida einzuschlagen."
Ursprünglich wollte Pegida die Kundgebung am Montag abhalten. Da vor der Semperoper aber bereits eine Gegendemonstration angemeldet war, wurde die Jubiläumsveranstaltung auf Sonntag vorverlegt.
Die Polizei, die mit 1.700 Beamten aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Thüringen sowie der Bundespolizei im Einsatz war, hat beide Lager konsequent getrennt. "Alle Versammlungen verliefen friedlich", hieß es am Abend von der Polizeidirektion Dresden. Dennoch seien mehrere Strafverfahren eingeleitet worden: zwei wegen des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen, jeweils eine wegen Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung sowie zwei wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.
(Kein) Protest in Hör- und Sichtweite
An den Gegenprotesten beteiligten sich Schätzungen zufolge insgesamt 500
Menschen. Für Unmut bei den Pegida-Gegnern sorgte im Vorfeld des
Protests am Sonntag, dass ihnen nur Plätze zugewiesen wurden, außerhalb
der Hör- und Sichtweite zu der Pegida-Kundgebung. So hatte
beispielsweise die Initiative Nope eine Protestaktion auf dem
Schloßplatz oder einem Teil des Theaterplatzes angemeldet. Die Stadt
untersagte dies zunächst und bot stattdessen den Neumarkt an. Gegen
Sonntagmittag wurde die Kundgebung dann doch genehmigt.
Eine
Mahnwache an den Stolpersteinen auf dem Schloßplatz sowie eine
Kundgebung auf der Sophienstraße waren zuvor schon untersagt worden.
Protestverbot wegen islamistischer Anschlagsgefahr?
Die Anmelderin der vier Gegenproteste zeigte sich auf Anfrage von MDR SACHSEN entsetzt über die telefonische Begründung des städtischen Ordnungsamtes, warum es den Protest am Theaterplatz und damit in Pegida-Nähe nicht zulässt. "Mir wurde gesagt, dass die Zufahrtswege wegen der Anschlagsgefahr freigehalten werden müssten". Auf die Frage, ob denn eine Anschlagsgefahr bestehe, sei ihr seitens der Stadt erklärt worden, Pegida sei ja gegen den Islam und damit gehe generell eine Anschlagsgefahr einher. Die Polizei Sachsen erklärte am Sonntag, es liege keine "KONKRETE Anschlagsgefahr" vor.
Weiteren Ärger gibt es um eine Videoaufnahme der Polizei Sachsen. Diese hatte vom Dach der Kathedrale versteckt den Gegenprotest gefilmt. Die Polizei erklärte auf Anfrage, der Beamte sei abgezogen worden, der Vorfall werde geprüft. Im sächsischen Versammlungsgesetz heißt es: "Die Polizei darf von Personen bei oder im Zusammenhang mit einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug Bild- und Tonaufnahmen nur offen und nur dann anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von diesen Personen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung ausgeht."
Auf Weisung der Einsatzltg. wurde der Beamte abgezogen. Der Einsatzleiter distanziert sich von dieser Maßnahme und wird diese prüfen lassen. https://t.co/U1oQNZUMc0
— Polizei Sachsen (@PolizeiSachsen) 16. Oktober 2016
Der Linken-Landtagsabgeordnete André Schollbach kritisierte die Entscheidungen der Stadtverwaltung: "Zum Pegida-Geburtstag rollt die Dresdner Versammlungsbehörde den Pegidisten einmal mehr den roten Teppich aus und verhindert Gegenprotest in Sicht- und Hörweite", teilte Schollbach am Sonnabend in Dresden mit. "Demgegenüber hatte die Dresdner Versammlungsbehörde offenbar keinerlei Probleme damit, am 3. Oktober wüste Beschimpfungen und Beleidigungen der Staatsgäste durch die Pegidisten zuzulassen."
Wir halten fest: Rechtes Gepöbel in unmittelbarer Nähe wird wohlwollend geduldet. Protest gegen rechte Umtriebe wird hunderte Meter weit weg verlegt.
André Schollbach Linke-Fraktionsvorsitzender im Dresdner Stadtrat
Der bürgerliche Gegenprotest ist für Montag geplant. Der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert lädt für den Nachmittag zu einem großen Bürgerfest auf den Neumarkt ein. Am Abend soll in der Frauenkirche der sächsische Bürgerpreis vergeben werden. Das Bündnis "Herz statt Hetze" plant parallel eine große Demonstration, die an zwei Orten in der Neustadt und an der TU Dresden beginnt und ihren Abschluss auf dem Theaterplatz vor der Semperoper findet. Erwartet werden dazu rund 5.000 Menschen. Danach wollen sich die Teilnehmer dem Bürgerfest anschließen.
Hilbert: Nicht von Pegida in Geiselhaft nehmen lassen
Hilbert hatte sich Anfang dieser Woche mit einer persönlichen Einladung an die Dresdner gewandt. Darin brachte er auch seine Verachtung für das Verhalten der Pegida-Anhänger am Tag der Deutschen Einheit in Dresden zum Ausdruck. Viele von ihnen hätten mit den Schmähungen und ihrem Hass gezeigt, dass sie Respekt und Achtung verloren hätten. "Und dabei geht es mir in erster Linie nicht nur um die Beleidigungen gegenüber der Bundeskanzlerin, dem Ministerpräsidenten oder mir", so Hilbert. Das sei Berufsrisiko. Doch Beschimpfungen gegen Menschen mit anderer Hautfarbe, anderen Religionen oder Meinungen könne er nicht ertragen. Es sei der Zeitpunkt gekommen, an dem sich die Dresdner fragen müssten, in welcher Stadt sie leben wollten.
"Wir dürfen unsere Stadt nicht in Geiselhaft von einer Gruppe wie Pegida nehmen lassen, die keinerlei konstruktiven Weg mehr beschreitet. Einer Gruppe, die keine Lösungen anbietet, kein Ziel verfolgt und deren Anführer sich in ihren zweifelhaften medialen Erfolgen feiern. Wir dürfen uns aber auch nicht in Sippenhaft nehmen lassen, für diese Krakeeler, deren Bilder um die Welt gehen. Wir müssen in der Lage sein, ein anderes Bild auszusenden.
Das Bündnis "Dresden nazifrei" nahm Hilbert beim Wort und forderte ihn auf, sich dem gemeinsamen Protest gegen Pegida anzuschließen. Zwar sei sein offizielles Bekenntnis sehr spät gekommen, kritisierten die Bündnis-Sprecher Franziska Fehst und Albrecht von der Lieth. Doch "Dresden nazifrei" stehe jeder Aktionsform offen, gemeinsam Pegida entgegenzutreten. Einen "Alibi-Protest, zeitlich und räumlich von Pegida getrennt", lehnen sie allerdings ab. "Folgen Sie den guten Beispielen Ihrer Kollegen in Leipzig, Jena oder aktuell Wetzlar und verteidigen Sie mit uns die Demokratie endlich da, wo sie tatsächlich jeden Montag angegriffen wird: auf den Straßen Dresdens", heißt es in einer Erklärung.
Wir freuen uns, dass OB Hilbert nach fast zwei Jahren rechtem Hass, Gewalt und Terror von Pegida auf Dresdens Straßen endlich zu der Erkenntnis gelangt ist, die wir schon im Dezember 2014 geäußert haben: Es kann keinen Dialog mit Rassist_innen geben! Schade aber, dass erst eine so lange Zeit vergehen musste, in der in Dresden so viel Schaden durch PEGIDA angerichtet werden konnte. Das hätte man alles auch viel früher und schneller erkennen können, statt jahrelang vergeblich und sinnlos Dialogangebote an Demokratiefeinde zu machen.
Bündnis "Dresden nazifrei"
Bundesinnenminister Thomas de Maizière setzt auf ein Ende der fremdenfeindlichen "Pegida"-Bewegung. Er hoffe, "dass der zweite zugleich der letzte Jahrestag von Pegida sein wird", sagte de Maizière der "Bild am Sonntag". Dresden sei eine weltoffene, tolerante und bunte Stadt, betonte der Minister, der selbst in Dresden wohnt: "Daran konnten auch zwei Jahre Pegida nichts ändern."