Fragen über Fragen - und keine Antworten. Der brisante DNA-Treffer am Fundort der getöteten Schülerin Peggy gibt viele Rätsel auf. Auf die Ermittler kommt nun viel Arbeit zu, ungeklärte Fälle sollen neu aufgerollt werden.
Bayreuth. Nach dem spektakulären Fund von DNA-Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt am Fundort der getöteten Schülerin Peggy stehen die Ermittler vor einer Vielzahl ungelöster Rätsel. Ungeklärte Straftaten sollen neu aufgerollt werden.
Anwälte von Angehörigen der NSU-Opfer im Münchner NSU-Prozess um die rechtsextreme Mordserie und Mitglieder diverser Untersuchungsausschüsse kündigten Fragen oder Beweisanträge an. Und auch die Thüringer Polizei zog Konsequenzen: Dort soll eine Sonderkommission ungeklärte Fälle von Kindstötungen seit 1990 neu untersuchen. Geklärt werden muss auch, ob möglicherweise eine Verunreinigung den brisanten DNA-Treffer ausgelöst haben könnte.
«Dass jetzt der Verdacht besteht, dass einer der NSU-Terroristen auch noch der Mörder der kleinen Peggy sein könnte, ist unfassbar», sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Freitag in Wiesbaden. Peggys Mutter zeigte sich «tief erschüttert» über den brisanten Fund. «Meine Mandantin benötigt Zeit, diese neuen Entwicklungen zu verarbeiten», teilte ihre Anwältin Ramona Hoyer mit.
Generalrevision von DNA-Spuren
Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Clemens Binninger (CDU), forderte eine «Generalrevision» der DNA-Spuren im NSU-Komplex. «Der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt müssen sich noch mal den vielen anonymen Spuren an den NSU-Tatorten widmen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow kündigte an, die Akten zu einem ungeklärten Kindsmord aus den 1990er Jahren komplett neu überprüfen lassen zu wollen. Damals seien «Herr Böhnhardt und sein Name schon einmal im Visier» gewesen, sagte der Linken-Politiker in Berlin. «Das müssen wir alles viel, viel gründlicher betrachten.»
Und Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) erklärte: «Jetzt ergibt sich durch den Fund die Chance, bei den wenigen unaufgeklärten Fällen den Faden wieder aufzunehmen.» Die Sonderkommission bei der Landespolizei Jena soll ihre Arbeit am kommenden Montag beginnen und mit der Staatsanwaltschaft Gera zusammenarbeiten. Nie gefasst wurde auch der Mörder der zehnjährigen Ramona Kraus aus Jena-Winzerla, die im August 1996 verschwand. Im Januar 1997 wurde in einem Waldstück bei Eisenach die Leiche des Mädchens entdeckt.
Am Donnerstag war bekanntgeworden, dass am Fundort der Skelettteile des 2001 verschollenen Mädchens aus Oberfranken Genmaterial von Böhnhardt entdeckt worden war. Dieses habe sich an einem Gegenstand befunden. Details zu dem Spurenträger - laut «Spiegel Online» handelt es sich um ein Stück Stoffdecke - wollten die Ermittler nicht mitteilen.
Rechtsmedizin schließt Zufall aus
Der Spurenträger sei im Juli «in direktem Zusammenhang» mit der Entdeckung der Skeletteile aufgefunden worden, berichtete der Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Potzel in Bayreuth. Der brisante DNA-Treffer sei aber erst im Laufe dieser Woche bekannt geworden, teilte Polizeisprecher Jürgen Stadter mit.
Die Rechtsmedizin der Universität Jena schloss eine zufällige Übertragung der DNA Böhnhardts auf die sterblichen Überreste Peggys am eigenen Institut aus. Nach Angaben der für den Fall Peggy zuständigen Staatsanwaltschaft Bayreuth muss aber weiter geprüft werden, ob der DNA-Treffer möglicherweise durch eine Verunreinigung ausgelöst wurde. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte, derzeit sei «Punkt eins der Ermittlungen, nachvollziehbar abzuklären, dass es nicht zu Verunreinigungen oder Fehlern bei der Übermittlung von DNA-Material gekommen ist.»
Am 2. Juli war ein Pilzsammler in einem Waldstück im Saale-Orla-Kreis in Thüringen auf Teile von Peggys Skelett gestoßen - nur rund 15 Kilometer vom Heimatort des Mädchens entfernt. Nach dem Fund der sterblichen Überreste hatten Ermittler das Gebiet wiederholt durchkämmt. Erst Ende September wurde das Waldstück erneut durchsucht.
Nach BKA-Angaben wurde an Kindersachen aus dem im Jahr 2011 ausgebrannten Wohnmobil der mutmaßlichen NSU-Terroristen keine DNA-Spur der toten Peggy entdeckt. Laut BKA-Präsident Münch sei zwar eine weibliche DNA gesichert worden, aber nicht die von Peggy.
Die Neunjährige war zehn Jahre zuvor - im Mai 2001 - im nordbayerischen Lichtenberg auf dem Heimweg von der Schule verschwunden. Klar ist für die Ermittler, dass der Fundort der Skelettteile nicht der Tatort war. Wie lange Peggy nach dem Verschwinden noch gelebt hat, war aber unklar. Die Knochen seien Peggy im Alter von neun Jahren zuzuordnen, stellte Potzel klar. Offen ist, wie lange die Skelettteile in dem Wald gelegen haben.
Prozess vorerst fortgesetzt
Der Rechtsextremist Böhnhardt gehörte dem «Nationalsozialistischen Untergrund» (NSU) an. Mit seinem mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos soll er jahrelang unerkannt gemordet haben - hauptsächlich aus fremdenfeindlichen Motiven. Mundlos und Böhnhardt töteten sich den Ermittlern zufolge im Herbst 2011 nach einem Banküberfall, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die mutmaßliche Mittäterin Beate Zschäpe stellte sich der Polizei. Seit fast dreieinhalb Jahren muss sie sich vor dem Münchner Oberlandesgericht verantworten.
Der Prozess wird erst einmal wie geplant fortgesetzt. Mehrere Opferanwälte und Mitglieder diverser Untersuchungsausschüsse in Landtagen und im Bundestag warfen Fragen auf oder kündigten Beweisanträge an. Dabei geht es etwa darum, was Zschäpe zum Fall Peggy sagen könnte, ob es Zusammenhänge mit Vorwürfen des Kindesmissbrauchs gibt und ob alle ungeklärten Fälle, bei denen Kinder und Menschen mit Migrationshintergrund zu Tode gekommen seien, mit der DNA der mutmaßlichen NSU-Terroristen abgeglichen werden.