Leipzig/Berlin. Der unter Terrorverdacht in Leipzig festgenommene Syrer Dschaber al-Bakr soll sich vor seinen Anschlagsvorbereitungen in der Türkei aufgehalten haben. Der 22-jährige mutmaßliche Bombenbauer habe Deutschland im Frühjahr bis zum Spätsommer verlassen, berichtete die „Welt“ unter Berufung auf Ermittlerkreise. Geprüft wird auch, ob er von der Türkei aus nach Syrien reiste und sich dort in einem Ausbildungslager islamistischer Terroristen schulen ließ. Vor dem Hintergrund des Falls ist eine Diskussion über mehr Kompetenzen für die Geheimdienste bei der Überprüfung von Flüchtlingen entbrannt.
Während aus der Union und von der AfD weitergehende Befugnisse für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst gefordert werden, warnen SPD, Grüne und Linke vor einem pauschalen Verdacht. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) hält eine bessere Vernetzung der Sicherheitsbehörden für möglich, auch wenn die Zusammenarbeit im aktuellen Fall sehr gut funktioniert habe. „Wir müssen uns künftig genau überlegen, welche Informationen Verfassungsschutzbehörden und Nachrichtendienste zur Aufgabenerfüllung benötigen. Sollten hier gesetzliche Lücken zu schließen sein, unterstütze ich das ausdrücklich“, erklärt Ulbig gegenüber der LVZ. Aufgabe der Geheimdienste sei es, „aus Informationsfragmenten, also kleinen Puzzleteilen, klare Lagebilder zu formen“ – dafür müssten die Sicherheitsbehörden entsprechend ausgestattet werden.
Für eine deutlich verstärkte Überwachung plädiert der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU). Terrorlagen wie in Sachsen seien ein Ergebnis des „massiven Zustroms von Menschen aus den Bürgerkriegsgebieten“, unter denen sich IS-Kämpfer befänden. Außerdem spricht er sich für eine Präventivhaft aus. Zustimmung kommt von André Poggenburg, dem AfD-Fraktionschef in Sachsen-Anhalt: „Wir unterstützen die Ausdehnung der Befugnisse.“ Die Union will zudem die Vorratsdatenspeicherung von zehn Wochen auf sechs Monate ausdehnen.
Den Bundes-Sicherheitsbehörden liegen 445 Hinweise über mutmaßliche Terroristen und deren potenzielle Unterstützer vor. In den meisten Fällen habe sich der Verdacht gegen Flüchtlinge nicht erhärtet. Insgesamt ermittelt das Bundeskriminalamt in 80 Verfahren, das sind viermal so viele wie zum Jahresanfang.
Gegen die Verschärfungen formiert sich ein breiter Widerstand aus SPD, Grünen und Linken. Sachsens SPD-Chef und Vize-Ministerpräsident Martin Dulig macht gegenüber der LVZ klar: „Wir dürfen die vielen Menschen, die vor Terror und Krieg geflüchtet sind, jetzt nicht unter Generalverdacht stellen. Das ist das falsche Signal. Dass es gerade Syrer waren, die den Terrorverdächtigen überwältigt haben, zeigt uns doch, wie falsch generelle Verdächtigungen sind.“ Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, nennt die Forderungen aus der Union unverantwortlich. Auch die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, lehnt eine Ausweitung der Geheimdienstbefugnisse ab und hält die aktuell möglichen Maßnahmen für „völlig ausreichend“.
Der Terrorverdächtige Dschaber al-Bakr befindet sich weiterhin in Sachsen in Untersuchungshaft. Die drei Syrer, die den mutmaßlichen Bombenbauer in Leipzig-Paunsdorf der Polizei übergeben hatten, werden als Zeugen vernommen und überprüft sowie durch die Ermittler aufgrund möglicher Lebensgefahr abgeschirmt. Unklar ist laut Sicherheitsbehörden weiterhin, wie der Kontakt zu Dschaber al-Bakr genau zustande kam.
In Chemnitz demonstrierten derweil am Montagabend 350 Anhänger der rechtsgerichteten „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“ vor dem Haus, in dem der Syrer offenbar eine Bombenwerkstatt eingerichtet hatte, gegen Flüchtlinge und forderten einen Asyl-Stopp.
Leipzigs OBM Burkhard Jung (SPD) will die Syrer, die die Polizei unterstützt hatten, demnächst treffen: „Ich würde die drei Neu-Leipziger gern persönlich kennenlernen und ihnen meinen Dank aussprechen.“ Die Leipziger AfD spricht sich für eine finanzielle Belohnung der Syrer aus: „Üblicherweise werden in Deutschland diverse Geldbeträge zur Mithilfe der Ergreifung ausgesetzt. Diese Vorgehensweise sollte auch hier Anwendung finden“, schlägt Ralf Nahlob vom Kreisvorstand vor.