Pegida ist aber nicht rechtsextrem, sagt Verfassungsschutzchef Meyer-Plath in Weinböhla. Auch Linke sind gefährlich.
Weinböhla. Die Gläser klingen auf der Terrasse des Zentralgasthofs Weinböhla. Windlichter flackern. Vielleicht ist es der letzte so warme Spätsommerabend. Eigentlich wäre jetzt die beste Zeit für einen Schluck Federweißer, für ein Stück Flammkuchen.
Weit über 100 Weinböhlaer und Zugereiste sehen das anders. Sie sind nebenan ins Foyer des Zentralgasthofs gekommen, um Gordian Meyer-Plath zu hören. Der schlanke Mann im dunklen Anzug ist seit 2013 Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Dresden. Vor zwei Jahren hätten seine heutigen Zuhörer sich vielleicht doch lieber für Federweißer und Flammkuchen entschieden. Nicht zuletzt nach den Sprengstoffanschlägen im Vorfeld der Dresdner Einheitsfeiern haben sich die Prioritäten gewandelt. Ist am Ende auch die Weinböhlaer Idylle aus Vorstadthäuschen, Dreiseithöfen und großen Gärten bedroht? Und wenn ja, von wem?
Obskure Herren in zweiter Reihe
Ganz unterschiedliche Besucher sind an diesem Donnerstagabend in den Zentraler geströmt, um auf solche Fragen eine Antwort zu hören. Der typische Weinböhlaer Eigenheimbesitzer im fortgeschrittenen Alter, grau meliert und im karierten, kurzärmligen Hemd stellt die Mehrheit. Frauen befinden sich klar in der Minderheit. Nur wenig Parteiprominenz fällt ins Auge. Bürgermeister Siegfried Zenker (CDU) darf nicht fehlen. Der stellvertretende CDU-Gemeindeverbandschef Andreas Weidmann trifft etwas später ein. Sein Chef Patrick Schwarzkopf – der zu diesem Abend eingeladen hat – eilt geschäftig hin und her. Aus Meißen hat sich CDU-Urgestein Ulrich Bierstedt aufgemacht. Die größere Prominenz dürfte derweil in der Privatbrauerei Schwerter Meißen beim Fassanstich dem Bockbier zusprechen.
Auffällig sind gut eine Handvoll junger Männer, die im Gänsemarsch die zweite Stuhlreihe besetzen. Früher hätte der oberflächliche Beobachter sie dem Aussehen nach der alternativen Szene zugerechnet. Einige tragen Bärte, breite Ohrringe und Schiebermützen. Durchweg verdecken T-Shirts die nicht immer athletischen Oberkörper. Bier und Limonade werden bei Zentraler-Wirt Matthias Huth geholt. Nur wer genau hinschaut, entdeckt kleine schwarz-weiß-rote Aufnäher am linken Ärmel der Shirts. Doch zunächst sitzen die Zugereisten brav und nuckeln an ihren Flaschen.
Nur wenige Sätze benötigt Meyer-Plath, um die Aufgabe seines Dienstes zu erläutern. „Nix mit Tatort.“ Dieser Satz bringt es auf den Punkt. Die Verfassungsschützer sammeln Informationen über Extremisten und bereiten sie auf. Verwertet werden die Analysen letztlich von der Polizei. Die greift zu und verhaftet Bösewichter, welche aktiv den deutschen Staat bedrohen.
Im Landkreis Meißen – wie in Sachsen auch – geht die größte Gefahr nach wie vor von Rechtsextremisten aus, sagt der 48-jährige Verfassungsschützer. Gerade der Meißner Kreisverband der NPD habe sich im Gegensatz zu anderen Regionen eine gewisse Schlagkraft bewahrt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Partei und Medienvertrieb Deutsche Stimme zentral von Riesa aus agieren. Stärker als um die NPD sorgt sich Meyer-Plath um sogenannte subkulturelle Rechtsextremisten. Am bekanntesten dürfte dank der Besetzung des Brandenburger Tors die Identitäre Bewegung sein. In der hiesigen Region rechnet der Verfassungsschutz die Initiative Heimatschutz zum Spektrum rechtsradikaler Subkultur. Zu beobachten seien eine zunehmende Gewaltbereitschaft und das Vordringen solcher Ansichten in bürgerliche Kreise.
Hier macht Gordian Meyer-Plath einen Punkt. Sein Dienst verwende „sehr viel Gehirnschmalz“ darauf, rechtsextreme von asylkritischen Kräften und Aktionen zu trennen. Nein, Pegida werde von dem Verfassungsschutz nicht dem rechtsextremen Bereich zugeordnet, und genauso wie die AfD nicht beobachtet. Für falsch und gefährlich halte er deshalb einseitige Pauschalisierungen, wie sie etwa von der selbst ernannten Antifa vorgenommen würden, die schon den rechten Rand der CDU als „Faschos“ bezeichne.
Frager ohne richtige Fragen
Die kurze Anmerkung liefert eine Brücke. Der Verfassungsschützer wendet sich von recht nach links. In Bezug auf die Einheitsfeiern des 3. Oktober in Dresden gehe die größte Gefahr nach Ansicht seines Dienstes von Linksextremisten aus. Problematisch sei, dass das Feindbild etwa der selbst ernannten Antifa sehr weit gefasst ist. „Alle können in ihr Visier geraten“, sagt Gordian Meyer-Plath. Im Landkreis Meißen selbst sind die Linksextremisten nur sehr schwach organisiert. Aktivitäten gehen zumeist vom dominierenden Zentrum Leipzig, teilweise von Dresden aus.
Kurz streift der 48-Jährige zum Ende seines Vortrages die Gefahren durch islamistische Gewalttäter. Bislang blieb Sachsen durch Anschläge aus dieser Richtung verschont. Zentrum salafistischer Aktivitäten ist die Al-Rahman-Moschee in Leipzig.
Für den Einstieg in die Diskussion braucht es keinen Anstoß. Der 63-jährige Steffen Förster aus Weinböhla sieht seine Minute für gekommen. Die Bundesrepublik habe gar keine Verfassung, stellt der Senior zunächst fest. Dann wirft er Meyer-Plath vor, nicht die Ursachen der zunehmenden extremistischen Tendenzen zu benennen. Diese liegen nach Ansicht Försters in dem durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beförderten ungesteuerten und gesetzwidrigen Zustrom von Ausländern. Eine richtige Frage hat Förster nicht, aber Beifall und Kopfnicken sind ihm für seine letzte Feststellung sicher.
Der Auftritt des Weinböhlaers steht symptomatisch für zahlreiche Wortmeldungen an diesem Abend. Den wenigsten Rednern ist an einer Diskussion gelegen. Sie wollen Statements abgeben. Oft blickt die Ideologie der Reichsbürger durch. Die Legitimität des Grundgesetzes wird bezweifelt, Deutschland als Besatzungszone bezeichnet. In den seltensten Fällen vermag der Verfassungsschützer zu antworten, so berechtigt die meisten Fragen sein mögen. Es offenbart sich, dass viele der Besucher Aufbau und Funktionsweise des Staatswesens in Deutschland nur ungenügend kennen. Was soll Meyer-Plath auf die Frage antworten, weshalb die deutsche Staatsbürgerschaft in der Ausländerbehörde festgestellt werde?
Natürlich melden sich irgendwann auch die obskuren Herren aus der zweiten Reihe. Allerdings fehlt es an Kinderstube. Sie reden lieber hinein, als ihre Fragen per Handheben anzukündigen. Sven, der sich als „Grundrechteträger“ vorstellt, stellt fest, das Deutsche Reich sei niemals untergegangen. Eine richtige Frage kann er nicht formulieren.
Als klar wird, dass die Fragen sich im Kreis drehen, beenden die Veranstalter den Abend. Beim Verlassen des Saals schütteln einige Besucher die Köpfe. Vielleicht wären Federweißer und Flammkuchen doch die bessere Wahl gewesen.