Geschichte wird gemacht

Erstveröffentlicht: 
22.09.2016

Nach schwarzem Übermalen sind Gerda Taros Kriegsfotografien wieder zu sehen

 

Nachdem im August ihre Fotografien von Flüchtlingen und vom Bürgerkrieg mit schwarzer Farbe übermalt worden waren, wurde nun die neue Displaywand mit den Kriegsarbeiten der Fotografin Gerda Taro (1910–1937) in der Straße des 18. Oktober wiedereröffnet.

 

Überwiegend ältere Menschen stehen am Montagabend auf einem Grünstück zwischen den Plattenbauten an der Straße des 18. Oktober. Der Verkehr rauscht geräuschintensiv vorbei. Sie blicken auf 29 grün bestrichene Stangen, an denen unterschiedlich große Fotografien und Texttafeln in zwei Reihen angeordnet sind. Diese erzählen von Kriegs- und Flüchtlingssituationen während des Spanischen Bürgerkrieges. Ganz außen auf der linken Seite ist eine junge Frau großformatig porträtiert, die an einem Bistrotisch sitzt und sich gänzlich von den zerstörten Häusern und ängstlich blickenden Menschen auf den anderen Fotos unterscheidet. Es ist die Fotografin Gerda Taro, die 1937 im Spanischen Bürgerkrieg, von einem Panzer überrollt, starb. Taro, 1910 in Stuttgart als Gerta Pohorylle geboren, lebte von 1929 bis 1933 in Leipzig. Sie verließ die Stadt gen Paris, nachdem sie im Frühjahr 1933 sechs Wochen in Schutzhaft verbrachte. An sie wollte das diesjährige F/Stop-Festival  erinnern.

 

Unter dem Motto »F/Stop in situ« stellte das Ausstellungsgespann Anne König und Jan Wenzel an fünf Orten temporär angelegte Fotodokumentationen in den öffentlichen Raum. Gegenüber dem Neuen Rathaus waren die Aufnahmen von Lee Miller und Margaret Bourke-White nach der Befreiung Leipzigs im April 1945 durch die US-Armee zu sehen und mit direktem Bezug zum Gebäude die Selbstmorde des Oberbürgermeisters und anderer nationalsozialistischer Spitzenkräfte samt ihrer Familien. An der Angerbrücke neben dem Capa-Haus zeigten König/Wenzel die Serie von Gerda Taros Lebens- und Arbeitsgefährten Robert Capa über den letzten Kriegstoten. Hier – wie auch an den anderen Orten – fanden bereits während des Festivals Manipulationen an der Bildfläche statt.

 

Anfang August wurden die Tafeln in der Straße des 18. Oktober mit schwarzer Farbe versehen. Davon zeugen heute noch einige schwarze Farbspuren an der Installation. Die Organisatoren waren sichtlich schockiert, dass dies passieren konnte. »Der Spanische Bürgerkrieg und die Fotografien der Flüchtlinge, die Gerda Taro 1936/37 aufgenommen hatte, wurden aus dem Leipziger Stadtbild herausgestrichen«, so die F/Stop-Leitung. In einer ersten Stellungnahme wurde eine öffentliche Debatte über den »Gewaltakt gegen Bilder« eingefordert, die einhergehen sollte mit der Wiederaufstellung. Ersteres blieb bisher aus. Stattdessen sprach Wenzel am Montag davon, dass Leipzig ein Teil der Fotogeschichte sei, und die Taro-Biografin Imre Schaber referierte über das Leben und die Arbeitsweise der Protagonistin.

 

So wichtig es ist, dass die über 800 von Taro stammenden Fotografien eine Öffentlichkeit finden, eine Diskussionsveranstaltung wäre es ebenso. Sie würde zeigen, dass Geschichte immer an Interessen geknüpft ist – wie die Biografie von Taro besonders eindrucksvoll aufweist. Denn eins steht fest: Geschichte lässt sich schwärzen – ganz im Gegensatz zu dem am 1. September an den schwarzen Tafeln angebrachten Satz »Geschichte lässt sich nicht schwärzen«. Die Macher hätten es einfach auch besser wissen müssen, denn bereits während des Festivals wurde um Hoheitsrechte über historische Ereignisse und Fotografie gestritten.

 

Ausgelöscht wurde Gerda Taro nicht zum ersten Mal in der Stadt. Im »Ehrenhain der Helden des antifaschistischen Widerstandskampfes und der Kämpfe für Frieden und Sozialismus« (Sozialistischer Ehrenhain) auf dem Südfriedhof wurde die Mitte der achtziger Jahre errichtete Wand, an der ihr Name stand, 1999 entfernt und lagert im Zeitgeschichtlichen Forum. Bereits ihr Begräbnis in Paris wurde instrumentalisiert. Eine Person kann also einige Geschichten hervorbringen und diese Nuancen aufzuzeigen, wäre wichtig, um sich selbst ein Schwarz-Weiß Denken gar nicht erst anzutrainieren.