Gambia: Flucht aus dem Land der Angst

FOTO: Nach den jüngsten Festnahmen und dem Tod des Oppositionellen gehen viele Gambier auf die Straße - ein seltener Anblick, denn die Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt.
Erstveröffentlicht: 
18.04.2016

Proteste werden brutal aufgelöst, ein Oppositioneller stirbt in U-Haft: Gambias Machthaber Yahya Jammeh greift hart durch und treibt damit tausende Menschen in die Flucht - auch nach Deutschland.

 

"Die lächelnde Küste Afrikas" - so nennen viele Gambier liebevoll ihre Heimat, auch wenn es schon lange nicht mehr viel zu Lachen gibt im kleinsten Staat auf dem afrikanischen Kontinent. Jetzt sorgen Meldungen vom Tod eines bekannten Regierungskritikers für Schlagzeilen. Über die genauen Umstände ist nur so viel bekannt: Solo Sandeng von der Oppositionspartei UDP wurde vergangene Woche nahe der Hauptstadt Banjul festgenommen. Gemeinsam mit anderen Aktivisten hatte er für mehr Meinungsfreiheit und eine Wahlendereform demonstriert. Kurz darauf soll er in Polizeigewahrsam gestorben sein. "Wir dokumentieren schon seit Jahren Angriffe gegen die Meinungsfreiheit in Gambia", sagt Sabrina Mahtani, die für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Westafrika recherchiert. "Aber jetzt machen wir uns große Sorgen, dass die Regierung alle unabhängigen Stimmen ein für alle Mal mundtot machen will."

Die Regierung: Das ist in erster Linie Langzeit-Machthaber Yahya Jammeh. Er führt das Land seit einem Militärputsch 1994 mit harter Hand und will auch bei den nächsten Wahlen im Dezember wieder antreten - zum fünften Mal. "Was in Gambia los ist, hat mit Demokratie nichts zu tun", sagt Heinrich Bergstresser, freier Mitarbeiter beim GIGA-Institut in Hamburg. Jammeh lässt Journalisten wegsperren, zerrt politische Gegner vor Gericht, beharrt auf der Todesstrafe. Ende 2015 erklärte er Gambia plötzlich zur "Islamischen Republik". Jammeh führe ein "Terror-Regime", sagt Bergstresser, und das schon seit mehr als 20 Jahren. "Er hat regelmäßig Minister rausgeworfen und neue eingesetzt, seine Partei hatte im Parlament immer mindestens die absolute Mehrheit. Damit konnte er alles tun, was ihm gerade in den Sinn kam", so Bergstresser im DW-Interview.
Gambias Präsident Yahya Jammeh ist seit mehr als 20 Jahren an der Macht. Im Dezember will er für eine weitere Amtszeit kandidieren. (Foto: Getty Images/AFP/I. Sanogo)

Flucht aus dem Urlaubsparadies

In der Öffentlichkeit hetzt der 50-jährige Machthaber gegen Homosexuelle oder inszeniert sich als mythischer AIDS-Heiler. Auch ein Mittel gegen Unfruchtbarkeit bei Frauen will er entdeckt haben. Auf Lösungen für die eigentlichen Probleme des Landes aber warten viele Gambier vergeblich. Mehr als die Hälfte der rund zwei Millionen Menschen im Land lebt laut Schätzungen der UN in Armut. Egal, ob es um Schulbildung, Lebenserwartung oder Pro-Kopf-Einkommen geht - Gambia schneidet katastrophal ab. Industrie gibt es kaum, die Menschen leben von Landwirtschaft und Tourismus.

Der Zwergstaat gilt als Urlaubsparadies: goldgelbe Strände, kein Krieg, keine Epidemien. Doch anders als die Touristen, wollen die meisten Gambier nur noch weg. Unter den westafrikanischen Migranten, die mit Schlauchbooten über das Mittelmeer nach Europa kommen, stellen sie eine der größten Gruppen.

Die Zahlen sind gerade in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. 2012 stellten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 244 Gambier in Deutschland einen Asylantrag, 2015 waren es schon 3110. "Backway", durch den Hintereingang - so nennen die Flüchtlinge ihre lebensgefährliche Route: durch die Sahara und dann auf Booten übers Meer immer in Richtung Norden: Italien, Schweiz, Österreich, Deutschland. Meist sind es junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren.

Zur Perspektivlosigkeit komme ein "Klima der Angst", sagt Sabrina Mahtani von Amnesty International. "Viele Gambier sehen einfach keine Zukunft in einem Land, in dem sie ihre Meinung nicht frei äußern können, in dem willkürliche Festnahmen und Folter drohen, wo es eine Kultur der Straflosigkeit gibt. Wenn sich daran nichts ändert, dann könnte es sein, dass bald noch mehr Menschen fliehen - nach Europa oder auch ins Nachbarland Senegal".
Ein Flüchtling aus dem afrikanischen Gambia macht in Deutschland eine Ausbildung (Foto: dpa - Bildfunk)

Kritik trifft auf taube Ohren

Dass tausende junge Gambier es in ihrer Heimat nicht mehr aushalten, davon will Machthaber Jammeh nichts wissen. Die Flüchtlinge nennt er in öffentlichen Reden "Versager" oder "schlechte Muslime". Doch was es bedeutet, zu bleiben und im Land selbst für eine bessere Zukunft zu kämpfen, zeigen die jüngsten Proteste. Neben Solo Sandeng wurden auch andere führende Oppositionelle und Aktivisten festgenommen, zuletzt bei einer Demonstration am Wochenende. Wie viele Regierungskritiker derzeit genau hinter Gittern sitzen, ist unklar - und auch, ob es weitere Todesopfer gibt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon reagierte bestürzt auf die Nachrichten aus Gambia. Er fordert eine unabhängige Untersuchung und die sofortige Freilassung aller anderen Oppositionellen.

Appelle, die keine allzu große Wirkung haben dürften, sagt Afrika-Experte Heinrich Bergstresser. "Jammeh spielt seine repressive Karte innen- und außenpolitisch aus und niemand hindert ihn daran. Er bekommt vor allem Unterstützung aus den arabischen Staaten, alles andere ist ihm egal". Bergtresser erinnert an einen Eklat im vergangenen Sommer: Da verwies Jammeh die Botschafterin der Europäischen Union des Landes, weil sie - so wird vermutet - die Menschenrechtslage in Gambia kritisiert haben soll.

In seiner Asylpolitik hat Brüssel die Lage in dem westafrikanischen Land aber nicht grundsätzlich neu bewertet. "Da spielt die europäische Politik ein doppeltes Spiel: Länder wie Gambia sollen auch weiterhin als sichere Herkunftsstaaten deklariert werden, trotz der Dinge, die sich dort tatsächlich abspielen. Das ist unehrlich", sagt Bergstresser.

Für die meisten Gambier sind die Aussichten auf Asyl in Europa daher nicht besonders gut: In Deutschland etwa haben im vergangenen Jahr laut BAMF nicht einmal drei Prozent der Asylbewerber von dort einen Schutzstatus bekommen.