Unister: Aktionär aus der Wehrsportgruppe

Erstveröffentlicht: 
18.08.2016
Neues im Wirtschafts-Thriller um Unister: Weil es bei dem Leipziger Internetkonzern schon seit Jahren Turbulenzen gab, konnten dort auch zwei Männer mit Neonazi-Biografie mitmischen.

 

Sie hatten es sich gemütlich gemacht, daheim in Markkleeberg bei Leipzig. Daniel Kirchhof und seine Frau Karen saßen abends auf dem Sofa und sahen fern, als sie plötzlich auf Bilder einer bösen Vergangenheit blickten. Es lief Die neuen Nazis, eine ZDF-Dokumentation, die zeigt, wie Rechtsradikale unmittelbar nach dem Mauerfall im Osten ihr Heil suchten. Auf dem Bildschirm erschien eine Szene von 1990, sie spielt in Leipzig und zeigt einen jungen Redner bei einem Gründungstreffen der Republikaner: groß, schlank, dunkle Haare, österreichischer Dialekt. "Mensch, das ist ja der Reinhard", sagte Karen Kirchhof zu ihrem Mann.

 

Reinhard Rade. Seit Jahren ist er ihr Freund. Und Geschäftspartner. Dass er ihnen geholfen hat, als sie ganz unten waren, haben sie ihm nicht vergessen.

 

Als die Kirchhofs vergangene Woche davon erzählen, sitzen sie in der Lobby eines Leipziger Hotels. Sie ist hochschwanger, die Kirchhofs erwarten ihr viertes Kind. Beide wirken angespannt, aber das hat andere Gründe. Hinter ihnen liegen dramatische Wochen. Daniel Kirchhof, 38, gehörte jahrelang zur Führungsspitze der Leipziger Internetfirma Unister, bis er sich mit Gründer Thomas Wagner zerstritt. Wagner und Kirchhof prägten ein ostdeutsches Unternehmermärchen. Es handelt vom Start-up einiger Studenten, das sich innerhalb weniger Jahre mit Marken wie ab-in-den-urlaub.de, fluege.de oder Travel24 zu einem führenden deutschen Online-Reiseportal aufgeschwungen hatte, zu einem Konzern mit fast 1800 Mitarbeitern und Hunderten Millionen Euro Jahresumsatz. Eine Wirtschaftsmacht im an Wirtschaftswundern eher armen Osten.

 

Doch Mitte Juli stürzten Unister-Chef Wagner und drei weitere Menschen auf einer mysteriösen Geschäftsreise mit einem Charterflugzeug in den Tod. Kurz darauf rutschten wesentliche Teile des Unister-Imperiums in die Zahlungsunfähigkeit. Damit ist auch Kirchhofs Lebenswerk weitgehend zerstört.

 

Mit jedem Detail, das aus dem Pleite-Kosmos bekannt wird, tun sich neue Abgründe auf. So ergeben gemeinsame Recherchen von ZEIT und Sächsischer Zeitung: Jahrelang unbemerkt von der Öffentlichkeit und selbst von hochrangigen Mitarbeitern haben mindestens zwei Männer mit schillernder Neonazi-Biografie an den Reisekonzern angedockt. Als Berater und als Teilhaber gewannen sie bei Unister Einfluss. Der eine, dem ein erheblicher Aktienanteil in dem weit verzweigten Konzern gehört, wurde einst wegen "nationalsozialistischer Wiederbetätigung" verurteilt. Der andere wollte den Firmengründer Wagner vermutlich sogar aus dem Unternehmen drängen. Sein Name: Reinhard Rade.

 

Der Mann aus der ZDF-Doku über neue Nazis im Osten tauchte im Dezember 2012 erstmals bei Unister auf. Damals stand das Unternehmen schon einmal mächtig unter Druck. Die Staatsanwaltschaft ließ die Wohnungen mehrerer Manager durchsuchen – und auch Büros in der Konzernzentrale, einem Jugendstilbau im Leipziger Barfußgässchen. Es ging um angeblichen Versicherungs- und Computerbetrug sowie Steuerhinterziehung. Thomas Wagner und sein Kompagnon Kirchhof landeten in Untersuchungshaft. Um wieder auf freien Fuß zu kommen, sollte Kirchhof eine Kaution von 200.000 Euro zahlen, Wagner gar von 500.000 Euro. Der Chef habe sich das Geld für seine Kaution schnell über einen Geschäftspartner besorgt, erzählt Kirchhof.

 

Um ihn hingegen habe sich bei Unister keiner gekümmert. Seine Frau ergänzt: "Ich bin heulend in die Firma gegangen", also zu Unister, "und habe gesagt, dass ich nicht weiß, wie ich die nächste Anwaltsrechnung bezahlen soll. Aber da kam gar nichts." Was dann geschah, sei Zufall gewesen: Eine Freundin habe ihr Reinhard Rade und dessen Partnerin empfohlen, eine Anwältin. Karen Kirchhof habe die beiden Leipziger kontaktiert, erzählt sie. Rade und seine Partnerin hätten nicht nur mit Trost, Rechtsberatung und dem Organisieren einer Besuchserlaubnis fürs Gefängnis geholfen, sagt sie. Rade habe sogar einen Teil der Kaution übernommen, dafür eines seiner Grundstücke verpfändet. Kurz vor Weihnachten kam Kirchhof frei. Seine Frau sagt: "Reinhard Rade hat uns in einer Situation geholfen, die für uns schlimmer nicht hätte sein können." Warum Rade damals so großzügig geholfen hat? Aus Altruismus? Oder nicht eher doch, weil er sich schon damals erhoffte, bei Unister einen Fuß in die Tür zu bekommen? Das lässt sich heute nur schwer beantworten.

 

Das Verhältnis zwischen Gründer Wagner und seinem Finanzchef Kirchhof, die sich zwölf Jahre lang ein Büro teilten, die privat allerdings wenig verband, bekam in jener Zeit tiefe Risse. Spätestens im Jahr 2015 sollte daraus offene Feindschaft werden. Dass die Unister-Führung zerfiel und zusehends die Kontrolle, teils auch die Übersicht über das eigene Unternehmen verlor, hat es immer mehr Beratern, Anwälten und Investoren erleichtert, in der Firma mitzumischen. Einer von ihnen war Rade. Nach der Kautionsepisode begann er, bei Unister ein und aus zu gehen.

 

Wenige Wochen nach der U-Haft, Anfang 2013, setzte sich Kirchhof an seinen Computer, um etwas mehr über seinen Retter zu erfahren. Er habe dessen Namen gegoogelt. "Da habe ich gefunden, was vermutlich auch Sie gefunden haben", sagt er. Was man findet, lässt einen schaudern. Geboren 1964 in Innsbruck, aufgewachsen in Oberbayern, avancierte Rade in den 1980er Jahren zum Hoffnungsträger der Republikaner. Auch einer Wehrsportgruppe in Niederösterreich soll er angehört haben. Man würde Rade gern persönlich dazu befragen, doch ein Treffen kommt nicht zustande. Schriftlich aber weist er zurück, Mitglied einer Wehrsportgruppe gewesen zu sein, "weil man nicht Mitglied von etwas sein kann, was es nur in der Phantasie der staatlichen Antifa gibt". 

 

2015 klinkt sich ein zweiter Mann aus rechtsextremen Kreisen bei Unister ein

 

Als Jungrepublikaner zog er in den Kreistag von Bad Tölz ein. Von dort ging es 1990 weiter nach Leipzig, als "offizieller DDR-Koordinator" der Rechtsaußenpartei, die zu der Zeit im Osten noch verboten war. Die verließ er dann im Streit. Er sei den Republikanern "zu extrem" gewesen, berichtete später die Leipziger Morgenpost.

 

Rades nächste Station war Kroatien, der jugoslawische Bürgerkrieg tobte. Österreichische Medien berichteten über Söldner-Einsätze, an denen der ehemalige Jungrepublikaner teilgenommen habe. Schon 1989 sei er als Kämpfer in das damals politisch zerrüttete Surinam gereist. Rade bestätigt, zu jener Zeit in den beiden Ländern gewesen zu sein, jedoch nie als "Söldner von irgendjemand im militärischen Sinne". Stattdessen sagt er: "Angestellter von Dritten war ich letztmalig in meiner Lehrzeit als Außenhandelskaufmann." In Kroatien habe er Grundstücksgeschäfte gemacht. In einer Publikation des Wiener Innenministeriums findet sich das Beispiel eines österreichischen Söldners, der nach seinem Balkan-Einsatz an seinen Wohnort in Deutschland zurückgekehrt sei und dort mit dem Sold "aus selbstgemachter Beute" Grundstücke gekauft und eine Firma gegründet habe.

 

Rade kehrte nach seinem Balkan-Trip nach Leipzig zurück und gründete dort im Juli 1992 mit 50.000 D-Mark die Firma Baubetreuung in Mitteldeutschland (BBM). Für den Ex-Republikaner ist sie "eine von vielen Firmen, an denen ich beteiligt bin oder war". Eine Leipziger Abrissfirma namens Condor dürfte ebenfalls dazugehören. Einen Porsche aus dem Fuhrpark dieser Firma soll jahrelang dem früheren Rechtsterroristen Karl-Heinz Hoffmann zur Verfügung gestanden haben. Und die Technische Handels-GmbH (THG) brachte ihren Gründer Rade im Jahr 2002 sogar in die Schlagzeilen, als sie neun ausrangierte Armeehubschrauber erwarb, für günstige 100.000 D-Mark pro Stück. "Bundeswehrpiloten lieferten die Helikopter vor den Toren eines Hangars auf dem Flugplatz Oppin bei Halle an der Saale ab", schrieb der Spiegel. Danach wurde es ruhig um den Unternehmer. Erst 2015 fiel er wieder auf, im Dunstkreis von Legida, dem radikalen Pegida-Ableger in Leipzig. Er gehe dort ab und an mit, sagt Rade. Ansonsten sei er seit 20 Jahren nicht mehr politisch aktiv. Er stehe aber nach wie vor "auf der Seite der unbedingten Meinungsfreiheit, auf der Seite der Ablehnung jedweder staatlicher Willkür".

 

Daniel Kirchhof beteuert, er habe mit Rades Vita nichts zu tun. Ausgerechnet der langjährige Manager einer Firma, die ihren bisherigen Erfolg auch dem optimierten Einsatz von Internet-Suchmaschinen verdankt, sagt, er habe nicht bis ins Letzte wissen wollen, wohin die Websuche nach Reinhard Rade führe. Ihre Freundschaft bestehe aber bis heute. "Er ist eloquent und kann sehr überzeugend sein, aber ich teile seine Ansichten nicht", sagt Kirchhof. Bei privaten Treffen habe man das Reden über Politisches eher vermieden. "Wir sind völlig anders eingestellt", beteuert Karen Kirchhof, "unsere Kinder sind getauft, ich engagiere mich in der Kirche."

 

Mitunter sieht man Kirchhof an, wie unangenehm ihm das Thema ist. Etwa wenn es darum geht, jene Unister-Geschäfte zu erläutern, bei denen Rade mitmischte. Geschäfte, die Kirchhof als Gesellschafter und Aufsichtsratschef der Unister-Tochterfirma Travel24 hätte überblicken müssen. War Rades Einfluss ein Grund, warum Kirchhof und Wagner 2015 begannen, sich öffentlich zu befehden? Immerhin gibt Kirchhof zu, er habe durchaus mitbekommen, dass sich neben Rade ein zweiter Mann aus rechtsextremen Kreisen bei Unister einklinkte. Dessen Namen habe er erstmals Ende 2015 in einer Pflichtmitteilung der börsennotierten Konzerntochter Travel24 gelesen: Hans Jörg Schimanek.

 

Die Firma Travel24 ist nach ab-in-den-Urlaub.de und fluege.de die bekannteste Marke im Unister-Reich; quasi ein Konzern im Konzern. Über sie planten die Leipziger ihren Einstieg in den deutschen Hotelmarkt. Doch davon ist bis heute wenig zu sehen. Der Hauptgrund dafür ist die undurchsichtige Rolle, die der zweitgrößte Aktionär der Travel24 spielt, eine Schweizer Firma namens Loet Holding AG – beherrscht von Hans Jörg Schimanek.

 

Rade kennt ihn gut, daraus macht er gar keinen Hehl: "Er ist einer meiner besten Freunde, seit meinem 16. Lebensjahr." Die Vergangenheit Schimaneks, 1963 in Niederösterreich geboren, ist noch radikaler als die Rades. Videos im Internet zeigen Schimanek bei Wehrsportübungen. Gemeinsam mit Rade soll er in Surinam und Kroatien gewesen sein. In den 1990er Jahren ermitteln Staatsanwälte in Österreich gegen Schimanek wegen seiner Neonazi-Aktivitäten. Er gerät kurzfristig ins Visier der Ermittler, die an der Aufklärung des blutigen Briefbombenattentats auf den damaligen Wiener Bürgermeister Helmut Zilk arbeiten, als sie bei einem Tatverdächtigen Schimaneks Vornamen und eine Leipziger Telefonnummer finden. 

 

Da haben zwei überaus dubiose Figuren Fuß gefasst bei Unister

 

Diese Nummer gehört zur Rade-Firma BBM. Dort kommt Schimanek etwa 1994 unter. Wie fast 20 Jahre später bei Kirchhof ist Rade ein Retter in der Not. Dem Wiener Kurier sagt Schimanek später, er sei der "Demolierer in der ehemaligen DDR", kaufe im Osten Wohnungen auf und lasse dort österreichische "Kameraden" den Putz von den Wänden schlagen. Kurz darauf wird er verhaftet und in Österreich eben wegen "nationalsozialistischer Wiederbetätigung" zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, 1999 vorzeitig entlassen. Auch Schimanek kehrt zurück nach Leipzig.

 

Wieder hilft Rade. Und so ist Jugendfreund Schimanek bei der Leipziger BBM bis heute Gesellschafter, beim Abrissunternehmen Condor amtierender Geschäftsführer. Auch andere politische Weggefährten sowie Bekannte seiner "Kroatien- Geschäfte" sind bei den Firmen untergekommen. Am Firmensitz in Leipzigs Virchowstraße residierte zeitweise zudem ein antisemitischer Verlag.

 

Ob Schimanek seine rechtsextreme Gesinnung aufgegeben hat, ist unklar. Dagegen sprechen Fotos aus dem Jahr 2008, auf denen er mit Rechtsextremen auf einem Veteranentreffen in Kärnten zu sehen ist. 2009 hält er in Leipzig einen Vortrag über die angebliche österreichische Gesinnungsjustiz. Und auf der Internetplattform Militaria321 wird unter seiner aktuellen Mailadresse mit Reichs- und Kriegsdevotionalien gehandelt. Schimanek, dessen jüngerer Bruder heute Büroleiter des Bundespräsidenten-Kandidaten Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ ist, beantwortet keine Fragen. Er teilt nur mit, er sei "zu keinem Zeitpunkt aufgrund irgendwelcher Gewalttätigkeiten verurteilt worden". Und: "Es mag Ihnen frei stehen meine Gesinnung zu werten."

 

Rade und Schimanek: Da haben zwei überaus dubiose Figuren Fuß gefasst bei Unister. Als "Berater der Gesellschafter und Sonderbeauftragter der Geschäftsführung" beschreibt Rade seine Funktion. Unangenehm aufgefallen sei er nicht, heißt es in Unister-Kreisen. Manche bescheinigen ihm "eine gewisse Anziehungskraft", andere sprechen "von einer zwiespältigen, gar diabolischen Natur". Kirchhof erzählt, Rade habe mitunter "bis tief in die Nacht" mit Gründer Thomas Wagner zusammengehockt. "Was die alles gemacht haben, was da alles passiert ist ..." Rade selbst räumt ein, er habe mit Wagner immer wieder Auseinandersetzungen gehabt, "über Verschiedenstes". Unklar bleibt, ob ein Streit über ein Grundstücksgeschäft irgendwann zum Zerwürfnis zwischen beiden geführt hat; oder ob das stimmt, was Unister mitteilt: nämlich dass Rades "Gesinnung" der Grund war.

 

Rades Kamerad Hans Jörg Schimanek hingegen war bei Unister nie ein Thema. Bis zu jener Börsenmitteilung im Dezember 2015, mit der klar wurde: Diese 52 Jahre alte frühere Neonazi-Größe aus Österreich ist klammheimlich zum zweitgrößten Aktionär der Konzerntochter Travel24 geworden. Mit seiner Firma Loet Holding AG aus Baar im Kanton Zug hält der verurteilte Rechtsextremist Schimanek einen Zugang ins Innerste der Unister-Welt.

 

Die Vorgeschichte dazu begann im Jahr 2012. Damals fing Thomas Wagner an, sich mit seinem neuen Lieblingsprojekt zu beschäftigen, einer Budgetdesignhotel-Kette unter dem Dach von Travel24. Der Konzernchef zeichnete sogar eigenhändig Entwürfe für die Badezimmer, inklusive Wanne in Form eines Damenschuhs. Mit der Ausgabe von Unternehmensanleihen, einer Art Schuldschein, sollte das finanziert werden. Mindestens 25 Millionen Euro waren notwendig.

 

In dieser Zeit hatte ein externer Berater eine auf den ersten Blick gute Idee. Die Unister-Gründer rund um Thomas Wagner und Daniel Kirchhof sollten Gesellschafter einer Firma werden, die nichts anderes macht, als Vermögen zu verwalten. Der Name des Unternehmens: Loet Trading AG. Dorthin gab Unister Mitte 2012 Travel24-Aktien im Wert von rund acht Millionen Euro ab. Außer mit einer stattlichen Verzinsung von 7,5 Prozent konnte Travel24 ihre Anleihen nun auch mit der vermeintlichen Seriosität eines Schweizer Finanzinvestors bewerben.

 

Die Idee ging auf. Die Anleihe war gefragt, auch viele Kleinanleger zeichneten sie. Die Loet AG wurde danach zum Parkplatz für alles Mögliche: Zu den Aktien kamen Anleihen hinzu, Markennamen, Internetdomains, Kredite, Grundstücke. Sogar das Hotelkonzept ging vorübergehend in den Besitz der Schweizer Firma über. Doch was dauerhaft geparkt wurde und was nur für kurze Zeit, ist bis heute unklar. Die Frage, ob dieses Konstrukt nicht auch als (illegales) Steuersparmodell für Unister und dessen Eigentümer diente, ist ebenfalls längst nicht geklärt.

 

Der einstige Travel24-Aufsichtsratschef Daniel Kirchhof schweigt dazu. 2015 jedenfalls bestand aufgrund hartnäckiger Nachfragen der Wirtschaftsprüfer von Travel24 die Gefahr, dass publik wurde: Beim Loet-Gesellschafter handelte es sich gar nicht um einen Schweizer Investor, sondern um das Gründer-Quartett von Unister. Und das in der Zeit, als Unister ohnehin schon im Fokus der Justiz war. 

 

Hat Rade doch mehr mit diesem Fall zu tun?


Da bot sich wieder der Mann an, der das Retter-in-der-Not-dann-bist-du-mir-was-schuldig-Spiel wohl perfekt beherrscht: Reinhard Rade. Er war es, der nun die Loet von Wagner, Kirchhof und zwei weiteren Gesellschaftern erwarb. Kurz darauf reichte er sie weiter an Hans Jörg Schimanek. Nun hatten er und sein Gesinnungsfreund endgültig angedockt an das Raumschiff Unister.

 

Mysteriös ist auch die Rolle, die Rade bei der fatalen Venedig-Reise von Thomas Wagner spielte. In Italien soll der Unister-Chef einen vermeintlichen Kreditgeber getroffen haben, der sich als israelischer Diamantenhändler Levy Vass ausgab. Als Sicherheit sollte Wagner 1,5 Millionen in bar mitbringen und im Gegenzug umgerechnet zwölf Millionen Euro in Schweizer Franken erhalten. Die Übergabe fand statt, aber erst danach stellte Wagner fest, dass er auf Betrüger hereingefallen war. Nur die oberste Geldschicht im überreichten Koffer war echt, darunter lagen Blüten. In Italien erstattete Wagner Anzeige bei der Polizei, danach stieg er mit seinen Begleitern in die Piper PA 32, die sie zurück nach Leipzig bringen sollte. Warum die Maschine etwa eine halbe Stunde nach dem Start abstürzte, ist noch unklar. Die slowenische Luftfahrtbehörde untersucht den Fall.

 

Reinhard Rade war auffällig früh, als einer der Ersten, über den Absturz informiert und gab sein Wissen weiter, auch an Journalisten. Angeblich wusste er von alldem nur über den Geschäftsmann B. aus Hannover, der bei den Vorgesprächen im dortigen Hotel Luisenhof dabei gewesen war und die Reisepläne verfolgte. B. erklärt, er habe sich für einen eigenen Kunden über das Kreditgeschäft informieren wollen, sei aber wieder abgesprungen. Er sei bei diesem Drama lediglich ein Zaungast. So stellt sich auch Reinhard Rade dar. Aber es drängt sich die Frage auf: Hat Rade doch mehr mit diesem Fall zu tun?

 

Rund um die Venedig-Reise hatte Rade eigene Pläne. Einen gibt er zu: Er habe Thomas Wagner eine Falle stellen wollen. Rade hatte demnach vor, Wagner mit einer Anzeige zu stoppen, ihn wegen Geldwäscheverdachts in Italien von der Polizei festsetzen zu lassen. Er sagt: "Ich wollte Thomas Wagner an der Umsetzung seiner verrückten Pläne hindern. Dass es dabei auch negative Schlagzeilen über Wagner gegeben hätte, hätte ich in Kauf genommen." Indizien dafür habe er in den Wochen vor der Reise gesammelt und sie vor dem Start an die Polizei schicken wollen.

 

Doch geschehen ist es nicht. Warum? Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt sei er akut erkrankt, erklärt Rade. Aber das ist vielleicht immer noch nicht alles. Hat Rade eine noch größere Rolle gespielt? Schon ganz am Anfang, als Wagner sich verzweifelt auf die Suche nach Geld begab? Konstantin Korosides, ein ehemaliger Unister-Sprecher und enger Vertrauter Wagners, war immer wieder in Kontakt mit Rade. Nun erinnert sich Korosides an Informationen von Rade, die ihm seltsam vorkommen. Er will seine Aussage an die Staatsanwaltschaft weitergeben: "Etwa im März 2016 sagte mir Reinhard Rade, er kenne einen israelischen Milliardär, der Unister helfen könne."

 

Korosides, der über die finanzielle Not von Wagner wusste, habe gefragt, ob dieser Milliardär seriös sei. Als Rade dies bestätigte, habe er eingewilligt, diesen Kontakt an den Unister-Chef zu vermitteln. "Bis zum Absturz des Flugzeugs hatte ich von dem israelischen Milliardär nichts mehr gehört, zuckte aber zusammen, als eine solche Figur plötzlich doch wieder auftauchte", sagt Korosides. Reinhard Rade bestreitet, dass diese Erinnerungen zutreffen: Korosides bringe da etwas durcheinander. Er, Rade, habe damals von einem "russisch-israelischen Oligarchen" gesprochen, "und das muss bereits 2015 gewesen sein, weil ein Geschäftsfreund aus der Ukraine die Kontakte vermitteln wollte".

 

Handelt es sich nur um Zufälle und Missverständnisse, wie Rade beteuert? Oder steckt mehr dahinter? Eine kühne Frage lautet: Ist Rades Erzählung, er habe Wagners Reise in letzter Minute verhindern wollen, nur ein Manöver, um davon abzulenken, dass er viel länger schon und viel mehr wusste, als er zugibt? Das muss nun die Staatsanwaltschaft klären. Inzwischen sitzt ein Finanzmakler aus Unna in Untersuchungshaft. Er wird verdächtigt, an dem betrügerischen Kredit-Deal beteiligt gewesen zu sein.

 

Seit der Insolvenz der Unister-Holding steht für Rade und Schimanek viel auf dem Spiel. Noch immer dürfte die Loet AG als Parkplatz für Wertpapiere, Kredite und Grundstückseigentum dienen. Allein das Aktienpaket der Loet an der Travel24 ist noch rund eine Million Euro wert. Sollte auch diese Unister-Tochter in den Insolvenzstrudel geraten, wäre es wertlos. Rade jedenfalls macht Druck. "Es könnten unter anderem hohe Schadenersatzforderungen geltend gemacht werden", sagt er. Die Drohung richtet sich gegen die insolvente Unister- Holding. Die geht ihrerseits gegen Rades Freund Schimanek vor und fordert, die von der Loet gehaltenen Travel24-Aktien zurückzugeben. Auf Anfrage sagt ein Unister-Sprecher, von Akteuren mit rechtsextremer Vergangenheit im Konzern habe man bisher nichts gewusst. Das Unternehmen distanziere sich ausdrücklich von solchem Gedankengut.

 

Wer in diesen Tagen bei Unister anruft, landet oft in der Warteschleife. Und hat Gelegenheit, sich zu fragen, wie all die Geschichten zu der Stimmung passen sollen, die das Unternehmen offenbar nach wie vor mit seiner Warteschleifenmusik erzeugen will. Es ist die Unister-Stimmung vergangener Zeiten, denn dort läuft endlos der Song Bacardi Feeling.