Sahra Wagenknecht fühlt sich missverstanden. Nach ihren Äußerungen zu Angela Merkels Flüchtlingspolitik kann man fragen: Was ist eigentlich heute noch links?
Sahra Wagenknecht fühlt sich missverstanden. Ausgerechnet sie, deren Popularität sich auch aus ihrer Gabe speist, komplizierte ökonomische Verhältnisse talkshowgerecht zu servieren. Bei einem Thema wie Bankenregulierung hat sie bislang nie damit kämpfen müssen, dass jemand sie falsch versteht. Ihre Einstellung zur Riesterrente kann sie ebenfalls in einer halben Minute präsentieren. Das Verzocken der Renten auf den Kapitalmärkten über Mario Draghi und die EZB ist schon fast ein geflügeltes Wort. Nichts davon musste Sahra Wagenknecht jemals korrigieren. Nie fühlte sie Erklärungsbedarf. Das Ganze noch einmal in anderen Worten erklären? Niemals!
Aber dann kam die Sache mit den Flüchtlingen. Anfangs wurde nicht sie eingeladen, um über soziale Aspekte in der Flüchtlingspolitik zu sprechen, sondern ihr Ehemann Oskar Lafontaine. Ganz schleichend fing er an, "die deutschen Rentner" in Stellung gegen "die Flüchtlinge" zu bringen. Begriffe wie Zuzugsbegrenzung und Ausgabenobergrenze fielen. Außerdem die Einschätzung, dass es die humanste Lösung sei, syrische Flüchtlinge in ihren Nachbarländern unterzubringen. Dann kamen die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt und Lafontaines Taktik hatte einfach gar nichts gebracht. Nicht einmal die Dreiprozenthürde.
Nun versucht Sahra Wagenknecht ihr Glück. Nach der Silvesternacht in Köln kommentierte sie in einer Pressekonferenz über Flüchtlinge aus dem Maghreb: "Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt." Der Satz enthielt eine seltsame Prämisse. Nämlich die des Gastrechtes. Es gibt ein Recht auf politisches Asyl. Und eines auf der Basis der Genfer Flüchtlingskonvention. Sie löste eine Debatte innerhalb ihrer Partei aus. Über alles Mögliche wurde verhandelt. Man sprach über Abgrenzung und Ausgrenzung. Am Ende einigte man sich grob darauf, dass man für Flüchtlinge ist. Aber gut, was heißt das schon? Man sprach nicht darüber, ob man in der Partei Die Linke willkommen ist, wenn man mit Pegida sympathisiert oder gegen muslimische Flüchtlinge mobilisiert.
Als innerhalb weniger Tage drei Männer aus unterschiedlichen Motiven heraus Gewaltakte schockierenden Ausmaßes verübten, entschied sich Sahra Wagenknecht, es noch einmal zu wagen. Nach dem Selbstmordanschlag in Ansbach sagte sie einen Satz, den man so ähnlich schon tausendmal gehört hatte. Aus der CSU, aus der AFD, ja selbst von Sozialdemokraten, er ist einfach ein Klassiker des Flüchtlingsdiskurses. Er lautet:
... die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern ist mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger als Merkels leichtfertiges "Wir schaffen das", das sie uns im letzten Herbst einreden wollte.
Schön ist in diesem Satz die beiläufige Bemerkung der Leichtfertigkeit. Bundeskanzlerin Merkel war also leichtfertig. Tja, so ist sie, so kennt man sie, als fröhlichen uckermärkischen Springinsglück. Aber womit war sie leichtfertig? Geht es um die Wortwahl oder die Tat? Hätte die Kanzlerin die Flüchtlinge nicht von der Autobahn holen sollen oder hätte sie nicht "wir schaffen das" sagen sollen?
Die Linke drehte durch. Gegenstatements noch und nöcher. Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen sei nicht links. Replik Wagenknecht, natürlich alles nicht so gemeint. Sie habe etwas anderes sagen wollen. Fakt ist, sie hat es gesagt, aber nicht Tage, Wochen oder Monate zuvor, sondern im direkten Kontext zu einem mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlag.
Ist Rechtspopulismus links?
Wagenknecht verteidigte sich mit einem bemerkenswerten Aspekt, Probleme zu verschweigen sei wohl nicht links. Da war er also wieder! Noch in der Defensive heraus platziert sie einen weiteren Klassiker des Diskurses. Sie, die aufrechte, unerschrockene Sahra hat in einer gesellschaftlich beklemmenden Atmosphäre der Tabuisierung und politischen Korrektheit angesprochen, was bisher verschwiegen wurde. Nur, was genau wurde verschwiegen? Dass die Aufnahme und ordentliche Integration von Flüchtlingen mühsam ist? Oder dass Flüchtlinge alle kriminell sind und bald einer nach dem anderen ihr Gastrecht hochbomben? Ob sie in den letzten Monaten keine Zeitungen las? In Zusammenhang mit Flüchtlingen in Deutschland wird doch schon über gar nichts anderes mehr diskutiert, als über die Frage, wie gefährlich sie für die innere Sicherheit des Landes sind. Ob sie gefährlich sind, steht ja schon gar nicht mehr zur Disposition. Es war halt noch niemand von der Partei Die Linke dabei, der das so nicht gemeint aber gesagt hat.
Bleibt die Frage, was links ist. Auf jeden Fall scheint es neuerdings links zu sein, innerhalb der Linken darüber zu sinnen, ob Rechtspopulismus noch links ist. Die Anlässe und Streitigkeiten häufen sich, die Antworten aber bleiben aus. Ist es noch links, so wie Lafontaine es erfolglos versuchte, Armut in Bedürftigkeit erster und zweiter Klasse einzuteilen? Ist es links im Zusammenhang mit Gewalttaten die Aufnahme von Flüchtlingen zu kritisieren? Wie links wäre es, angesichts der Silvesternacht zu erkunden, warum Frauen sexuell gefährdet sind? Und in wieweit ungleiche ökonomische Verhältnissen und der Kapitalismus – der Zahncreme und Autos immer noch am besten verkauft, wenn er Frauen sexualisiert und gleichzeitig sozial benachteiligt – dabei helfen. Oder reicht auch hier ein robustes "kriminelle Ausländer raus"?
Über all das zu diskutieren wäre ein möglicher Weg herauszufinden, was linke Positionen der Partei Die Linke sein könnten. Denn dass in der Linken automatisch links und nicht auch rechts, rassistisch, sexistisch oder einfach nur diskriminierend gedacht wird, ist ja ein Mythos. Genauso wie es ein Mythos ist, dass in der CDU christlich gedacht und gehandelt wird und in der SPD und so weiter.
Fest steht jedenfalls, und das halten wir hiermit offiziell fest: Sahra wurde missverstanden.