Wer glaubt, den Hausbesetzern in der Rigaer Straße ginge es nur um sinnlose Gewalt, der irrt.
In Berlin brennt es. In nur einer Nacht standen letztens 17 Autos in Flammen oder wurden zerstört - in allen Ecken der Stadt: von Köpenick über Pankow, Prenzlauer Berg, Neukölln bis nach Steglitz. Die Autobrände sind oft Ausdruck der Wut linker Hausbesetzer und derer, die sich mit ihnen solidarisch erklären.
Was steckt hinter dem Protest? Ist es ein Aufschrei gegen die zunehmende Gentrifizierung, wie die Aktivisten sagen? Oder ist die Gentrifizierungskritik eine Deckvokabel für "willkürlichen Terror", wie es Berlins Innensenator Frank Henkel sagt? Viele vermuten blanken, sinnlosen Hass hinter den Anschlägen und machen ihre Annahme an drei Argumenten fest: Die Gewalt sei im Gegensatz zu früheren Zeiten nicht mehr zielgerichtet, die Aktivisten seien weder kompromiss- noch dialogfähig und ihre Stimmungsmache maßlos. Doch so einfach ist es nicht.
Das Thema beschäftigt die Berliner Politik enorm, seit am 9. Juli in Friedrichshain die Gewalt bei einem Protestmarsch eskalierte. Die Demonstrierenden brachten ihre Wut über die Räumung der Hausbesetzerkneipe "Kadterschmiede" in der Rigaer Straße 94 vom 23. Juni hemmungslos zum Ausdruck. Die Bilanz: 123 verletzte Polizisten.
Seither waren immer wieder Parolen wie "R94 bleibt" an niedergebrannten Fahrzeugen hinterlassen worden. Die Strategie dahinter, laut Kommentaren auf linksunten.indymedia: Der Konflikt solle "dezentral" vorangetrieben werden, "für die Bullen unkontrollierbar und der reinste Albtraum".
Manche verstehen diese Haltung als blinde Zerstörungswut, etwa der Extremismusforscher Rudolf van Hüllen von der Uni Passau: "Gewalt wird mehr und mehr als Event verstanden", sagte er dem Münchner Merkur. Linke Gewalt, sagt van Hüllen, sei üblicherweise an Ziele gebunden, die Leute protestierten gegen von ihnen empfundene Ungerechtigkeit, allerdings ohne Schäden im Übermaß anzurichten oder Unbeteiligte zu verletzen. "Nach meinem Eindruck sind der heutigen Szene diese ideologischen Grundsätze nicht mehr bekannt." Wüten die Autonomen also um der reinen Gewalt willen?
Van Hüllens Forscherkollege Klaus Schroeder von der Freien Universität widerspricht energisch: "Das ist Quatsch. Es gab immer schon Leute, die den Kick der Gewalt brauchten - damals wie heute. Die Strategien, die dahinterstecken, haben immer die gleiche politische Gewaltaussage: 'Wenn ihr nicht das macht, was wir wollen, dann erntet ihr Gewalt.'"
Mit dieser Drohung setzen die Beteiligten die Politik unter Druck, der Mechanismus, mit Gewalt zu drohen und wenn was passiert mit Gewalt zu antworten, damit man beim nächsten Mal ernst genommen wird, ist immer der gleiche. Ob in den Achtzigerjahren in Kreuzberg, in den Neunzigern in der Mainzer Straße oder jetzt in Friedrichshain.
Doch jetzt brennen Autos, was freilich den Umstand verdeckt, dass die Gewalt insgesamt inzwischen zurückgegangen ist, weil es nicht mehr so viele besetzte Häuser und deswegen nicht mehr so viele Gewalttäter gibt. Autos "abzufackeln" gilt in der Szene inzwischen als probates und effizientes Kampfmittel. Denn wer dabei aufpasst, wird kaum erwischt. Auf linksunten.indymedia wird die Taktik propagiert. Es müssten noch viele weitere Autos brennen, heißt es dort.
Aus illegaler Besetzung wurden reguläre Mietverhältnisse
Was von außen als reiner Vandalismus erscheint, steht aus Sicht der Vandalen selbst also durchaus für eine politische Strategie. Den Randalierern in der Rigaer Straße wird der politische Anspruch aber auch abgesprochen, weil sie zum Dialog nicht bereit seien und als unfähig gelten, Kompromisse einzugehen - anders als früher.
Den Berliner Hausbesetzungen der Siebziger- und frühen Achtzigerjahre haftete immer auch eine gewisse Sozialromantik an, weil sie sich oft durch Vereinbarungen mit den Hauseigentümern befrieden ließen. Die Bürgerinitiativen, die sich vor 40 Jahren in der Frontstadt West-Berlin heruntergekommener Gründerzeitbauten bemächtigten, wurden in diesen häufig konstruktiv. Da wurde entrümpelt, gestrichen und repariert. Mancher Eigentümer änderte seine Haltung gegenüber den Besetzern.
Plötzlich standen Bau- und Putzkolonnen vor der Tür, um den illegalen Bewohnern zu helfen, und im Anschluss einigte man sich auf Mietverträge zu moderaten Konditionen. Aus der illegalen Besetzung wurden reguläre Mietverhältnisse. In der Rigaer Straße 94 ist daran nicht zu denken. Hier stieß ein weitgehendes Kompromissangebot des Eigentümers auf Ablehnung. Die gemeinnützige Edith-Maryon-Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, Immobilien der Spekulation zu entziehen, sollte das Grundstück kaufen und das Gebäude den Besetzern in Erbpacht für 99 Jahre überlassen.
"Sie wollen nicht die Entpolitisierung des Konflikts"
Für die Finanzierung war das Freiburger MietsHäuserSyndikat gewonnen worden, das schon etwa 100 solche Projekte unterstützt, sogar in unmittelbarer Nachbarschaft - im Haus Rigaer Straße 78. Die Gentrifizierung der Rigaer Straße wäre gestoppt worden, doch die Besetzer lehnten das Angebot ab.
Ihre Begründung spricht allerdings nicht unbedingt für den Primat des Querulantentums, wie ihnen vorgeworfen wird, sondern im Gegenteil vielleicht sogar für eine besonders politische Haltung: "Die Erfahrung zeigt, dass aus den gekauften Hausprojekten auf lange Sicht keine von deren Kollektiv getragenen politischen Aktionen mehr kommen ... So gab es die berechtigte Sorge, dass es in unserem Haus über die Jahre zu einer ähnlichen Entwicklung wie in anderen Projekten kommen könnte, dass es durch das Fehlen des äußeren Druckes zu Nestbautrieb und verstärkten Schöner-Wohnen-Aktivitäten kommen könnte", heißt es auf linksunten.indymedia.
"Der harte Kern der Besetzer will nicht legalisiert werden", sagt Schroeder. "Das ist die Erfahrung aus Kreuzberg in den Achtzigerjahren, wo die auf Legalität ausgerichteten Leute die Häuser übernommen haben. Sie wollen aber nicht die Entpolitisierung des Konflikts. Die Hardliner halten die Gentrifizierung für ein Politisierungsthema mit dem Gewalt gerechtfertigt werden kann, deswegen ist die Stiftung unerwünscht".
Zum Teil schon RAF-Sprache
Ein Gegensatz zur früheren Hausbesetzerszene ist das allerdings nicht. Denn damals gab es auch schon Leute, die die Legalisierung nicht wollten, doch dann setzten sich die Friedlichen durch, die gegen die Militanten die Mietverträge abschlossen. Der Unterschied zu früheren Zeiten besteht lediglich darin, dass sich damals die andere Fraktion durchsetzte.
Einen Bruch mit der Berliner Tradition der Instandbesetzungen machen Kritiker der R94-Aktivisten allerdings auch an deren verbalen Radikalität fest.
Tatsächlich werden die Kommandoerklärungen auf linksunten.indymedia immer unappetitlicher. Zum Teil ist das schon RAF-Sprache. Es ist nicht mehr nur von "Bullen" oder "Bullenschweinen" die Rede, sondern vor allem von "Schweinen" - die vollständige Entmenschlichung der Polizisten.
Ausdrucksweise ist nicht nur bei den Linksextremisten drastischer geworden
Fast noch schlimmer: Die Extremisten kündigen die ungehemmte Anwendung von Gewalt an. Bisher sei alles daran gesetzt worden, dass Leben von Polizisten zu verschonen, doch wenn der Konflikt weiter eskaliere, müsse das eigene Verhältnis zur Gewalt überdacht werden. Kann heißen: Es würde auch geschossen werden. Dass bei der Demo am 9. Juli 123 Polizisten verletzt wurden, wird ausdrücklich gelobt.
So rabiat das klingt: Es wäre voreilig, die Verschärfung des Tons gegenüber früheren Zeiten automatisch als größere Gewaltneigung zu Lasten des politischen Anliegens zu deuten. Denn mit dem Internet ist die Ausdrucksweise nicht nur bei den Linksextremisten drastischer geworden, sondern überall. Und es darf angenommen werden, dass die Hausbesetzer früher in der Kneipe beim Bier auch schon verbal über die Stränge geschlagen haben: Was Joschka Fischer als Straßenguerillero im Frankfurter Häuserkampf der Sechzigerjahre von sich gab, war sicher auch nicht immer druckreif. Nur hat das damals niemand mitbekommen.
Die Berliner Hausbesetzerszene vertritt ihr Anliegen durch brennende Autos und im Internet aggressiver als in alten Kreuzberger Tagen. Die Gewalt hat allerdings insgesamt abgenommen. Den Kämpfern der Rigaer Straße zu unterstellen, dass sie im Gegensatz zu früheren Kollektiven gar keine politische Botschaft mehr hätten, geht an der Sache vorbei. Bei aller Gewaltbereitschaft, die dabei mit im Spiel ist.