Der Prozess gegen Männer, die in Altena eine Asylunterkunft anzündeten, offenbart das Versagen der Ermittler: Hitler-Fotos und rassistisches Material auf den Handys der Täter fielen ihnen nicht auf.
Für die Ermittler ist die verharmlosende Version der Täter glaubhaft: Zwei junge Männer zünden in der nordrhein-westfälischen Stadt Altena ein Haus an, in dem eine syrische Flüchtlingsfamilie wohnt, und behaupten: Sie hätten niemanden töten wollen, sondern nur "Angst" vor Fremden gehabt.
Die Staatsanwaltschaft Hagen sieht auch keine Hinweise auf rassistische Motive, als sie die Anklageschrift anfertigt. Alles unpolitisch, hat nichts mit rechts zu tun, so scheint es. Fast klingt es, als hätten Bürger aus Besorgnis überreagiert. Doch das wäre eine zynische Sicht – denn die Wahrheit sieht anders aus.
Seit einigen Wochen verhandelt das Landgericht Hagen gegen den 25-jährigen Feuerwehrmann Dirk D. und den ein Jahr jüngeren Zerspaner Marcel N. wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung. Nun hat sich herausgestellt, dass die Angeklagten rassistisches und neonazistisches Material per Handy empfingen beziehungsweise verbreiteten. Feuerwehrmann D. soll auch rechtsextreme Facebook-Seiten "gelikt" haben, auf denen über Minderheiten und Flüchtlinge gehetzt wurde.
Fast 52.000 Bilder durchforstet
Herausgefunden hat das aber niemand bei der Polizei, noch nicht einmal die Abteilung Staatsschutz, die mit den Ermittlungen befasst war. Jost von Wistinghausen und Mehmet Daimagüler, die Anwälte der in Lebensgefahr geratenen Familie, die als Nebenkläger auftritt, haben dies aufgedeckt. Sie haben selbstständig die fast 52.000 erhaltenen und zum Teil wieder hergestellten Handyfotos durchforstet.
Die beiden Anwälte vertreten parallel Hinterbliebene im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München und sind schockiert über die Handyinhalte der Brandstifter von Altena. Sie haben nun Dienstaufsichtsbeschwerde gegen zwei Kriminaloberkommissare und andere eingereicht, die ermittelt haben. Sie wollen klären, wie es zu diesem aus ihrer Sicht "schweren polizeilichen Fehler" gekommen ist.
Die Opferanwälte haben angesichts des gravierenden Versäumnisses den Justizminister und den Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty und Ralf Jäger (beide SPD), über die Dienstaufsichtsbeschwerde schriftlich informiert und um eine Bewertung der Sachlage gebeten. Womöglich wird sich auch der Landtag in seinen Ausschüssen mit dem Fall Altena beschäftigen.
"Die Handys und Facebook-Profile der beiden Angeklagten enthielten rechtsextreme und rassistische Einträge. Wie kann ein erfahrener Staatsschutzbeamter bei der Sichtung der Handyinhalte so etwas übersehen und erklären, es gäbe keine verfahrensrelevanten Aspekte?", fragt sich Anwalt von Wistinghausen.
"Eingeschränkte Wahrnehmung quer durch die Republik"
Für ihn wird ein größeres Problem deutlich, das über den Fall Altena hinausreicht. "Ich habe den Eindruck, dass Staatsanwaltschaften quer durch die Republik eine eingeschränkte Wahrnehmung bei der Bewertung von rassistischen Einstellungen und Inhalten haben. Solange jemand nicht in einer Partei oder in einer Gruppe organisiert ist, wird es nicht als Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit eingestuft", meint der Nebenklägervertreter.
Die Linke in Nordrhein-Westfalen ist alarmiert über den Verlauf der Ermittlungen beim Brandanschlag von Altena. "Eine solche groteske Fehleinschätzung kann man nur schwer noch als fahrlässig bezeichnen, das grenzt an eine bedingt vorsätzliche Verzerrung der Beweislage", erklärt Jasper Prigge, innenpolitischer Sprecher der NRW-Linken. "Hasskriminalität" müsse bei der Polizei als solche erkannt und verfolgt werden.
Tatsächlich ist schwer nachzuvollziehen, warum geschulten Beamten des Staatsschutzes in Hagen die menschenverachtenden Inhalte nicht aufgefallen sind. Die Angeklagten Dirk D. und Marcel N. hatten offenbar Spaß an Darstellungen von Erniedrigungen.
Die beiden Freunde bekamen und verteilten per Handy auch Bilder mit dem Konterfei von Adolf Hitler – garniert mit Sprüchen, wie sie in der Szene wohl für witzig gehalten werden. "Du bist lustig, dich vergase ich zuletzt", lautete einer. Ein anderer: "Ein deutscher Schäferhund geht nicht Gassi, er rückt aus." Ein Delfin mit montiertem Hitler-Kopf – ein "Adolfin" – war auf dem Handy zu finden, eine Propangasflasche mit Porträt des NS-Diktators oder die blaue Facebook-Hand mit Daumen, als Hitlergruß pervertiert, mit dem Hinweis "Hitler gefällt das".
Immer wieder ging es gegen Minderheiten, verbreiteten die beiden ausländer- und behindertenfeindliche Witze. Bei N. fand man das Bild eines Schwarzen mit amputierten Unterarmen und dem Satz auf Englisch: "Wenn du fröhlich bist und das weißt, dann klatsche in die Hände."
"Altena ist sicherlich kein Einzelfall"
Wie rechts muss man als Täter sein, bis die Polizei das auch erkennt? Diese Frage stellt sich Anwalt Mehmet Daimagüler. "Es kann doch nicht sein, dass Nebenklageanwälte das entdecken, was die Polizei hätte entdecken müssen."
Für Daimagüler wirkt das Polizeiversagen vor dem Hintergrund des NSU-Falles umso schwerer. "Was ist das Versprechen der Politik wert, mit der ganzen Härte des Rechtsstaates gegen Rassisten vorzugehen, wenn die Polizei das Offensichtliche nicht sieht oder nicht sehen will?", fragt Daimagüler. Bei ähnlich gelagerten Verfahren würden möglicherweise keine Hinterbliebenen als Nebenkläger auftreten und die Arbeit der Polizei kontrollieren. "Altena ist sicherlich kein Einzelfall", meint Daimagüler.
Der Strafprozess gegen die beiden Brandstifter von Altena offenbart, wie sich die Täter über die sozialen Medien radikalisierten, ohne dass sie in der rechten Szene organisiert sind. Ähnlich war es bei dem Messer-Attentäter, der Henriette Reker (parteilos) im Kölner Bürgermeisterwahlkampf schwer verletzt hatte. "Man braucht heutzutage kein NPD-Parteibuch mehr oder muss einer Kameradschaft angehören, um rechts oder neonazistisch zu sein. Das sollten auch die Staatsschutzabteilungen der Kripo mitbekommen haben", sagt Daimagüler.
Vor diesem Hintergrund wirkt die ursprüngliche Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hagen grotesk: Die Brandstifter seien bisher nicht als rechtsmotivierte Täter bekannt, Durchsuchungen und Zeugenbefragungen hätten keine Hinweise zu diesem Kriminalitätsbereich offenbart. Die Staatsanwaltschaft ging daher zunächst lediglich von schwerer Brandstiftung aus – bis die Anwälte der Nebenkläger intervenierten.
Daimagüler und von Wistinghausen stellten vor dem zuständigen Schwurgericht am Landgericht Hagen den Antrag, dass beim Prozess ein dringender Tatverdacht wegen siebenfachen versuchten Mordes zu berücksichtigen sei. Das Gericht hielt dies für plausibel und folgte dem Antrag.