Vier Monate sind vergangen, seit Vertreter des „Social Center“ mit Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) im Rathaus über die Zukunft ihrer Initiative gesprochen haben. Anschließend gaben sich beide Seiten optimistisch. Gemeinsam wolle man nach einer geeigneten Liegenschaft suchen, hieß es. Doch daraus ist offenbar nichts geworden. Die jungen Aktivisten wollen die Sache nun wieder selbst in die Hand nehmen.
„Die Stadt ließ uns hängen, der OB hat uns übers Ohr gehauen.“ Liest man den Ankündigungstext in der Facebook-Veranstaltung für das wöchentliche Plenum, so wird schnell klar: Die gemeinsame Suche nach einem „Social Center“ ist gescheitert. Genau das hatten sich Vertreter der gleichnamigen Initiative und der Stadt Anfang März öffentlich auf die Fahne geschrieben.
Zuvor hatten dutzende Besetzer in der ehemaligen Führerscheinstelle in der Platostraße ein Zeichen gesetzt, dass sie es mit ihrem Vorhaben ernst meinen. Nach einem Wochenende der Duldung lud Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) eine Delegation zu sich ins Rathaus ein. Ergebnis der Gespräche: Gemeinsam wollte man nach einer geeigneten Liegenschaft suchen. Jung verurteilte damals die gewählte Aktionsform der Besetzung, äußerte jedoch Verständnis für die „ehrenwerten“ Motive seiner Gäste: „Diese jungen Menschen verzweifeln fast an den rassistischen Zuständen in Sachsen.“
Seitdem trifft man sich jeden Mittwochabend an einem wechselnden Ort in Leipzig – diesmal ist das Conne Island an der Reihe. Zehn Personen sitzen in einer Art Seminarraum um mehrere aneinandergestellte Tische. Heute sind es ein paar Leute weniger als üblich. Auf zwei großen Blättern hängt die geplante Tagesordnung aus. Nach einigen Änderungswünschen geht es in die inhaltliche Diskussion. Wer reden will, meldet sich; man hört einander aufmerksam zu und lässt den anderen aussprechen. Auch jene, die sich eher zurückhalten, werden irgendwann gebeten, ihre Meinung zu einem bestimmten Thema zu äußern. Das ist wichtig, weil das Plenum im Konsens entscheiden möchte.
Detailfragen wie „Wollen wir einen Artikel über die Besetzung des Regensburger Doms durch Refugees auf unserer Facebook-Seite teilen?“ werden ebenso diskutiert wie die Frage, mit welchen auf die Initiative selbst bezogenen Themen man an die Öffentlichkeit gehen möchte. Nach einer halben Stunde verteilt einer der Anwesenden mehrere Zettel. Darauf sind Fragen und Antworten zu lesen, die das Selbstverständnis der Kampagne definieren sollen. Die anderen Plenumsteilnehmer formieren sich um die Zettel und hinterlassen Anmerkungen. Demnächst soll eine fertige Fassung für die Öffentlichkeit vorliegen.
Mittlerweile können sich die Aktivisten wieder auf das Wesentliche konzentrieren. Vor etwa ein bis zwei Monaten war das noch anders. Nachdem die Kampagne im Oktober 2015 mit viel Zuspruch und öffentlichem Interesse gestartet war und mithilfe zweier kurzer Besetzungen erfolgreich für sich geworben hatte, nahmen Kritik und Rückschläge deutlich zu. So meldeten sich schon während der Besetzung in der Platostraße die Stadtratsfraktionen von Grünen und SPD zu Wort. Erstere beklagten eine Instrumentalisierung von Geflüchteten und verwiesen auf ihr – mittlerweile ins Stocken geratene – Willkommenszentrum; letztere wunderten sich über zu diffuse Positionen. Auf Nachfrage teilten beide anschließend mit, dass ihnen keine Stadträte der jeweiligen Fraktion bekannt seien, die vor Veröffentlichung der Pressemitteilungen den persönlichen Kontakt zu den „Social Center“-Aktivisten gesucht hätten.
Kurz nach dem Ende der Besetzung in der Platostraße tobte dann eine vor allem auf der Online-Plattform Indymedia geführte Auseinandersetzung. Kritisiert wurden dabei sowohl einzelne Äußerungen als auch die allgemeine Stoßrichtung des „Social Center“. In seltener Deutlichkeit wurden dabei Bruchstellen innerhalb der Leipziger Linken für die Öffentlichkeit sichtbar – sowohl zwischen Radikalen und Pragmatikern als auch zwischen Platzhirschen und Neulingen.
„Es war definitiv ein Fehler, so lange mit einem eigenen Statement zu warten“, erklärt Aktivistin Noa König rückblickend. „In dieser Zeit konnte sich die Blase richtig aufpumpen.“ Mittlerweile habe man die Kritik am „Social Center“ mehrmals intern thematisiert. „Es ist gut, dass diese Diskussionen stattgefunden haben. Zwischendurch haben sie mir jedoch ein bisschen die Motivation genommen.“
Selbiges ließe sich womöglich auch über die Gespräche mit der Stadt sagen. Zweimal habe man sich seit dem OBM-Dialog mit Vertretern der Stadt getroffen, letztmals Anfang April. Mehrere Kontaktversuche per E-Mail, auch mit konkreten Terminvorschlägen für weitere Gespräche, seien danach unbeantwortet geblieben. Auch eine zugesagte Liste mit Liegenschaften, die als mögliche Unterkünfte für Geflüchtete verworfen wurden, habe man bis heute nicht erhalten.
Über die Gründe des Scheiterns können die Aktivisten nur spekulieren. „Die Leute, die dort sitzen, sind Machtmenschen, die für soziale Belange nicht aus ihrem engen, hierarchischen System heraustreten wollen“, glaubt König. „Wir hatten das Gefühl, dass die Leute inhaltlich verstanden haben, worum es uns geht.“ Sie vermutet, dass auch wirtschaftliche Belange für das Desinteresse verantwortlich sind. Die zuständigen Mitarbeiter der Stadt befinden sich laut Pressestelle derzeit nicht im Dienst. Mit einer Stellungnahme sei deshalb erst in etwa zwei Wochen zu rechnen.
Hätte man die Platostraße also nicht freiwillig räumen dürfen? „Damals war es die richtige Entscheidung“, sagt König und ergänzt: „Es war die Entscheidung des Plenums im Gebäude. Da wir uns nicht militant verteidigen wollten, wären wir ohnehin geräumt worden.“ Fest steht aber auch: „Wir haben damit unser Druckmittel aus der Hand gegeben.“ Im Moment arbeitet die „Social Center“-Initiative an der Vernetzung mit anderen politischen Akteuren. „Wir sind auf vielen Veranstaltungen präsent, um uns und die Idee eines sozialen Zentrums weiter ins Bewusstsein der Menschen zu rücken“, erklärt König.
Bei ihrem Treffen im Conne Island wirken die Aktivisten engagiert und zielstrebig. Sollten die Verantwortlichen der Stadt mit ihrer Hinhaltetaktik das Gegenteil beabsichtigt haben, so dürfte dieser Plan gescheitert sein.