Report: So tickt der Leipziger Problem-Kiez

Erstveröffentlicht: 
03.07.2016

Leipzig - Seit der tödlichen Schießerei unter Rockern vor einer Woche ist Leipzigs Eisenbahnstraße wieder mal in aller Munde. Die gut zwei Kilometer lange Magistrale im Osten der Messestadt gilt schon lange als Sachsens heißestes Pflaster.

 

Sie ist Schmelztiegel der Nationen, Kriminalitätsschwerpunkt und Paralleluniversum, in dem Behörden Mühe haben, die Kontrolle zu behalten.

 

Will man den Kiez verstehen, muss man die Geschichte der Eisenbahnstraße kennen. Zu DDR-Zeiten war die Ernst-Thälmann-Straße, wie sie damals hieß, eine florierende Geschäftsmeile im heruntergekommenen Leipziger Osten.

Nach der Wende änderte sich das schlagartig.

 

Die meisten Läden waren der Übermacht der Supermärkte und Warenhäuser nicht mehr gewachsen und schlossen.


Auch das Gros der Bewohner verschwand - arbeitsbedingt in den Westen oder in bessere Viertel. Zurück blieben verfallene Häuser.

 

Während sich die Immobilienbranche auf andere Stadtteile stürzte, entdeckten Einwanderer die Eisenbahnstraße, in der Wohnungen und Läden billig zu mieten waren. Migranten aus aller Herren Länder, vor allem aber Araber, Kurden, Nordafrikaner, Russen und Osteuropäer siedelten sich nun an.

 

„Viele dieser Einwanderer hatten zu Hause schlechte Erfahrungen mit den Ordnungsbehörden gemacht, sei es wegen Korruption oder Gewalt - und dieses mangelnde Vertrauen in den Staat wird hier weiter gelebt“, beschreibt Andreas Loepki (37), Chef des Leipziger Polizei-Direktionsbüros, eines der Hauptprobleme auf dem Kiez.

 

Das führe dazu, dass Clans ihre Konflikte intern zu lösen versuchen. Oft mit Gewalt.


Wie vor anderthalb Jahren, als nach Massenschlägereien und Messerattacken zwischen Syrern und Irakern eine syrische Großfamilie umgesiedelt werden musste.

 

„Die Hemm- und Reizschwellen sind hier anders ausgelegt - da reichen oft Nichtigkeiten aus, die dann zu massiver Gewalt führen“, weiß Loepki. Auch Messer und Schusswaffen sitzen hier lockerer als anderswo.

 

In der Kriminalitätsstatistik liegt der Eisenbahnstraßen-Kiez, der sich über die Stadtteile Neustadt, Neuschönefeld und Volkmarsdorf erstreckt, mit 508 bekannt gewordenen Gewaltdelikten und 1877 Diebstählen im Jahr 2015 weit vorn.

 

Und auch die organisierte Kriminalität ist hier zu Hause. Vor allem Drogenhandel, illegales Glücksspiel und Schutzgelderpressung gedeihen auf der Eisenbahnstraße prächtig.

 

„Als Anfang der 90er Jahre rund um den Hauptbahnhof massiv polizeiliche Videoüberwachung eingeführt wurde, hat das die Dealerszene in den Osten verdrängt“, berichtet ein Fahnder.


Auf der Eisenbahnstraße gibt es inzwischen eine fast offene Drogenszene. Geschäfte werden meist in Hauseingängen abgewickelt oder in den angrenzenden Parkanlagen.

 

Die Polizei ist dauerpräsent, erwischt aber oft nur Kleindealer und Konsumenten. „Das ist ein Kratzen an der Oberfläche“, gibt selbst Polizei-Sprecher Loepki offen zu. Ein weiterer Konfliktpunkt ist das schier ungezügelte Wachstum an Zockerbuden und Wettbüros.

 

Neben drei großen Spielhallen auf ungesetzlich engem Raum finden sich auf der Eisenbahnstraße Dutzende Cafés, die voll sind mit überwiegend illegal aufgestellten Spielautomaten.

 

Jede Nacht, so schätzen es erfahrene Ermittler ein, werden hier zigtausende Euro verzockt.


Ein großer Kurden-Clan, Albaner, Nordafrikaner und Rumänen dominieren das Geschäft, das inzwischen mehr Profit abwerfen soll als der Drogenhandel.

Auch führende Mitglieder des im Mai gegründeten Leipziger Chapters der „United Tribuns“ verdienen ihr Geld mit Automaten. 

 

In der Szene heißt es zudem, dass die Betreiber dieser Zockerbuden entweder von einem ganz bestimmten Anbieter ihre Automaten beziehen oder Schutzgeld zahlen sollen.