Als Martin Schöler am 11. März 2015 seinen Facebook-Account öffnete, blickte er auf einen Fahndungsaufruf mit seinem Gesicht. "Gesucht wegen sexueller Belästigung von Kindern in Leipzig", stand über seinem Bild, darunter: "Hinweise bitte an das Polizeipräsidium Leipzig oder jede andere Polizeidienststelle". Auf einer Seite stand unter dem Post: "Wir bitten um Mithilfe bei der Selbstjustiz".
"Für mich war das sehr, sehr erschreckend", erinnert sich der Leipziger Journalist heute. Auf Facebook wurde das Bild eifrig geteilt. Vor allem Leipziger Fußballfans verbreiteten es weiter. Da er mit einigen Fußballfans befreundet ist und einzelne ihn auf dem Foto erkannten, dauerte es nicht lange, bis die ersten Drohungen in seinem Posteingang landeten. "Die haben mir Nachrichten geschrieben, na ja, wie der deutsche Lynchmob halt tobt", erzählt Schöler.
Immerhin wusste Schöler, was zu tun war: Er machte sich auf die Suche nach den Facebook-Profilen, die das Bild ursprünglich hochgeladen und gepostet hatten. Es waren alte Bekannte: Zwei Rechtsextreme aus dem Leipziger Raum—und Benjamin Brinsa, ein Leipziger MMA-Kämpfer, dem seit Jahren vorgewurfen wird, eng mit der rechten Szene verbunden zu sein.
Brinsa und Schöler haben zwar nie mehr als ein paar Worte gewechselt, aber sie kennen sich schon lange. Um 2010 begann Schöler, als freier Journalist darüber zu berichten, wie die rechte Fangruppe Scenario Lok die lokale Fußballfan-Szene unterwandert. Brinsa gab vor dem Landgericht Leipzig später selbst zu, Mitglied bei Scenario Lok gewesen zu sein. Seit spätestens 2012 wird die Gruppierung vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft.
Seit 2012 war Schöler wegen seiner Berichterstattung im Visier der rechtsextremen Hooligans. Damals zeigte ihn Thomas Persdorf an, der als Größe in der Neonazi-Szene gilt. Persdorf beschuldigte Schöler, Fotos von ihm in einem lokalen Antifa-Flyer veröffentlicht zu haben. Das Verfahren wurde zwar wegen mangelnden Tatverdachts eingestellt, aber seitdem scheinen Persdorf und andere Schöler zu ihrem persönlichen Feind auserkoren zu haben. "Die haben mich gesehen, wie ich auf den Demos Fotos mache, und dachten wohl, ich sei ein großer Antifa-Aktivist und, dass ich von allen Seiten auf sie schieße", sagt Schöler. Persdorf ist mit Brinsa nicht nur befreundet—die beiden waren sogar Geschäftsführer einer gemeinsamen Firma, der "A&B Service UG", die eine Zeitl ang die Webseite "Aryan Brotherhood" (Arische Brüderschaft) betrieb.
Brinsas Traum von Amerika platzt
Das Ganze wurde für Benjamin Brinsa zum Problem, als er als Mixed-Martial-Arts-Kämpfer immer mehr Erfolg hatte. Der Leipziger wurde zu überregionalen Kämpfen eingeladen. Gleichzeitig mehrten sich in verschiedenen MMA-Foren Berichte, die Brinsa einen rechtsextremen Hintergrund vorwarfen. 2012 lud ihn der Veranstalter des größten deutschen MMA-Turniers vom Hauptkampf des Abends aus. Brinsa hätte den deutschen Titelverteidiger herausfordern sollen.
Trotzdem sah es 2013 so aus, als würde Brinsa den Durchbruch als Profi-Kämpfer schaffen. Die amerikanische Ultimate Fighting Championship (UFC) lud ihn ein—der Traum für jeden ambitionierten Freefighter. In Foren tauchten aber bald erneut dieselben Vorwürfe auf, und schließlich kündigte die UFC nach einer juristischen Prüfung den Vertrag mit Brinsa. Dem Leipziger Kämpfer war die Chance seines Lebens entgangen. Und offenbar machte er den Journalisten Martin Schöler dafür verantwortlich.
Zum Beispiel gab Brinsa im Dezember desselben Jahres einem bekannten US-Blogger ein Interview. Der schrieb daraufhin einen Artikel, in dem er behauptete, Brinsas UFC-Rauschmiss sei das Werk eines wahnsinnigen Linksradikalen namens Martin Schöler, der Brinsa auf Schritt und Tritt verleumde und außerdem ein vom FBI beobachteter Terrorist sei. Um dieselbe Zeit wurde Schöler in Leipzig auf offener Straße von zwei Vermummten angegriffen und zusammengeschlagen. "Es deutete alles darauf hin, dass es sich um eine gezielte Aktion aus dem rechtsextremen Lok-Milieu gehandelt hat", sagt Schöler. Die Polizei konnte die Täter nicht ermitteln.
Die rechte Whatsapp-Verschwörung
Als er den Steckbrief mit seinem Bild auf Brinsas Facebook-Seite sah, war die Sache für Schöler klar: Er stellte Strafanzeige. Im Zuge der Ermittlungen wurde Brinsas Handy beschlagnahmt. Wie aus der VICE vorliegenden Ermittlungsakte hervorgeht, fanden die Ermittler verschiedene Whatsapp- und Facebook-Chats. Darin stießen die Ermittler auf das Bild von Schöler und Entwürfe des Steckbriefs. Brinsa, so der Schlussbericht der Leipziger Polizei, bat darum den Steckbrief kräftig zu teilen. "bei fb veröffentlichen vielleicht schreibt jemand die adresse drunter", schreibt T. in der Chat-Gruppe, "dann hoffen wir mal auf Hinweise aus der bevölkerung", schreibt Brinsa selbst. "gerade frauen werden drauf anspringen und teilen", antwortet Heiko B..
Aus dem Chatprotokoll wird klar, dass sich die Gruppe um Brinsa von Schöler verfolgt fühlt. Tom Persdorf schreibt: "wenn ich denke was das Schwein schon zerstört hat war das nichts bis jetzt". Ein Andreas N. pflichtet ihm bei: "Hoffentlich bekommt dieses Perverse SCHWEIN das was es verdient. Dem müsste man den Schwanz abschneiden". Interessantes Detail: In der Gruppe ist außer Brinsa, Persdorf und einigen anderen auch Paul Rzehaczek, der sächsische Vorsitzende der Jungen Nationaldemokraten.
Wie ein Sprecher bestätigte, hat das Amtsgericht Grimma gegen Brinsa jetzt Strafbefehl wegen Verleumdung und unerlaubter Verbreitung eines Bildnisses erlassen, 90 Tagessätze zu 30 Euro. Dagegen hat Brinsa Einspruch eingelegt, das heißt, dass es irgendwann demnächst zu einem öffentlichen Verfahren kommen wird.
Warum ein erfolgreicher Sportler diesen ganzen Stress riskiert, nur um einem Lokaljournalisten eins auszuwischen, wird wohl Brinsas Geheimnis bleiben. "Zum einen wollten sie mich einschüchtern", glaubt Schöler. "Und dann haben sie gehofft, dass sie so vielleicht meine Adresse herausfinden. Es geht aus den Chats hervor, dass es schon in der Vergangenheit Bemühungen gab, meine Anschrift zu ermitteln oder mir aufzulauern, um sich bei mir zu rächen."
Macht es Schöler Angst, dass eine Gruppe von Rechtsradikalen um einen Kampfsportler mit dem Kampfnamen "The Hooligan" es dermaßen auf ihn abgesehen hat? "Ich habe vor diesen Leuten keine Angst", erklärt Schöler. "Die Frage stellt sich für mich nicht, sonst könnte ich nicht weiter berichten." Demnächst werden die beiden sich also wieder vor Gericht begegnen—diesmal wird Brinsa der Angeklagte sein.