Experten: Rechte Agitation fördert Übergriffe

Erstveröffentlicht: 
21.06.2016
Ost-Verfassungsschützer beraten über Extremismus
VON ANDREAS DEBSKI

 

 

erfurt. Die Flüchtlingszahlen des vergangenen Jahres haben zu einer Radikalisierung in der Bevölkerung und zu einer steigenden Aggressivität gegenüber Fremden geführt – vor allem Rechtsextreme profitieren von der aufgeheizten, ablehnenden Stimmung in weiten Teilen Ostdeutschlands. Das ist der Tenor einer Tagung von Ost-Verfassungsschützern, die gestern in Erfurt stattfand. „Das Flüchtlingsthema ist der Kit, der die rechte Szene zusammenhält. Dort ist man froh, ein Thema zu haben und bei jenen Anschluss zu finden, die bislang nicht zur Szene gehörten“, machte Bernd Palenda, der Leiter des Verfassungsschutzes in Berlin, vor rund 200 Teilnehmern klar. Die ostdeutschen Geheimdienste stellen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Mobilisierung durch Rechtsextreme und den Anschlägen auf Flüchtlingsheime sowie Angriffen auf Asylbewerber fest. „Diese Agitation schafft den Nährboden für fremdenfeindliche Übergriffe“, erklärte Palenda.

 

42 Prozent der fremdenfeindlichen Täter zuvor noch nicht auffällig geworden

 

Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) sind 42 Prozent der in diesem Zusammenhang festgestellten Täter zuvor weder in der Neonazi-Szene noch durch andere Straftaten auffällig gewesen. In vier von fünf Fällen werden Anschläge im eigenen Wohnort verübt, in nahezu jedem Fall im Umkreis von nur 20 Kilometer. Wurden im vergangenen Jahr 1031 Straftaten gegen Flüchtlingsheime registriert, sind es in diesem Jahr schon wieder 563. „Die Täter bestreiten eine rechte Motivation, sondern haben ihr Umfeld im Blick, das sie vorgeben schützen zu wollen“, sagte Marc Schmitz von BKA in Wiesbaden. Stephan Kramer, der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, bestätigte: „Wir haben es mit einer Masse an neuen Tätern zu tun, die insbesondere aus einem von Rechtspopulisten und Rechtsextremen geschürten Klima der Angst resultieren.“ Dass es bislang keine Toten bei den Anschlägen auf Flüchtlingsheime gegeben hat, sei „Glück und Zufall zugleich“, sagte BKA-Referent Schmitz.

 

Deshalb forderte Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) die Menschen auf, sich nicht instrumentalisieren zu lassen. „Die Bürger haben ein Recht auf Innere Sicherheit – doch die Radikalen nutzen das Flüchtlingsthema, um Stimmung zu machen“, warnte Poppenhäger. Anetta Kahane von der Antonio-Amadeu-Stiftung kritisierte, dass das Thema Rechtsextremismus über lange Jahre systematisch verharmlost und geleugnet worden sei – „in Ostdeutschland konnte sich keine Willkommenskultur gegenüber Migranten entwickeln, weil keine Fremden zugelassen wurden, weil sie sofort wieder vertrieben wurden“. Des Resultat sei nun sichtbar: „Rassismus ist nicht nur bei Neonazis und Skinheads verbreitet, sondern in weiten Teilen der Bevölkerung existieren rechtsextreme Einstellungen.“

 

Salafisten stehen in Mitteldeutschland unter besonderer Beobachtung

 

Bei der Tagung stand auch das Thema Islamismus im Fokus. In diesem Zusammenhang stellte Thüringens Verfassungsschutzchef Kramer klar: „Es ist grundlegend falsch, Flüchtlinge mit Terroristen gleichzusetzen. Die meisten von ihnen sind ja gerade vor Gewalt geflohen und froh, in Sicherheit zu sein.“ Der Berliner Verfassungsschutz habe zwar islamistische Mobilisierungskampagnen im Umfeld von Flüchtlingsheimen festgestellt, sagte Behördenleiter Palenda, doch sämtliche Versuche seien nicht erfolgreich gewesen. Ähnlich äußerte sich der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath: „Wir müssen sehr genau hinschauen, wer zu uns kommt und was diese Menschen hier machen. Asylsuchende sind aber keinesfalls per se potenzielle Terroristen oder Islamisten.“ Unter besonderer Beobachtung stehen in Sachsen und Mitteldeutschland die Salafisten, erklärte Meyer-Plath, deren Zentrum in Leipzig ist.