Wie LVZ und Innenminister versuchen, Connewitz zur Extremisten-Hochburg zu verklären

Erstveröffentlicht: 
04.06.2016

Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) und der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU), die sind, wenn sie sich zum Interview zusammensetzen, ein Herz und eine Seele. Am 24. April veröffentlichte die LVZ wieder so ein Interview mit dem Minister, in dem alle Stereotype zum alternativen Stadtteil Connewitz bedient wurden. Differenziert haben dabei weder der Interviewer noch der Minister.

 

Besonders verstört zeigte sich danach die Landtagsabgeordnete der Linkspartei, Juliane Nagel, über das Gerede vom „abgeschotteten Stadtteil“. Und deshalb fragte sie jetzt einfach mal nach, was der so kenntnisreiche Innenminister damit eigentlich gemeint hat.

 

Angedeutet hatte das Ulbig in der schwammigen Aussage: „Man muss ganz allmählich dafür sorgen, dass bestimmte Stadtteile sich verändern, nicht abgeschottet existieren können. Konkret in Leipzig ist da schon etwas in Gang gekommen, und das muss kontinuierlich fortgesetzt werden. Es gab in der Messestadt einige Fehlentscheidungen, die bis in die 1990er Jahre zurückreichen, und die vermeintlich autonome Strukturen und gewisse Fehlentwicklungen begünstigt haben.“

 

Augenscheinlich ist das für den Mann das Gleiche: Connewitz ist Zentrum der alternativen Szene in Leipzig, also ist es abgeschottet.

 

Wer hinfährt, sieht eigentlich das Gegenteil. Logisch, dass Ulbig nun in der Antwort wieder breit wird und in aller Ausführlichkeit über den Stadtumbau in Leipzig und das Sanierungsgebiet Connewitz räsoniert, was beides nichts mit der alternativen Szene in Connewitz zu tun hat. Deswegen bleibt Ulbigs Erwartung an Leipzigs Entscheidung zum Sanierungsgebiet auch entsprechend schwammig: „Neben der Bilanz der erreichten Ziele sollen in dem Integrierten Stadtentwicklungskonzept auch die vorhandenen Defizite in den Stadtquartieren analysiert und die weiteren erforderlichen Maßnahmen durch den Stadtrat beschlossen werden. Die Stadt Leipzig muss nach Vorliegen des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes entscheiden, ob eine weitere Sanierung des Stadtteils Connewitz erforderlich ist.“

 

Denn über eines kann die Stadt Leipzig ganz und gar nicht entscheiden: Wohin sie ihre „alternative Szene“ verfrachtet. Denn das autonome Milieu in Connewitz ist zwar historisch entstanden. Das stimmt. Aber das hat nichts mit Stadtratsbeschlüssen und „Fehlern der Stadt“ zu tun. Die Autonomen haben die leerstehenden und heruntergekommenen Häuser in Connewitz schon besetzt, bevor sich der Leipziger Stadtrat 1990/1991 überhaupt mit dem Thema Sanierungsgebiet beschäftigen konnte. Später ging es immer wieder nur darum, friedliche Vereinbarungen miteinander zu treffen.

 

Aber im Interview mit der LVZ suggerierte Ulbig ja auch noch, in Connewitz würde geradezu ein Nest von Gewalttätern nur darauf lauern, zu neuen Gewaltaktionen auszuschwärmen. „Wenn man linke Gewalt regional zuordnet, wird ganz eindeutig klar: Leipzig ist in Sachsen die Hochburg der Linksextremisten. Jede achte rechtsextremistische Straftat wird in Leipzig begangen, dagegen ist es im linksextremistischen Bereich bereits nahezu jede zweite Straftat. Und, was noch verschärfend hinzukommt: Von den insgesamt 292 linken Gewalttaten in Sachsen im vergangenen Jahr entfallen 182 auf Leipzig. Vor dieser Entwicklung darf man nicht die Augen verschließen“, behauptete Ulbig im LVZ-Interview.

 

Dass er es nur wenige Tage nach seiner mehr als durchwachsenen Berichterstattung zur Politisch-Motivierten Kriminalität (PMK) tat, spielt natürlich mit ins Interview hinein.

 

Aber was auch die LVZ nicht fertigbrachte zu hinterfragen: Welche Rolle spielte eigentlich der völlig aus dem Ruder gelaufene 12. Dezember 2015 in dieser Zahl von 182 Gewalttaten, mit denen Leipzig auf einmal wie das Zentrum der linken Gewalt in Sachsen aussah? Ulbig verweist zwar in Sachen Connewitz gern auf den jährlichen Verfassungsschutzbericht – aber was der für eine dünne Soße ist, wenn es um die Beobachtung von politischem Extremismus in Sachsen geht, haben wir ja nun mehrfach analysiert.

 

Aber die Zahlen, die Juliane Nagel jetzt zur linken Gewalt in Leipzig abgefragt hat, machen deutlich, dass die meisten der von Ulbig so freimütig erwähnten Gewalttaten direkt am 12. Dezember registriert wurden – sie richteten sich auch fast alle gegen Polizeibeamte, die am 12. Dezember der Hauptangriffspunkt waren, nachdem der Zugang zum rechtsextremen Aufmarsch, der an diesem Tag direkt nach Connewitz gehen sollte, von der Polizei weiträumig abgesperrt worden war.

 

Wer die Dynamik des Geschehens nachlesen will, kann das in der L-IZ tun (Die Links finden Sie unterm Text.).

 

Selbst Innenminister müssten eigentlich mittlerweile wissen, dass dann, wenn Rechtsextremisten ihre Aufmarschziele direkt in alternativen Stadtteilen deutscher Großstädte ankündigen, die autonome Szene deutschlandweit mobilisiert. Auch die Polizei weiß das. Auch deshalb wurde am 12. Dezember versucht, die linken Gegenproteste weiträumig vom am Ende mickrigen Häufchen demonstrierender Rechtsextremer abzuschotten.

 

Der Versuch, die gewaltbereiten Autonomen dann polizeilich unter Kontrolle zu bringen, ist bekanntlich völlig gescheitert. Aber genau aus dieser direkten Konfrontation von Polizei und Autonomen stammen fast alle der jetzt von Ulbig aufgelisteten 107 Körperverletzungen (vor allem Polizisten, die bei dieser Straßenprügelei verletzt wurden), 35 Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte und 24 Landfriedensbrüche, dazu auch noch 7 Brandstiftungen (es brannten ja bekanntlich Sammelcontainer und Toilettenhäuschen) und 3 gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (am Ende war die „KarLi“ über Stunden gesperrt und die Straßenbahn konnte nicht mehr fahren).

 

Allein das ist eigentlich ein Glückwunschpäckchen an die gewaltbereiten Randalierer, die den von den Rechtsextremen servierten Termin nutzten, in Leipzig einmal richtig zu prügeln und damit die „Leipziger“ Gewalttaten in die Höhe zu jazzen.

 

Ein paar Connewitzer waren auch darunter. Stimmt. Aber die autonome Szene hat weit über Leipzig für diesen Tag geworben. Und die Statistik zeigt, dass die Steineschmeißer aus ganz Leipzig kamen. „Bislang wurden 138 Tatverdächtige ermittelt. Von diesen hatten 103 ihren Wohnsitz in Leipzig. 35 Tatverdächtige stammen aus anderen sächsischen Gemeinden bzw. anderen Bundesländern.“

 

Wobei sich nicht alle Tatverdächtigen dem 12. Dezember zuordnen lassen. Aber die meisten schon.

 

Nur 23 der Tatverdächtigen kamen tatsächlich aus Connewitz, 12 aus der braven Südvorstadt, acht aus Altlindenau, sechs aus Neustadt-Neuschönefeld usw.

 

Das Thema also auf ein „abgeschottetes“ Connewitz zuzuschneiden, geht sichtlich an der Realität vorbei und suggeriert auch eine Absonderung, die die autonome Szene in Leipzig nicht hat. Und die Zahlen zeigen auch, dass weder Polizei noch Stadt das Phänomen in irgendeiner Weise „eliminieren“ können, wenn sie sich jetzt für Connewitz irgendwelche besonderen Späßchen ausdenken. In den Vorjahren hat ja die Einrichtung des Polizeipostens in Connewitz für entsprechende Aufregung und Randale-Zahlen gesorgt. Aber selbst das hat sich längst wieder beruhigt und alle möglichen Nachfragen zur Kriminalitätsentwicklung in Connewitz haben gezeigt, dass der Posten zwar wohl hilft, die Kriminalität in Connewitz zu dämpfen, dass das aber mit dem konkreten autonomen Völkchen um Bornaische Straße, Biedermannstraße, Wiedebachplatz gar nichts zu tun hat.

 

Eine entsprechende Anfrage zu zwei Jahren Polizeiposten Connewitz hat Juliane Nagel im Mai beantwortet bekommen. Danach entfielen von 73.614 im Jahr 2015 registrierten Leipziger Straffällen 1.874 auf Connewitz. Das sind 2,54 Prozent aller Straffälle bei 3,33 Prozent Bevölkerungsanteil. Nach einer Abschottung sieht das also gar nicht aus.

 

Die Nachfrage von Juliane Nagel zu „Vermeintliche ‚Abschottung‘ des Ortsteils Leipzig-Connewitz“. Ds. 4977

 

Anfrage von Juliane Nagel zu „Nachfrage zu Drs 6/3704 – Zwei Jahre Polizeiposten in Leipzig-Connewitz“. Drs. 4848