Stadtregierung will Internet-Pranger – oder doch nicht?

Erstveröffentlicht: 
26.05.2016

Der Gemeinderat fordert nach der Randale vom Wochenende eine «Internet-Fahndung». Was das genau ist, da sind sich Alexander Tschäppät und Reto Nause uneins.

 

Von Fabian Christl

 

Die Mitteilung des Gemeinderats vom Mittwoch zu den Warmbächli-Krawallen vom Wochenende spricht eine klare Sprache: Man begrüsse es, heisst es da, «dass die Kantonspolizei die Internet-Fahndung als Instrument nutzen will, um Täter zu identifizieren und zu überführen».

Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) begründet dies auf Nachfrage mit der «massiven Gewalt», welche in der Nacht auf Sonntag gegen Polizisten und Feuerwehrleuten ausgeübt worden ist und dem entstandenen Sachschaden in der Höhe von mehr als 300'000 Franken.

Probleme mit der umstrittenen Fahndungsmethode hat er keine. «Ich sehe keine Probleme darin, Fotos von randalierenden Straftätern zu veröffentlichen.» Zudem sei es letztlich die Staatsanwaltschaft, welche nach «klaren Richtlinien» eine Internet-Fahndung verfüge.

Eigenwillige Interpretation

Dass Nause – der gegenüber Demonstranten gerne eine härtere Linie fahren würde als der Gesamtgemeinderat sie will – keine Berührungsängste mit dem Internetpranger hat, überrascht nicht. Dass er mit dieser Haltung bei der rot-grünen Mehrheit im Gemeinderat Gehör fand, hingegen schon.

Noch vor drei Jahren nach den Ausschreitungen beim Tanz-dich-frei wollte sich Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) an diesem Thema nicht die Finger verbrennen: «Das ist eine rein operative Frage und Sache der Staatsanwaltschaft», sagte er damals. Zwar habe eine Fahndung via Internet sicher eine «präventive Wirkung», das Thema sei aber «heikel».

Nun hat er offenbar die Meinung geändert. Eine Anfrage beim Stadtpräsidenten blieb zuerst unbeantwortet. Erst auf Nachfrage hin liess er über seinen Mediensprecher Folgendes ausrichten: «Mit der Internet-Fahndung meint der Gemeinderat, dass die Kantonspolizei allenfalls im Internet vorhandenes Material sichern soll, um Täter zu identifizieren.»

Handelt es sich um ein Zurückrudern Tschäppäts? Oder hat Nause die Gemeinderatsposition etwa nach seinem Gusto frisiert? Oder ist letztlich alles nur ein Missverständnis? Klar ist, Tschäppäts Definition einer Internet-Fahndung ist ziemlich eigenwilliger Natur. Gemeinhin wird der Begriff synonym zu einer Öffentlichkeitsfahndung mittels im Internet publizierter Bilder verstanden.

Polizei will noch gar nicht

Unabhängig von der Position der Stadtregierung: Bei der Polizei steht eine Internet-Fahndung noch gar nicht zur Debatte, wie Polizei-Sprecherin Ramona Mock auf Anfrage mitteilt. «Ob es zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Öffentlichkeitsfahndung kommt, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen.»

Eine Internet-Fahndung ist ohnehin nur rechtens, wenn die Anwendung von der Staatsanwaltschaft als verhältnismässig eingestuft wird und alle «unter vernünftigem Aufwand möglichen» Fahndungsmethoden nicht zum Ziel geführt haben, wie Christof Scheurer, Informationsbeauftragter der Generalstaatsanwaltschaft ausführt. So müsse die Polizei etwa die Bilder der mutmasslichen Straftäter zuerst Szenekennern vorlegen.

Fahndungserfolge und -pannen

Im Kanton Bern hat man bereits Erfahrungen mit dieser Fahndungsmethode gemacht. Nach dem Tanz-dich-frei 2013 veröffentlichte die Polizei 93 unverpixelte Bilder von 49 mutmasslichen Straftätern – 12 der Gesuchten konnten identifiziert werden.

In den letzten Jahren kam es aber auch zu mehreren Pannen bei Internet-Fahndungen. So wurden 2015 in St. Gallen Bilder von mutmasslichen Straftätern veröffentlicht, obwohl diese sich bereits bei der Polizei gestellt hatten. In anderen Fällen wurden die blossgestellten Verdächtigen letztlich freigesprochen. (Der Bund)