"Merkel ins KZ!" – Der 1. Mai in Sachsen

Erstveröffentlicht: 
02.05.2016

Für gewöhnlich ist die vogtländische Kleinstadt Plauen selten über die Region hinaus in den Schlagzeilen. Zuletzt war sie das vermutlich am 1. Mai 2014, als die rechtsextreme Kleinstpartei "Der III. Weg" dort mit 700 Teilnehmern demonstrierte.

 

Genau zwei Jahre später ist Plauen wieder bundesweit in den Medien, erneut weil sich die Splitterpartei "Der III. Weg" angekündigt hat—aber auch wegen "drohender Krawalle durch Linksautonome", so die Freie Presse Vogtland.

 

Der Tag begann für Versammlungsteilnehmer, Polizei und Journalisten früh. Schon um 9 Uhr hatte das linksradikale Bündnis "Time to act" zum Treffpunkt aufgerufen, um anschließend durch Plauen zu demonstrieren. Für 11 Uhr hatten sich die Neonazis angekündigt. In der Stadt gab es außerdem noch diverse andere Veranstaltungen—im Ganzen rechnete die Polizei mit "Teilnehmerzahlen im mittleren vierstelligen Bereich" auf insgesamt neun Versammlungen.

 

Um elf Uhr waren die vom "III. Weg" bei der Polizei angemeldeten 200 Teilnehmer vollständig. Kurz vorher hatte es schon einen Blockadeversuch von Gegendemonstranten gegeben, der in ersten Scharmützeln mit den Einsatzkräften geendet hatte.

 

Zeitgleich formierte sich allerdings an einem Bahnhof das sogenannte "Antikapitalistische Kollektiv"—eine freie Organisation von Neonazis in der Tradition der "Autonomen Nationalisten": Rechtsradikale, die sich in ihrem Auftreten und auch dem Aussehen nach bewusst an den Methoden des linskautonomen "Schwarzen Blocks" orientieren. Sie hatten sich zu einer nicht angemeldeten Spontandemonstration versammelt und zogen zur Auftaktkundgebung des Dritten Weges. Begleitet von wenigen Polizeibeamten und ohne Journalisten marschierten sie vermummt und in "Schildkröten-Formation" zur Kundgebung, dabei brüllten sie immer wieder: "Nationaler Sozialismus? Jetzt!"

 

Als die rund 80-köpfige Demonstration aus dem Tunnel zur Auftaktkundgebung stieß, skandierten einige Neonazis: "Merkel ins KZ! Merkel ins KZ!"

 

Die Einsatzkräfte hatten offenbar nichts dagegen, jedenfalls griffen sie nicht ein. Auch in der Pressemitteilung werden verschiedene Verfahren wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Ähnlichem angekündigt—aber nicht wegen Volksverhetzung.

 

Gleichzeitig setzte sich die linke "Time to act"-Demonstration in Marsch—kam aber bereits einige Minuten nach dem Start zum Stehen, da einige Teilnehmer sich weigerten, ihre Vermummung abzulegen. Nachdem einige Gegendemonstranten auch noch versuchten, eine Polizeikette zu durchbrechen, umstellte die Polizei die Demo permanent, trotzdem kam kam es immer wieder zu teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern und Beamten.

 

Der Aufzug der Neonazis hatte sich mittlerweile in Bewegung gesetzt. Die Polizei räumte eine Blockade auf der Route, bevor die Rechten überhaupt dort vorbeikamen. Als sie dann dort ankamen, war die Stimmung dementsprechend aufgeheizt. Laute "Nazis raus!"-Rufe wurden von den Rechtsextremen mit "Antifa – Hurensöhne!"-Gesängen beantwortet.

 

Der Aufzug kam zum Stehen, als einer der Rechten offenbar von einem geworfenen Gegenstand getroffen und schwer verletzt wurde. Zwischen der Polizei und den Organisatoren begann eine Diskussion: Die Einsatzleitung der Polizei hatte beschlossen, die Route wegen des Sicherheitsrisikos für die Teilnehmer zu verkürzen.

 

Die Organisatoren waren damit aber absolut nicht einverstanden—stattdessen stellten sie der Polizei ein Ultimatum: Wenn sie in fünf Minuten nicht die geplante Route weitergehen dürften, würden sie die Versammlung auflösen und Chaos "wie in Saalfeld" verursachen. Bei einer 1. Mai-Demonstration des Dritten Weges in Saalfeld war es 2015 zu Ausschreitungen gekommen, bei denen mehrere Unbeteiligte von Rechtsradikalen brutal zusammengeschlagen worden waren.


Nach dem diese fünf Minuten verstrichen waren und die Polizei auf der Verkürzung beharrte, löste die Versammlungsleitung die Demonstration tatsächlich auf. Und wie angekündigt brach kurz darauf das Chaos aus: Die Demo-Teilnehmer stürmten plötzlich auf die Polizisten zu und versuchten, durch die Kette zu brechen.

 

Die Polizei reagierte mit Pfefferspray und Schlagstöcken. Als ein zweiter Durchbruchsversuch nur sehr knapp und unter energischem Schlagstockeinsatz abgewendet werden konnte, fuhr die Polizei Wasserwerfer auf und begann, mit Tränengas in den Pulk der Rechtsradikalen zu schießen. Polizei und Rechte bekämpften sich über eine halbe Stunde, die Neonazis warfen mit Pyrotechnik, Steinen, Flaschen und Fahnenstangen nach der Polizei, aber auch nach den umstehenden Gegendemonstranten—die die Situation größtenteils bejubelten, in Trillerpfeifen pfiffen und forderten: "Nationalismus raus aus den Köpfen!"

 

Am Rande dieser Situation kam es auch zu einem besonders hinterhältigen Angriff: Ein Neonazi stellte sich mit seiner Kamera unauffällig neben eine Gegendemonstrantin—und schlug ihr plötzlich mit dem Stativ so fest ins Gesicht, dass die Getroffene zu Boden ging. Derselbe Täter, ein seit Jahren aktiver Neonazi, soll am gleichen Tag noch das Team von Spiegel Online angegriffen haben.

 

Ein Teil der Rechten zerstörte dann die Zäune der Karl-Marx-Grundschule und floh über das Gelände in Richtung Innenstadt. Den Großteil konnte die Polizei wieder in einem Kessel zusammenbringen, wo sich die Lage schließlich beruhigte. Kurz darauf kooperierten die Organisatoren wieder mit den Einsatzkräften, als wäre nichts gewesen, und bekamen problemlos eine Spontanversammlung zurück zum Bahnhof genehmigt.

 

Mit etwa 600 Mann ging es dann wieder zurück, dabei wurden kräftig Parolen wie "Alles für Volk, Rasse und Nation!", "Antifa heißt Kapitulation, Ruhm und Ehre der deutschen Nation!" oder "Nie wieder Israel!" gerufen. Auch jetzt vermummten sich zahlreiche Teilnehmer, ohne dass die Polizei dagegen vorging.

 

Der Tag endete schließlich mehr oder weniger friedlich. Zurück blieben mehre zum Teil schwer Verletzte—und der Eindruck, dass selbst eine langanhaltende Schlägerei mit Neonazis nicht ausreicht, um der Polizei in Sachsen die Lust an der Beschwichtigungstaktik gegenüber den Rechten auszutreiben.