Was stand nun wirklich in den Lageeinschätzungen des sächsischen Verfassungsschutzes zu den Vorgängen am 11. Januar in Leipzig?

Erstveröffentlicht: 
14.02.2016

Fragste zu den Linken, erfährste was zu den Rechten. So ungefähr wird es Valentin Lippmann durch den Kopf schießen, wenn er die Antworten von Innenminister Markus Ulbig (CDU) zu seiner Kleinen Anfrage „Beobachtung des Aktionsnetzwerks ‚Leipzig nimmt Platz’ durch das Landesamt für Verfassungsschutz“ liest. Die L-IZ hatte noch am 11. Januar über die seltsame Lageeinschätzung des Sächsischen Verfassungsschutzes berichtet.

 

Die war nicht nur seltsam, weil sie irgendwie nach einem eingeübten Strickmuster die mögliche Gewalt vor allem von den Gegenprotesten gegen LEGIDA ausgehen sah. Die ist auch seltsam in Bezug auf die Einschätzung von LEGIDA, dem Leipziger PEGIDA-Ableger, den man nach Abspaltung der OfD geradezu für harmlos hält und verfassungsschutzseitig überhaupt nicht mehr beobachtet. Kein Wunder also, wenn der Innenminister keine Informationen zum gewalttätigen und teilweise offen rechtsextremen Potenzial von LEGIDA hat.

 

Wie seltsam Sachsens Verfassungsschützer ticken, wird deutlich, wenn der Innenminister deutlich erklärt: „Das Aktionsnetzwerk ‚Leipzig nimmt Platz‘ gehört nicht zu den Beobachtungsobjekten des LfV Sachsen, daher werden keine Informationen über das Aktionsnetzwerk gesammelt.“

 

Der Verfassungsschutz in seinem eigenen Lagebericht konstruiert aber dann ganz burschikos Zusammenhänge, die die Aktivitäten von gewaltbereiten Linken (die auch am 11. Januar anreisten) einfach auf eine Informationsveranstaltung von „Leipzig nimmt Platz“ überträgt. Und gleich mal unterstellt, die Organisatoren von „Leipzig nimmt Platz“ würden ihre Absichten einfach nur besser tarnen, denn nichts anderes ist mit dem Wort „subtil“ gemeint.

 

Ein „subtiler“ Aufruf zu Gewalt?


Das liest sich im Lagebericht dann so: „Ähnlich – wenn auch verhaltener und subtiler – ist der Aufruf des Aktionsnetzwerkes ‚Leipzig nimmt Platz’ zu einer Informationsveranstaltung, verbunden mit einem ‚Offenen Netzwerktreffen’. Die Veranstaltung soll am 8. Januar 2016 im ‚Pöge-Haus’, Hedwigstraße 20 in Leipzig stattfinden, Beginn ist 19:00 Uhr. Im Rahmen der Veranstaltung soll über den Planungsstand informiert und sich ausgetauscht werden, außerdem gibt es praktische Tipps für das Verhalten auf einer Demonstration und eine juristische Beratung. Diese soll speziell zum Thema Versammlungsgeschehen und dem Verhalten bei einer möglichen polizeilichen Maßnahme informieren. Ein weiteres Anliegen der Veranstaltung ist es, den Beteiligten die Möglichkeit zu bieten, Bezugsgruppen zu treffen und sich zu vernetzen.“

 

Und das machen Sachsens Verfassungsschützer daraus: „Vor allem der Hinweis auf Bezugsgruppen und deren Vernetzung ist ein Indiz auf die Teilnahme des militanten Kleingruppenspektrums. Darüber hinaus gibt es einen Link zu einem Beitrag mit dem Titel ‚Sicheres Demonstrationsgeschehen – Wie verhalte ich mich richtig’. Die darin enthaltenen Anweisungen lassen den Schluss zu, dass ein unfriedlicher Verlauf der Gegenaktionen zumindest ins Kalkül der Veranstalter gezogen wird.“

 

So konstruiert der Verfassungsschutz seine Türchen, ein buntes Netzwerk von Protestierern einfach doch zu kriminalisieren. Man mutmaßt einfach und nimmt den Hinweis auf „Bezugsgruppen“ als Indiz, hier wolle man sich mit gewaltbereiten Linken treffen und vernetzen.

 

Das Einsammeln von Handys ist in Sachsen rechtmäßig?


Ulbig holt dann noch weiter aus: „Die im beigefügten Lagebild vom 7. Januar 2016 erwähnte juristische Beratung bzw. die enthaltenen Anweisungen ließen den Schluss zu, dass ein unfriedlicher Verlauf der geplanten Aktion in Erwägung gezogen wurde. So solle man bei Polizeikontrollen Handys verschwinden lassen. Dabei wurde in diesem Zusammenhang auf den linksextremistischen ‚Rote Hilfe e. V. ‘ als Ansprechpartner hingewiesen.“

 

Aber die beiden Lageberichte wurden ja nicht nur diskutiert, weil Sachsens Schlapphüte hier für den 11. Januar wieder ein Gewaltszenario der Linken konstruierten, sondern weil die Lageberichte die angekündigten Gewaltaktionen von Rechtsextremen verharmlosten.

 

In der Lageeinschätzung vom 7. Januar stand tatsächlich noch: „Derzeit liegen dem LfV Sachsen keine näheren Informationen über eine Mobilisierung oder konkrete Anreiseabsichten innerhalb der rechtsextremistischen Szene vor.“

 

Hingegen unterstellte man gleich mal dem Rechtsanwalt und Grünen-Landesvorsitzenden Jürgen Kasek staatsfeindliches Verhalten: „Zum Beispiel solle man – so der Autor, der sich als Rechtsanwalt für ‚No LEGIDA‘ ausgibt – bei unfriedlichem Verlauf der Aktion Handys ‚verschwinden‘ lassen. Die enge Verzahnung mit dem linksextremistischen Spektrum zeigt sich auch darin, dass bei einer eventuellen Vorladung der Akteure durch die Polizei auf die linksextremistische Organisation ‚Rote Hilfe e.V.‘ und den ‚Ermittlungsausschuss‘ verwiesen wird.“

 

Das mit dem  – „angeblichen“ – Rechtsanwalt ließ Markus Ulbig dann in seiner Antwort erst mal weg. Aber warum geht der sächsische Verfassungsschutz eigentlich davon aus, dass bei Versammlungsgeschehen ganz selbstverständlich die Handys der Demonstrationsteilnehmer eingesammelt werden dürfen? Das ist durch kein Gesetz gedeckt – aber in Sachsen nun seit 2011 gängige Praxis.

 

Warnungen vor gewaltbereiten Hooligans – sehr unkonkret


Die beiden Lageberichte, die der Antwort anhängen, lassen tief blicken ins Staatsverständnis von Verfassungsschutz und Innenminister.

 

Am 8. Januar hatte man denn zu den anreisenden gewaltbereiten Rechtsextremisten tatsächlich mal ein paar Informationen: „Aufgrund der o.g. Mobilisierungsaufrufe, der Ankündigung des Bandauftritts von ‚Kategorie C‘ und der geplanten gemeinsamen Abschlusskundgebung mit der OfD ist für die LEGIDA-Demonstration am 11. Januar 2016 in Leipzig mit der Teilnahme von zahlreichen Rechtsextremisten, insbesondere aus dem subkulturellen, gewaltbereiten Milieu und der Hooligan-Szene zu rechnen.“

 

Das ist die Warnung, die zumindest Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz sehr ernst genommen und entsprechende Polizeikräfte bereitgestellt hat.

 

Aber der Verfassungsschutz hatte nur bei einem „Aufeinandertreffen mit dem politischen Gegner“ gewaltsame Auseinandersetzungen prophezeit – genau das, was Leipzigs Polizeichef wohlweislich jedes Mal zu verhüten weiß. Nichts wird bei Leipziger Demonstrationen so strikt getrennt wie die extremen politischen Lager – und damit dann verbunden auch der ganz normale Gegenprotest, der oft nicht mal in Rufweite an die ganzen LEGIDA- und OfD-Kundgebungen herankommt. Das, was dann am 11. Januar aber tatsächlich passiert ist – der Zug von über 200 gewaltbereiten Rechtsextremen nach Connewitz – das kam in keinem der beiden Lageberichte des Landesamtes für Verfassungsschutz vor. Man hat die im Internet wahrnehmbare Mobilisierung einfach nicht ernst genommen, während man sich im linken Milieu Verbindungen konstruiert, um die Gefahr auch noch aus dem eindeutig friedlichen Gegenprotest aufzublasen, bis alle nur noch wie gebannt auf die „linke Gefahr“ starren.

 

Sachsens Verfassungsschutz ist also nicht nur auf dem rechten Auge blind, auf dem linken Auge hat es augenscheinlich eine Warnblinkleuchte sitzen. Beides ist wenig hilfreich, wenn es wirklich um reale Gefahreneinschätzungen geht.

 

Und der Text der Lageeinschätzungen bestätigt, was auch am 11. Januar schon zu vermuten war: Hilfreich waren sie weder für die städtische Ordnungsbehörde noch für die Polizei.

 

Die Anfrage von Valentin Lippmann zum 11. Januar in Leipzig (mit den beiden Lageeinschätzungen vom 7. und 8. Januar).