[MZ] Theater und kein Ende - der Campus-Hacker-Prozess geht weiter

Der wahre Campus-Hacker lebt: Speziell für uns hat er sich zu einem Porträtfoto breitschlagen lassen.

Vor bald 5 Jahren, im Juli 2011, gab die Johannes Gutenberg-Universität Mainz durch eine Pressemitteilung bekannt, dass sie aus der Exzellenzinitiative aussteigen wolle. Diese Nachricht stellte sich schnell als Fake heraus, doch ein Genosse wird seither beschuldigt, Urheber der täuschend echten PM zu sein und wird mit einem Gerichtsverfahren gepiesackt. Im Folgenden ein Bericht vom Prozesstheater vor dem Mainzer Amtsgericht am 19.01. (aber keine Abhandlung über die verhandelten technischen Zusammenhänge) und ein Ausblick auf den nächsten und hoffentlich letzten Prozesstag am 03.02.

 

Vorneweg: Das ganze Verfahren ist darauf angelegt, aus politischen Gründen einen Schuldigen zu finden für etwas, das keinerlei Schaden verursacht hat, sondern auf kreative Art und Weise Alternativen zur Ideologie von Konkurrenz und Wettbewerb aufgezeigt hat. Die Universität selbst hat auf einen Strafantrag verzichtet, nur der damalige RCDS/JuSo-AStA stellte diesen. Aus diesem Grund wurde der Genosse 2011 durch die Polizei frühmorgens aus dem Bett geholt, seine Computer geklaut (und seitdem auch nicht wieder zurückgegeben), 2013 schon ergebnislos mit einem Prozess überzogen und nun erneut gezwungen, vor Gericht zu erscheinen. Der Staatsanwalt gibt sich Mühe, seiner Rolle als Büttel in Robe gerecht zu werden. Unter diesen Vorzeichen nimmt das Theater seinen Lauf...

Der Prozesstag beginnt um 9.00 genauso, wie sich "Amtsgericht" anhört, nämlich ätzend und langweilig. Der Anwalt des Angeklagten Z. verspätet sich und die solidarischen Menschen sitzen Richter und Staatsanwalt gegenüber. Als es dann los geht und sich der Angeklagte Z. nach der Verlesung der Anklageschrift selbst äußern will, verweigert ihm der Richter ohne Angabe von Gründen, seine Rede stehend zu halten. Es sei "unüblich" und stellt wohl die Autorität des Staatsanwalts in Frage. Oder wie es Z. ausdrückte: "Ich komme nicht umhin, darin eine Machtdemonstration und Vorverurteilung zu sehen." Nach der Anmerkung des Richters, dass er das Verfahren schon eingestellt hätte, aber alle Beteiligten zustimmen müssten (also auch die offensichtlich an der Verfolgung interessierte Staatsanwaltschaft), beginnt die Zeug_innenbefragung.

Frau G., Leiterin der Stabsstelle Kommunikation und Presse der Uni Mainz erklärt das Konzept Exzellenzinitiative, bei der es um "Spitzenforschung, Nachwuchsforschung und Schaffung von Strukturen für den Wettbewerb" geht. Die fragliche Mail hat ihrer Aussage nach der Uni nicht geschadet, diese ist im Juni 2012 von alleine aus dem Wetttbewerb ausgeschieden (yippie!). Ansonsten ist noch zu erfahren, dass die Mail auch tatsächlich "aus dem eigenen Hause" hätte sein können, denn sie enthielt "Begründungen, die durchaus auch so hätten sein können". Ganz aus ihrer PR-Rolle kann G. wohl auch vor Gericht nicht, denn obwohl sie eingangs gesagt hatte, dass die Exzellenzinitiative auch in der Uni umstritten war, betont sie gegen Schluss, dass der Bewerbungsprozess für den Status als Exzellenzuni sehr gut angenommen und von allen unterstützt wurde.

Herr S., damaliger AStA-Beschäftigter, der als Admin für die Zugänge zum AStA-Server verantwortlich war, weiß nicht mehr viel. Er erinnert sich an verschiedene Vorgänge auf dem Server, die er mit seinen Interpretationen versieht. Interessant: Offensichtlich waren die Zugangsdaten zu diversen Accounts des AStA-Servers einer nicht zu bennenden Vielzahl von Menschen bekannt, obwohl es seine Aufgabe gewesen wäre, dies zu verhindern.

Herr A., Informatiker der Datenverarbeitungsgruppe der Polizei RLP hat auch nicht viel zu sagen, neben einer Erklärung des TOR-Netzwerkes sind seine Hauptaussagen: "Wenn ich mich recht erinnere", "Ich meine", "Es war wohl so", "Eigentlich nein" und "Das vermute ich". Seine Vernehmung inspiriert den Richter zu der Bemerkung: "Bis jetzt ist das alles mit vielen Möglichkeiten durchzogen, das muss man sagen."

Herr L., Mitglied der Datengruppe des Polizeipräsidiums Mainz referiert noch ein bisschen mehr über IPs und Zugriffe auf Dateien auf dem AStA-Server, muss jedoch feststellen, dass dadurch der Versand der fraglichen Mail nicht geklärt ist. Wir erfahren, was IPs auffällig macht: "Linux wurde benutzt."

Herr Dr. K., ebenso von der Datengruppe des Polizeipräsidiums Mainz, durfte sich an den geklauten PCs des Angeklagten versuchen und musste feststellen, dass verschlüsselte Daten verschlüsselt sind. Seine Hauptaussage ist, dass er seinen eigenen Bericht korrigieren muss und auch MAC-Adressen nicht in Stein gemeißelte Beweise sind. Also wieder nichts. Ansonsten ist er nicht wirklich darüber informiert, was seine Kollegen so zusammengeschrieben haben.

Herr B., Mitarbeiter des Polizeipräsidums Mainz, durchsuchte vor viereinhalb Jahren Z.s Wohnung und hat nichts beizutragen, außer ein Zuwachs an unsympathischer Aura im Raum.

Herr B., Kriminalbeamter des Polizeipräsidium Mainz - mittlerweile im Ruhestand -, zeigt schon durch seine pensionierte Anwesenheit, dass dieser Prozess viel zu lange dauert. Erinnern kann er sich nicht, außer daran, dass es Emails gab. Er gibt an, dass er zur Person des Angeklagten "Ermittlungen im Internet" geführt habe (andere Menschen kennen das als googeln). Seine Ermittlungen zeigten ihm, dass sich der Angeklagte Z. schon vor der fraglichen Email mit dem Thema Bildungs-/Hochschulpolitik auseinandergesetzt habe und eine ablehnende Haltung hätte. Als Indiz wurde eine Aussage Z.s verlesen, die dieser aber nicht einmal als Privatperson, sondern als Sprecher des AK Protest getätigt hatte.

Herr Leutnant der Reserve S., ehemaliger AStA-Vorsitzender, der Anzeige erstattet hatte, weil aus seinem RCDS/JuSo-Laden heraus die Mitteilung verfasst wurde, erscheint nicht vor Gericht. Dabei sind der Anwalt des Angeklagten, der Richter und die Protokollantin sich sicher, dass er geladen war. Der Staatsanwalt sieht dies anders. Schlussendlich wird ohne seine Vernehmung weiter gemacht, denn offenbar interessiert sich sowieso niemand für das, was er zu sagen hat.

Herr M., der große Sachverständige einer noch größeren Unternehmensberatung macht den Schluss der Zeugenvernehmung. Seine Unsicherheiten sind sowohl physisch als auch inhaltlich, da hilft ihm leider auch der schicke Anzug nichts. Nach einem langen Prozessvormittag mit fragwürdigem Erkenntnisgewinn und der Feststellung, dass die LUKS-Festplattenverschlüsselung eine sehr gute sei, kommt er auf die Idee, dass es vielleicht Erkenntnisse bringen könnte, sich die Browser-History des einen PCs noch einmal genauer anzuschauen. Weder er noch die drei befragten Cyberbullen haben dies offenbar getan. Entnervt stimmt der Richter zu, dass dem großartigen Sachverständigen zwei Wochen gegeben werden, um sich die Browser-History noch einmal anzuschauen (dessen Selbsteinschätzung des Arbeitsaufwandes: zwei bis drei Stunden). Viel Hoffnung setzt er darin allerdings nicht, denn "was das Gericht daraus für Schlüsse zieht, ist was anderes". Ein Affront für den beharrlichen Staatsanwalt, der weinerlich kundtut: "Es wird deutlich, dass das [also eine Verurteilung auf Biegen und Brechen] nicht gewünscht ist."

Was festzuhalten bleibt: Genosse Z. wird dank des einfallsreichen großartigen Sachverständigen noch einmal vor dem Amtsgericht erscheinen müssen, am 3.2. um 14h ist der Termin angesetzt. Somit geht das Theater weiter, das Z. nun schon seit bald 5 Jahren verfolgt. Der Staat lässt nicht ab, die bürgerliche politische Justiz beißt sich fest in ihrem Bemühen, Dissidenz und Subversion jedweder Art zu sanktionieren. Auch wenn dies nur stellvertretend erfolgen kann. Solange es eine_n Schuldige_n gibt, hat die bürgerliche, kapitalistische Maschine sich selbst gerechtfertigt. Was wir dagegen tun können, ist einfach: Wir spielen das Theater mit, wenn es Sinn macht zu spielen, und hauen auf den Putz, wenn es uns Ernst ist.

Wir sehen uns am 3.2. oder auf der Straße!

Weitere Infos und eine Graphic Novel vom Prozess findet ihr hier: https://www.zwischenze.it/prozess-erneut-vertagt/