Nordafrikaner im Visier

Erstveröffentlicht: 
18.01.2016
Große Koalition debattiert schnellere Abschiebungen für Marokkaner und Algerier – Razzia in Düsseldorf

Von Tim Braune und Ellen Hasenkamp

 

Düsseldorf/Berlin. Asylbewerber aus Marokko, Algerien und Tunesien sollen künftig weitgehend so behandelt werden wie Antragsteller aus den als sicher eingestuften Balkanstaaten. Die Union will sie nicht mehr auf Kommunen in ganz Deutschland verteilen, sondern in speziellen Einrichtungen ein Schnellverfahren durchlaufen und gegebenenfalls direkt abschieben lassen. Die SPD zeigte sich am Sonntag offen für Gespräche, um auch diese nordafrikanischen Länder als sichere Herkunftsstaaten einzustufen.

 

In Düsseldorf ging die Polizei mit einer Großrazzia gegen Nordafrikaner vor. Im Bahnhofsviertel, wo viele von ihnen leben, überprüften 300 Polizisten am Samstagabend 294 Menschen. 38 wurden wegen illegalen Aufenthalts vorübergehend festgenommen. Die Polizei stellte in zehn weiteren Fällen Strafanzeige – wegen Drogendelikten, Diebstahls, Betrug und unerlaubten Waffenbesitzes. Das „Maghreb-Viertel“ gilt als Rückzugsort für Drogendealer und Diebe, die überwiegend aus Marokko, Algerien und Tunesien stammen. Schon vor einem Jahr war die Polizei dort ähnlich vorgegangen. Auch die jetzige Razzia war bereits vor den Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht geplant worden. Einsatzleiter Frank Kubicki sagte am Sonntag: „Gleichwohl rechnen wir mit Erkenntnissen, die die Ermittlungen vorantreiben könnten.“ Auch in Köln hat die Polizei überwiegend Nordafrikaner als Täter ermittelt.

 

Die „Welt am Sonntag“ berichtete, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wollten mit Algeriern und Marokkanern so wie mit Balkanflüchtlingen verfahren, noch bevor beide Länder gesetzlich zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt würden. Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Montenegro, Albanien und dem Kosovo waren zuvor per Gesetz zu sicheren Herkunftsländern erklärt worden. Für Algerien und Marokko streben CDU und CSU dies zwar ebenfalls an, brauchen aber die Zustimmung des Koalitionspartners SPD und im Bundesrat die Unterstützung eines von Grünen mitregierten Landes.

 

Die SPD zeigte sich offen für die rechtliche Neubewertung nordafrikanischer Länder. „Darüber werden wir sicherlich zu reden haben“, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bei einer SPD-Klausur am Sonntag im brandenburgischen Nauen. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, kritisierte: „Sonderverfahren für Flüchtlinge aus Algerien und Marokko ist vorschnelle Symbolpolitik, die weiter Misstrauen schürt.“

 

Eine Unterbringung von Nordafrikanern in bayerischen Rückführungszentren könnte die CSU-Landesregierung dagegen in Abstimmung mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einfach verfügen. Dort gibt es Platz, da die Zahl der Asylbewerber vom Balkan zurückgegangen ist.

 

Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, sagte der „Bild am Sonntag“: „Migranten vom Balkan oder aus Nordafrika, vor allem Marokkaner, Tunesier und Algerier, fallen besonders durch Straftaten auf. Viel weniger dagegen die Zuwanderer aus Syrien und dem Irak.“ Außerdem hätten die Straftaten in Flüchtlingsheimen in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen. Die Hälfte der Delikte in den Sammelunterkünften sei Gewaltkriminalität, vor allem Körperverletzungen. Es gebe aber auch vermehrt Sexual- oder Totschlagsdelikte. „Hierbei handelt es sich aber um relativ geringe Fallzahlen“, sagte BKA-Chef Münch.

 

SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte, es sei wichtig, den Regierungen in Nordafrika klar zu machen, dass sie abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen müssten. Indirekt deutete der Vizekanzler an, dass es andernfalls weniger Geld für Länder wie Algerien und Marokko geben könnte. „Man kann nicht deutsche finanzielle Unterstützung wollen und gleichzeitig in dieser Frage nicht mit uns zusammenarbeiten“, sagte er.

 

Die Innenministerien der Länder werfen den nordafrikanischen Staaten nach einem „Spiegel“-Bericht „unkooperatives Verhalten“ bei Abschiebungen vor. Rund 5500 Algerier, Marokkaner und Tunesier seien Ende Juli vergangenen Jahres ausreisepflichtig gewesen. Lediglich 53 konnten im ersten Halbjahr 2015 abgeschoben werden.

 


 

Keine Benzinsteuer für Flüchtlingskrise

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist mit seinem Vorschlag einer europaweiten Benzinsteuer zur Eindämmung der Flüchtlingskrise von der Parteispitze ausgebremst worden. „Eine zusätzliche Benzinsteuer wird es in Deutschland nicht geben“, erklärte CDU-Vize Julia Klöckner am Wochenende nach Telefonaten mit Schäuble sowie Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel.

 

Schäuble hatte zuvor erklärt:

 

„Wir müssen die Schengen-Außengrenzen jetzt sichern. Die Lösung dieser Probleme darf nicht an einer Begrenzung von Mitteln scheitern.“ Sollten die Mittel nicht ausreichen, könne man „zum Beispiel vereinbaren, dass wir eine Abgabe auf jeden Liter Benzin in einer bestimmten Höhe erheben“.

 

Julia Klöckner, die als CDU-Spitzenkandidatin im März die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz gewinnen möchte, hatte den Vorschlag prompt zurückgewiesen. Angesichts der guten Haushaltslage sei es nicht vertretbar, dass Pendler „nun die Zeche zahlen sollen“. Der Bund hat im vergangenen Jahr einen Rekordüberschuss von 12,1 Milliarden Euro erwirtschaftet. Auch in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt wird am 13. März gewählt. Der CDU-Spitzenkandidat im Südwesten, Guido Wolf, sagte: „Von weiteren Abgaben halte ich in Zeiten von Rekordsteuereinnahmen und Haushaltsüberschüssen nichts.“ Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) lehnte die Idee ebenfalls ab.

 

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte am Sonntag: „Der Vorschlag einer EU-weiten Benzinabgabe für Flüchtlinge ist Unfug.“

 


 

SPD-Klausur: „Spaltung des Landes verhindern“

Nauen. Die SPD hat sich vorgenommen, eine Spaltung des Landes durch die Flüchtlingskrise zu verhindern und geht vor den Landtagswahlen auf größere Distanz zur Union. Als Anwalt besorgter Bürger und zugleich mit einem Kurs gegen rechts wollen die Sozialdemokraten bis zu den Wahlen Mitte März in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt punkten. „Wir müssen dafür sorgen, dass das Land beieinanderbleibt“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel zum Auftakt einer Klausur der Parteispitze in Nauen bei Berlin.

 

Dem Koalitionspartner Union warf der Vizekanzler vor, mit ständigen Ablenkungsmanövern die Menschen zu verunsichern. „Wir müssen einfach mal einhalten, was wir versprochen haben, statt jeden Tag eine neue Idee durchs Land zu schicken“, kritisierte Gabriel, der am Wochenende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Frist für eine EU-Lösung der Flüchtlingskrise bis zum Frühjahr setzte. Unwillige EU-Länder müssten wissen, dass bei Grenzschließungen enorme wirtschaftliche Schäden drohten: „Auf Dauer sind offene Grenzen nur zu halten, wenn wir die EU-Außengrenzen schützen.“

 

Bei dem zweitägigen Treffen von Parteivorstand, Bundesministern und Ministerpräsidenten in einem alten Landgut warb Gabriel für seinen intern umstrittenen wirtschaftsfreundlichen Mitte-Kurs mit Fokus auf innere Sicherheit. Beim Parteitag Mitte Dezember war er mit lediglich 74,3 Prozent als SPD-Vorsitzender wiedergewählt worden. Nur ein wirtschaftlich starkes Deutschland könne die vielen Flüchtlinge gut integrieren. Die SPD müsse Antworten liefern, wie verhindert werden könne, „dass wir in eine gespaltene Gesellschaft geraten, in der der eine Teil Flüchtlinge begrüßt und der andere Teil Angst davor hat.“

 

Die SPD fordert neben 12 000 neuen Polizisten bis 2019 auch fünf Milliarden Euro zusätzlich für ein großes Integrationspaket. Über ihren Kanzlerkandidaten will die SPD erst Anfang 2017 entscheiden. Gabriel erklärte zuletzt, bei besseren Kandidaten sollte ein Parteichef eigene Ambitionen auch zurückstellen können.