Kein Weihnachtsurlaub, dafür reichlich Arbeit: Im Innenministerium werden derzeit Akten für den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hergerichtet. Die knappe Frist ist dennoch nicht zu halten.
Es ist gar nicht so lange her, da wurde Baden-Württemberg vorgeworfen, die Aufklärung im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags zu behindern. Vor knapp drei Jahren gab es heftigen Streit zwischen dem damaligen CDU-Obmann Clemens Binninger und Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD). Man drohte sogar, Gall in Berlin vorzuladen: "Es ist unglaublich, wie wenig kooperativ der baden-württembergische Innenminister agiert", sagte der Bundestagsabgeordnete Hartfried Wolff (FDP).
Damals konnte Gall den Streit für sich entscheiden. Er präsentiere, wieviel Arbeit notwendig ist, um den jetzt zweiten NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin überhaupt in die Lage zu versetzen, mit den Stuttgarter Akten zu arbeiten. Binninger hingegen ruderte vollständig zurück, als er im Stuttgarter NSU-Ausschuss Rede und Antwort stehen musste. Da war dann keine Rede mehr davon, dass wichtige Akten aus dem Land zu spät geliefert worden wären.
Der Streit könnte nun allerdings in eine zweite Runde gehen. Schließlich ist Binninger inzwischen der Vorsitzende des neuen, zweiten Bundestags-Untersuchungsausschusses. Und der hat nun äußerst kurzfristig nach Stuttgarter Aktenmaterial verlangt. Man wolle alle Akten, die in den Polizeibehörden des Landes zum Thema NSU vorhanden seien, einschließlich des Unterstützerumfeldes. Und das Ganze bitte bis Freitag den 15. Januar.
Informell am 23. Dezember, offiziell aber sogar erst nach Weihnachten hatte das Innenministerium von diesem Beweisbeschluss des Bundestages erfahren. Die Anfrage ist zudem unpräzise, denn Polizeibehörden sind nach hiesiger Lesart auch alle Rathäuser und "alle Akten" alles andere als zielführend. "Die Reduzierung der Akten ist wichtig", sagt Thomas Berger, Leiter der Zentralstelle im IM. Ohne würde der Ausschuss in Aktenbergen ertrinken.
Es wird also gesiebt in Stuttgart. Am einfachsten wäre eine Volltextrecherche in einer Datenbank - aber dazu müssten die Akten elektronisch geführt werden. Dürfen sie jedoch nicht, das Gesetz verlangt nach Papier. Nur das lässt sich stempeln, um damit beispielsweise kenntlich zu machen, wo Fristen abgelaufen sind.
Also wird nach Schlagworten gesucht, die Mitte des vergangenen Jahrhunderts festgelegt, aber wenigstens immer wieder ergänzt worden sind. 80 solcher Indizes werden verwendet bei der Aktenrecherche, dazu 250 einzelne Namen. Der Bestand an Ordnern wird dabei gleich mehrfach durchkämmt: Im Justizministerium ebenso wie im Landeskriminalamt, bei den Verfassungsschützern, in den Polizeipräsidien und der Staatsanwaltschaft, weil Schriftstücke eben immer vielfach abgelegt werden. Im Innenministerium suchen derzeit zehn hauptamtliche Mitarbeiter in den Archiven, lesen und entscheiden dann, was wichtig ist und was nicht.
Zwar liegen schon viele Schriftstücke in Berlin, die nur erneut freigegeben werden müssen. Damit aber sind viele staatliche Stellen beschäftigt. Wer Akten im Keller besitzt, ist noch lange nicht Herr über deren Inhalt. Häufig muss erst beim Generalbundesanwalt um Erlaubnis zur Weitergabe nachgefragt werden. Bevor also lastwagenweise Ordner nach Berlin gehen, dauert es bis Ende des Monats und nicht nur bis Freitag dieser Woche.
Gall: "Wir haben signalisiert, dass wir das nicht schaffen werden in dieser Zeit." Warum die Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 von den Neonazis erschossen und ihr Streifenpartner schwer verletzt wurden, ist bis heute nicht geklärt. Vielleicht schaffen das die Neuauflagen der Untersuchungsausschüsse im Bund und im Land. Gall, Dienstherr der 24 000 Polizisten im Land, hat daran hohes Interesse: Mag die Aktenarbeit auch noch so ressourcenraubend sein, "wir machen, was wir können."