Die Flüchtlinge, die Wut und das Werben um Verständnis

Erstveröffentlicht: 
09.01.2016
Konfrontation in Paunsdorf-Ost / Info-Abend in Holzhausen
VON DOMINIC WELTERS

 

Leipzig. Die Stadtverwaltung hält an ihrem Vorhaben fest, ab April etwas mehr als170 Flüchtlinge im Gebäude der ehe-maligen Heinrich-Heine-Mittelschule in der Hainbuchenstraße 13 unterzubringen. Die Umbauarbeiten in dem Haus am Rande des Wohngebietes Paunsdorf-Ost seien in vollem Gange, sagte Leipzigs Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst auf LVZ-Anfrage. „Die Hainbuchen-straße 13 wird als Schule momentan nicht benötigt. Sie wird uns daher für einige Jahre als Asylbewerber-Unterkunft zur Verfügung stehen.“ Zu einem späteren Zeitpunkt sei die Immobilie allerdings wieder als Schulstandort vorgesehen.

 

Die Pläne der Stadt, in dem seit Jahren leer stehenden Gebäude bis auf Weiteres Menschen aus Krisengebieten wie Syrien, Libyien oder Afghanistan unterzubringen, stoßen bei Anwohnern des Viertels auf heftige Kritik. Kador-Probst hat nicht vergessen, dass ihr und ihrem Chef, Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD), Ende November bei einer Informationsveranstaltung der Kommune für die Anrainer ein eisiger Wind entgegenwehte. Teilnehmer wie FDP-Stadtrat René Hobusch äußerten sich hinterher gar entsetzt über den Bürger-Abend im Gustav-Hertz-Gymnasium, dem eine von der NPD organisierte fremdenfeindliche Demonstration vorausgegangen war. „Die Stimmung unter den knapp 300, die gekommen waren, macht mir Angst. Sind die, die hier enthemmt grölen und keinen Respekt vor dem Menschen haben – ganz gleich, ob vor den Mitmenschen oder vor denen, die vor der Not und Gewalt flüchtend zu uns kommen und Mitmenschen werden – eine Minderheit oder vielleicht schon die Mehrheit?“, postete der liberale Kommunalpolitiker via Facebook. „Bei aller Härte in politischen Debatten, die ich selbst an den Tag lege: Ich bin beschämt über das, was ich heute erlebt habe, und erschrocken darüber, wie ich selbst beginne, angesichts dieser Dumpfheit in Freund-Feind-Kategorien zu denken“, schrieb Hobusch.

 

Aus Leserbriefen und E-Mails an die LVZ-Redaktion sprach – in mitunter derben Worten – ein ganz anderer Geist als der des FDP-Politikers. Zu denen, die das Flüchtlingsheim unweit ihrer Heimstatt ablehnen, gehört beispielsweise Margitta Müller aus der Hainbuchenstraße 20. „Der Begriff Wutbürger der Ohnmacht gewinnt an Bedeutung bei der aktuellen Entwicklung in unserem Land. Die Werte der Demokratie und Wahrheit sind mehr als in Frage gestellt. In meinem Wohngebiet fühle ich mich auf Grund von zwei Asylantenobjekten bereits sehr unwohl, und das neue Vorhaben ist einfach untragbar für alle Betroffenen“, formulierte die Leserin mit Verweis auf eine Grundschule und zwei Kindertagesstätten in unmittelbarer Nähe der Hain-buchenstraße 13.

 

Aus eben dieser direkten Nachbarschaft, aus der Brüder-Grimm-Schule in der Goldsternstraße, gebe es „durchweg positive Signale und den Willen, ein gutes Miteinander zu entwickeln“, kontert Sozialamtsleiterin Kador-Probst. Dies stimme sie hoffnungsfroh – zumal von dort, wo anfänglich große Widerstände gegen Flüchtlingshäuser herrschten, schon nach kurzer Zeit versöhnlichere Töne gen Rathaus dringen würden. Als Beispiel führt die 47-Jährige gern die Pittlerstraße in Wahren an. „Hier und anderswo haben wir uns als Verwaltung recht bald zurückziehen können.“ Das Engagement der Träger der Heime, der Einsatz der dort tätigen Sozialbetreuer und – nicht zu vergessen – die Hilfe vieler Ehrenamtlicher führe vor Ort alsbald zu einer spürbar entspannteren Atmosphäre. „Gibt es doch mal Probleme oder Beschwerden von Nachbarn – etwa, weil Heimbewohner muslimischen Glaubens während des Fastenmonats Ramadan die Nacht zum Tag machen und zu laut sind – schalten wir uns ein und suchen nach Lösungen“, erläutert Kador-Probst. „Machen wir uns doch nichts vor: Es gibt immer solche und solche. Auch unter uns Deutschen“, schiebt sie nach.

 

Mit Blick auf Paunsdorf und andere Standorte, wo Flüchtlinge in der Nähe von Bildungs- und Kindereinrichtungen untergebracht werden, ist Kador-Probst des Lobes voll ob der guten Kooperation mit den Schul- und Hortleitungen sowie der Bildungs- und der Arbeitsagentur. „Alle haben verinnerlicht, dass es nicht reicht, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu bieten, sondern dass es vor allem um die rasche Integration gehen muss. Die Kinder, das ist unser Ziel, sollen spätestens zwei Wochen nach ihrer Ankunft erstmals in eine Leipziger Schule gehen, ihre Eltern so schnell wie möglich Deutsch lernen, die Erwachsenen nach drei Monaten einer eingeschränkten Beschäftigung nachgehen“, sagt die Amtsleiterin.

 

In wenigen Tagen steht für Kador-Probst und ihren Chef eine weitereder obligatorischen Info-Veranstaltungen vor der Eröffnung von Asylbewerber-Unterkünften an. Am 19. Januar geht es nach Holzhausen. In der Aula der dortigen Grundschule werden die beiden Vertreter des Sozialdezernats ab 19 Uhr über die Pläne der Verwaltung sprechen, aus dem früheren Gemeindeamt ab April und aus einem alten Bürogebäude in der Händelstraße ab Herbst Flüchtlingsheime zu machen. Möglicherweise wird auf einem Privatgrundstück zunächst noch eine weitere Unterkunft entstehen – „die wir aber wieder aufgeben, sobald der Umbau der Händelstraße abgeschlossen ist“, kündigt Kador-Probst an. Für den Ortschaftsrat, der bisher im Ex-Gemeindeamt tagt, muss eine neue Bleibe her. Die wird gerade noch gesucht. „Bis zum 19. Januar herrscht Klarheit“, verspricht die Amtsleiterin.