Gedenkstätte Buchenwald: Neue Schwerpunkte der Dauerausstellung

Erstveröffentlicht: 
07.01.2016

Bedeutung des Lagers und einzelne Opfergruppen im Fokus / Überarbeitete Sammlung ab 17. April zu sehen

VON ANTJE LAUSCHNER

 

Weimar. Zerbrochene Brillen, ein selbst gefertigter Herz-Anhänger oder ein transportabler Galgen: Die neue Dauerausstellung in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald zeigt Einzelschicksale und dringt tief in das System des Nationalsozialismus ein. Die überarbeitete und vergrößerte Schau bei Weimar wird am17. April eröffnet. Auf 1400 Quadratmetern lege sie den Schwerpunkt auf das Lager als Teil der „NS-Volksgemeinschaft“ und auf die einzelnen Opfergruppen, sagt Leiter Rikola-Gunnar Lüttgenau. Die neue Ausstellung koste zwischen drei und vier Millionen Euro, die sich Bund und das Land Thüringen teilten. Am 11. April 1945 war das Konzen-trationslager mit mehr als 21 000 Überlebenden von der US-Armee befreit worden, bewaffnete Häftlinge waren ihnen aus dem von der SS verlassenen Lager entgegengegangen.

 

Mitarbeit von ehemaligen Häftlingen

 

Mehr als vier Jahre Arbeit steckten in der neuen Ausstellung „Buchenwald 1937–1945“, so Lüttgenau. „Es wird wohl die letzte Ausstellung sein, an der Überlebende wie der Häftlingsbeirat mitgearbeitet haben.“ Für diese Gruppe sei es sehr wichtig, dass sich kommende Generationen mit dem Lager und dem Schwur der Buchenwalder „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ auseinandersetzen. Am Nachmittag des 17. April wollen das Internationale Buchenwald-Komitee und hochbetagte Überlebende wie jedes Jahr ihrer toten Kameraden gedenken. Die bisherige Ausstellung wurde nach19 Jahren im April 2015 geschlossen: Sie war inhaltlich und gestalterisch überholt. Die erste Dauerausstellung nach Ende der DDR war in einem teils heftigen Streit zwischen Historikern sowie Überlebenden konzipiert worden und hatte den Fokus inhaltlich auf die Täter gelegt. Unter anderem bekamen erstmals bis dahin vernachlässigte Opfergruppen wie Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Sozialdemokraten oder bekennende Christen mehr Raum in der Schau. Die DDR hatte sich in ihrer Betrachtung weitgehend auf die kommunistischen Gefangenen und das illegale Lagerkomitee konzentriert. In Buchenwald und seinen über 130 Außenlagern in in der Region mussten mehr als 250 000 Menschen aus Europa und Übersee ein Martyrium durchleiden. 56 000 von ihnen starben an Hunger, Kälte, unmenschlichen Arbeitsbedingungen oder dem Terror der für die Bewachung verantwortlichen SS.

 

„Buchenwald ist ein europäischer, kein deutscher Gedenkort“, betonte Historiker Lüttgenau. In den vergangenen20 Jahren sei viel über das Lagersystem geforscht und neue Quellen erschlossen worden. Auf einer Etage mehr als bisher können die Besucher künftig im einstigen Kammergebäude – wo die Häftlinge bei der Einlieferung einst ihre persönlichen Sachen abgeben mussten – einen Einblick in das „System Buchenwald“ bekommen. Seltene Dokumente, geborgene Lagerobjekte und mehr als 60 repräsentative Einzelschicksale der einzelnen Häftlingsgruppen auf Video, Tonband oder Foto sind Zeugnis des Grauens und des Überlebenswillens der Männer, Frauen und Kinder. Erstmals thematisiert die Ausstellung auch die Verfolgung Vorbestrafter. Deren aus NS-Sicht „schadhafte Gene“ sollten aus der „Volksgemeinschaft“ getilgt werden, etwa durch Sterilisation. Viele der Eingriffe wurden auf SS-Befehl im Weimarer Krankenhaus gemacht.

 

Zerschlissene Häftlingskleidung – aufwendig restauriert – zeugt von den schweren Bedingungen in dem Lager oberhalb der Dichterstadt Weimar. Die gestreiften Jacken, Hosen und Mützen gehören zu den kostbaren Objekten der Gedenkstätte. Eher unscheinbar – aber emotional ergreifend – liegen auch zerbrochene Brillen, abgenutzte Zahnbürsten, selbst gefertigter Schmuck, Nadeln oder Essgeschirr in Vitrinen. „Wir zeigen nicht nur die kaputte Brille. Wir wollen den Besuchern auch vermitteln, was es bedeutet hat, im Lager eine Brille zu besitzen“, meinte Lüttgenau.

 

Ausgrabungen bei Sommercamps

 

Jugendliche aus vielen Ländern Europas haben solche Objekte bei Sommercamps bei Ausgrabungen um das Lager geborgen und zum Teil restauriert. Vor allem die junge Generation wolle heute Antworten auf Fragen wie: „Was wussten die Deutschen über die Lager?“ Das „System Buchenwald“ beinhaltete im Auftrag der Gestapo auch öffentliche Hinrichtungen von Häftlingen und Zwangsarbeitern, die zum Beispiel bei einem Fluchtversuch geschnappt worden waren. Mit einem transportablen Galgen hängte sie die SS auch außerhalb Thüringens auf – oft unter dem Jubel und Beifall von Hunderten Deutschen. Aber nicht von allen. Ein Pfarrer in Autenhausen in Oberfranken zum Beispiel hat sein Entsetzen und seinen Ekel über solch ein Volksspektakel im Pfarrbuch festgehalten. Auch sein Eintrag ist in der Schau nachzulesen.

 

www.buchenwald.de

 


 

Hintergrund

Das Konzentrationslager Buchenwald

Die Nationalsozialisten ließen 1937 das Konzentrationslager Buchenwald nordwestlich von Weimar auf dem Ettersberg errichten. Die ersten Häftlinge waren Gegner des Regimes, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und Kriminelle. Nach Kriegsbeginn wurden Menschen aus ganz Europa in das KZ und dessen136 Außenlager verschleppt. Bei Kriegsende war es das größte Lager auf deutschem Boden. Insgesamt waren mehr als 250 000 Menschen aus36 Ländern dort gefangen, darunter die Schriftsteller Jorge Semprún, Imre Kertész und der Publizist Elie Wiesel.

 

Die Häftlinge mussten Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie leisten.56 000 wurden ermordet oder starben an Hunger, medizinischen Experimenten oder Zwangsarbeit. Am 11. April 1945 befreiten US-Truppen die 21 000 Überlebenden des teils geräumten KZ. Von Sommer 1945 an inhaftierten die sowjetischen Besatzungstruppen auf dem KZ-Gelände NS-Funktionäre, später auch Denunzierte, willkürlich Verhaftete und antikommunistische Kämpfer. Bis 1950 wurden mehr als 28 000 Menschen gefangen gehalten, mehr als 7100 starben an Hunger und Krankheiten.