Grundrecht außer Kraft: Der Süden Leipzigs wird in Haftung genommen

Erstveröffentlicht: 
30.12.2015

„Das polizeiliche Einsatzkonzept der Deeskalation hat sich bewährt.“ So die Polizeidirektion Leipzig offiziell zur Silvesternacht 2014/15 am 1. Januar 2015. Nicht ganz neu, aber quasi die frischeste Wortmeldung der Leipziger Polizei zum Thema Silvester und das „böse Connewitzer Kreuz“. Man hatte eine Spontandemonstration von 300 Menschen nach einigen Metern beendet und zwei Mülltonnen waren angezündet worden. Wie auch in diesem Jahr gab es keinen Alkohol in dieser Nacht rings ums Kreuz zu kaufen. Nun jedoch versuchen es die Behörden mit einem Silvester-Versammlungsverbot von 23 bis 6 Uhr im Leipziger Süden.

 

 

Dabei schließe das Verbot für das gesamte Gebiet „zwischen Richard-Lehmann-Straße, Arthur-Hoffmann-Straße, Zwenkauer Straße, Meusdorfer Straße, Wolfgang-Heinze-Straße, Brandstraße sowie Windscheidstraße einschließlich des mit diesen Straßennamen bezeichneten Verkehrsraums (Fahrbahnen und Gehwege) …auch jegliche Art von Ersatzversammlungen unter freiem Himmel ein“, so die Stadt Leipzig. Was letztlich bedeutet, findet man sich am 31. Dezember nach 23 Uhr in einer Gruppe Menschen wieder, könnte man ohne weiteres polizeilich „aufgelöst“, also zum Auseinandergehen aufgefordert werden.

 

Natürlich geht es nicht wirklich darum, wie Silvester 2014/15 verlaufen war, die Rückschau auf den letzten Jahreswechsel ergäbe keine solche Gefahrenprognose, wie sie nun vorzuliegen soll. Erst recht keine, welche dazu führen könnte, ein grundgesetzliches Recht zur Versammlung aufzuheben – zumal zu Silvester, wo das Versammeln auf den Straßen und Plätzen ein fundamentaler Bestandteil der Jahresend- und Anfangsfeier ist.

 

Dennoch, so die Stadt in der Begründung zum Verbot am heutigen Tage: „Grund sind die `unangezeigten` Versammlungen der Vorjahre und deren Verlauf sowie die Lageeinschätzung der polizeilichen Behörden.“ Bevor sie zum Kern vorstößt: „Darüber hinaus wird auf zurückliegende organisierte Gewalt gegen die Polizei und staatliche Institutionen verwiesen.“ 

 

Mit Silvester 2014/15 hat das nicht viel zu tun


Der 12. Dezember 2015 steckt also den Leipziger Behörden noch in den Knochen, soviel kann man bereits bei der bisherigen offiziellen Begründung des Verbotes sicher konstatieren. Wochenlang hatten im Vorfeld in ganz Deutschland linksextreme Gruppen mobilisiert und an jenem Samstag die Südvorstadt mit bis zu 1.000 gewaltsuchenden Menschen in ein Schlachtfeld gegen die Polizei verwandelt. Seither jubeln die wenigen, welche tatsächlich glauben, ein solcher Übergriff sei Teil des linken Kampfes und schwadronieren von „Leipzig-Randalemeister 2015“, während sich der allergrößte Teil der Leipziger Bevölkerung bis weit hinein in linke Kreise angewidert angesichts des autonomen Steinhagels, der polizeilichen Tränengasgeschosse und brennender Barrikaden auf der Karli abwandte.

 

Die etwa 1.600 Polizisten dieses Tages hingegen waren sichtbar überrascht worden, die Beamten selbst fanden sich vor Ort in der Defensive wieder und Leipzigs OBM Burkhard Jung und Sachsens oberster Verfassungsschützer Gordian Meyer-Plath überzogen sich gegenseitig mit Vorhaltungen. Der eine habe nicht angemessen reagiert, der andere nicht genug gewarnt. 69 verletzte Beamte lautete das Fazit des Tages selbst.

 

Wahr ist wohl bis heute: Die Leipziger Polizeidirektion mit Bernd Merbitz an der Spitze hatte die Lage einzuschätzen, eine Gefahrenprognose zu erstellen und der Verfassungsschutz nach Rathaus-Informationen gegenüber der L-IZ nur geliefert, was jeder Google-Nutzer vor dem 12. Dezember öffentlich im Netz finden konnte. Tiefere Einblicke in eine an diesem Tag deutschlandweit nach Leipzig gereiste autonome Szene hatten die Schlapphüte scheinbar wirklich nicht im Vorfeld des Gewaltexzesses.

 

Anders ist zumindest angesichts des rasanten Aufschaukelns an diesem Tag bis heute nicht erklärbar, wie entweder die Leipziger Polizeidirektion mit 1.600 Beamten haushalten wollte oder eben mal wieder das sächsische Innenministerium der Meinung war – reicht, schaffen die schon, mehr Polizisten braucht Leipzig am 12. Dezember nicht. Spezialisierte Kräfte, wie beispielsweise Beweis- und Festnahmeeinheiten oder das SEK waren zu wenige vor Ort oder gar nicht vorhanden. So auch die Informationen von Einsatzbeamten im Nachgang, welche teils anonym bei der L-IZ und anderen Medien eingingen. Diese fühlten sich schlicht im Stich gelassen. 

 

Eine sich selbsterfüllende Prophezeiung?


Wahr ist wohl auch mit Blick auf Silvester 2014/15 und nun 2015/16: Bislang war keine Mobilisierung aus linksextremen Kreisen nach Leipzig Connewitz für den 31. Dezember öffentlich bekannt. Erst recht keine im Ausmaß wie vor dem 12. Dezember 2015, auch auf den Straßen im Süden gab es dieses Mal keine Plakate, Aufkleber und Zettel, welche noch Anfang Dezember 2015 reichlich vorhanden waren.

 

In der Begründung zum Verbot kommt die polizeiliche Einschätzung als eine sich selbst bestätigende polizeiliche Einschätzung daher – ohne weitere konkrete Belege für die anstehende Silvesternacht. Ein Teil der ungenannten Begründungen könnte in diesem Jahr auch der verstärkte Einsatz von Polizeikräften rings um Asylbewerberunterkünfte in Leipzig und somit auch die Verfügbarkeit von Beamten allgemein sein. Doch ob sich die Stadt Leipzig mit dem Verbot im Süden einen Gefallen getan hat, ist äußerst fraglich.

 

Denn das Versammlungsverbot könnte sich zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung entwickeln. Und das Connewitzer Kreuz so voll werden, wie seit Jahren nicht mehr. Nach dem Bekanntwerden der Planungen am heutigen Mittwoch und den ersten Absperrgittern am Connewitzer Kreuz sind einschlägige Seiten im Netz wach geworden und auch das linksradikale Portal indymedia spiegelt die ersten Presseberichte zum Verbot.

 

Auf Facebook hingegen melden sich immer mehr User, welche nun erst recht ihr Silvester am Connewitzer Kreuz begehen wollen, friedlich, aber eben versammelt. Die meisten, weil sie die Maßnahme schlicht für eine Übertreibung, eine pauschale Diskriminierung ihres Stadtteils und einen Eingriff in ihre persönliche Freiheit halten.

 

FDP-Stadtrat René Hobusch hat diese Sicht zur Stunde in einem ersten Statement auf Facebook so zusammengefasst: „So sehr auch ich allen Leipzigerinnen und Leipzigern und den Gästen unserer Stadt einen friedlichen Jahreswechsel wünsche. Chaoten und Feinden unserer freien und offenen Gesellschaft mit einer Einschränkung unserer eigenen Freiheitsrechte zu antworten, halte ich für den falschen Weg! Denn wenn wir uns selbst beschränken, sind Extremisten auf dem besten Weg, ihre Ziele zu erreichen.“

 

Doch dieser Weg wird gerade gegangen, möchte man antworten. Die Gewalttäter vom 12. Dezember sind dabei, zu beweisen, dass ihre Angriffe zu einer staatlichen Repressions(über)reaktion gegen alle Bewohner im Leipziger Süden führen sollen. Ein ganzes Stadtgebiet wird gerade in Mithaftung für ihre Taten genommen.