Plötzlich ist es wieder schick, Linke und Rechte in einen Topf zu werfen. Das Bürgertum belügt sich damit, dass sich angeblich die Extreme berühren. Dabei steckt die politische Mitte in der Krise.
War Adolf Hitler ein Linker? Die Frage hat der berühmte Journalist Joachim Fest allen Ernstes einmal gestellt. In einem Zeitungsartikel schrieb Fest im Jahr 2003: "Manche guten Gründe sprechen dafür, dass der Nationalsozialismus politisch eher auf die linke als auf die rechte Seite gehört." Das war das böse Märchen von der Velwechserbarkeit von rinks und lechts (um mit Ernst Jandl zu sprechen). Mit diesem Topos halten sich Konservative und Sozialdemokraten immer dann die Linken vom Leib, wenn die bürgerliche Mitte erodiert. Das ist heute wieder der Fall.
Darum müssen sich die Linken jetzt anhören, sie gehörten in den gleichen Topf wie die Dunkeldeutschen von Pegida und der AfD. Die Deutschen fürchten sich. Mehr als die Hälfte blickt angsterfüllt in die Zukunft. Die "German Angst" ist zurückgekehrt. Die deutsche Mitte fühlt sich bedroht. Ihr Schoß gebiert wieder die Extreme. Der SPIEGEL brachte dazu in der vergangenen Woche eine Titelgeschichte. Darin taucht eine Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung auf, die feststellt: Deutsche Rechtspopulisten bilden eine "Querfront", die linkes und rechtes Gedankengut vermischt. Der SPIEGEL schreibt, der Begriff gehe auf die Weimarer Republik zurück, "als jungkonservative Denker wie Arthur Moeller van den Bruck darüber philosophierten, wie sich nationalistische und sozialistische Kräfte bündeln ließen. Was kurze Zeit später ja auch gelang."
Ein lapidarer Satz mit ungeheurem Inhalt: der damalige Nationalsozialismus als Bündelung nationalistischer und sozialistischer Kräfte? Und das heutige Murren im Osten eine Absage an die westliche Demokratie, in der sich Linke und Rechte nicht unterscheiden? Überhaupt: Links, Rechts, alles eins?
Der Hebel, mit dem die Linken in die braune Suppe befördert werden, ist der Vorwurf der Gleichmacherei. Jan Fleischhauer hat das in der vergangenen Woche hier knapp und gekonnt vorgemacht: "Die einen versprechen soziale Homogenität, die anderen kulturelle. Gegen zu viel Ungleichheit sind beide."
Diskreditierung der linken Hoffnung
Es ist ein perfides Argument: das Gleichheitsversprechen der französischen Revolution und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, das zum edlen Inventar der westlichen Zivilisation gehört, wird zur totalitären Gleichmacherei pervertiert und auf diese Weise wird die Utopie der Linken auf die gleiche Schwundstufe gestellt wie die Dystopien der Rechten.
Aber diese Lust an der Diskreditierung der linken Hoffnung gehört seit jeher zum bürgerlichen Inventar. Es war wiederum Joachim Fest, der 1991 schrieb:
Mit dem Ende des Sozialismus ist, nach dem Nationalsozialismus, der andere machtvolle Utopieversuch des Jahrhunderts gescheitert. Was damit endet, ist der mehr als zweihundert Jahre alte Glaube, dass sich die Welt nach einem ausgedachten Bilde von Grund auf ändern lasse. Zersprungen sind all die scharfsinnigen Träume über die Menschheitszukunft, die aus der Welt ein riesiges Schlachthaus gemacht haben.
Es war ziemlich viel Ehre für den Nationalsozialismus, ihn als "Utopieversuch" zu kennzeichnen. Niemand wusste in Wahrheit besser als der Hitler-Biograf Fest, dass die Nazi-Ideologie das Gegenteil einer Utopie bot: Vernichtung statt Befreiung.
Links und Rechts, alles eins? Das ist ein schlimmer Vorwurf. Im Angesicht der Geschichte ohnehin. Die Sozialisten gehörten zu den ersten, die in Hitlers Konzentrationslager wanderten. Und dann mutet man ihnen noch zu, mit den Nazis in "sozialistische" Geiselhaft genommen zu werden?
Es sei daran erinnert: Im ideologischen Aufbegehren der Zwischenkriegszeit konnte sich jeder aus den ideologischen Stellagen bedienen, wie er wollte, und durch rhetorisches Rühren immer ekligere Emulsionen eigentlich nicht mischbarer Bestandteile herstellen. Der "deutsche Sozialismus" von Otto Strasser war so eine unappetitliche Sauce.
Der Führer ein Linker, weil er das Kindergeld einführte?
Aber seitdem müssen sich die Linken das immer wieder anhören. Erika Steinbach, Dauervertriebene der CDU,
twitterte vor ein paar Jahren: "Die NAZIS waren eine linke Partei.
Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI..." Und der
Historiker Götz Aly nahm das gerne zum Anlass, an Hitlers Sozialpolitik zu erinnern.
Aber wenn der "Führer" dadurch zum Linken wird, dass er im Jahr 1934 das Kindergeld einführte, dann war Bismarck auch einer, als er 1883 die Krankenversicherung einführte. Wer die Nationalsozialisten für Sozialisten hält, weil sie so hießen, der kann ebenso gut die Deutsche Demokratische Republik für einen demokratischen Staat halten. Aber auf die Idee käme niemand.
Es gehört zum Wesen der Utopie einer Gerechtigkeit jenseits der bestehenden, dass sie eine Zumutung ist. Wer sich diese Zumutung vom Leib halten will, erkennt nicht den Unterschied zwischen dem Demonstranten, den die Hoffnung auf eine bessere Welt für alle auf die Straße treibt, und jenem, den Ernst Bloch einst "die rachsüchtige, kreuzigende Kreatur aller Zeiten" nannte.