Für die vorherigen Wochen siehe: http://weisekiezini.blogsport.de/ - 8. Woche (7. Dezember 2015 – 13. Dezember 2015) Nachdem die Presse nach langem Ausschluss endlich Zutritt zu den Hangars des ehemaligen Tempelhofer Flughafens bekommen hat, wird die dortige Situation auch in der ARD und im ZDF thematisiert. In der Sendung vom 8. Dezember 2015 berichtet Frontal 21 über die Lager im ehemaligen Flughafen Tempelhof. (http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2622342/Fluechtlingskinder-ohne-Perspektive?setTime=5.231#/beitrag/video/2622342/Fluechtlingskinder-ohne-Perspektive)
Zwar fanden die Journalist_innen einen „Zustand, den keiner lange Aushält“ vor, doch wisse „das [.] auch der Leiter der Notunterkunft Michael Elias“. Immerhin wird ein Zusammenhang zwischen den Zuständen und der „Massenschlägerei“, die ein sehr breites mediales Echo gefunden hatte, hergestellt. Elias führt dieses Ereignis auf eine kleinere Auseinandersetzung bei der Essensausgabe zurück, woraufhin „junge Männer“ ihren Frust abgelassen hätten. Im Widerspruch zu Äußerungen von Bewohner_innen (siehe 6. Woche) verlegt Elias die Ursache in die „jungen Männer“. Die schlimmen Zustände werden in diesem Beitrag eher leise angeprangert. Elias schiebt die Schuld auf die staatlichen Behörden und die Kamera folgt verständnisvoll.
Am 10. Dezember 2015 berichtet die ARD in der 20-Uhr-Tagesschau und in einem Text auf ihrer Internetpräsenz über die Lager. (https://www.tagesschau.de/inland/reportage-fluechtlinge-117.html) „Ein bisschen Adventsstimmung, für mehr ist kein Platz“ – im Video ist der Ton deutlich schärfer als bei Frontal 21. Mit den Worten von Bewohner_innen wird über einen „furchtbaren Ort“ berichtet. Der wohlorganisierte Pressetermin stößt auf Skepsis:
Zwischen den Zeltreihen in Hangar 1 liegen Matten mit Spielzeug ausgebreitet. Ein Mann vom Kinderzirkus Cabuwazi lässt kleine Jungen auf Gymnastikbällen balancieren. Ziemlich beeindruckend – doch ist das alles nur für den Pressetermin inszeniert? Wenige Tage zuvor saßen die Flüchtlinge noch beschäftigungslos in den Hangars herum.
Auch Stimmen, die die Aggressivität des privaten Sicherheitsdiensts anprangern, wird Raum gegeben. Alles in allem wird ein düsteres Bild vom Leben in den Lagern gezeichnet. Die Worte des Lagerbetreibers Michael Elias wirken hier nicht überzeugend. Maßnahmen wie die Verlängerung der Essenszeiten, „Gesprächsrunden und sogar Konzerte und Singabende [.], um das Gemeinschaftsgefühl zu verbessern“, die Elias nach der „Massenschlägerei“ veranlasst hätte, werden nicht als nachhaltige Verbesserungen präsentiert.
Die Tagesschau verbreitet auch die Kritik der Helferin, die sich in der Vorwoche im RBB geäußert hatte. Die Helfer_innenführung bei Tempelhof hilft tut alles, um auch nicht nur den leisesten Anschein zu erwecken, die von ihnen angeeignete Organisation von „Freiwilligen“ könnte in irgendeiner Weise Kritik an der Tamaja GmbH äußern:
Weil es auf der Webseite der Tagesschau nun auch steht: Tempelhof Hilft hat sich NICHT beim RBB beschwert. Die ehrenamtlichen Helfer haben Zugang zu den Hangars, wenn sie einer angemeldeten Unterstützergruppe zugehören und dies vorab mit Tamaja koordinieren. Es gibt mehrere ehrenamtliche Initiativen im THF. Unsere Gruppe kümmert sich hauptsächlich um die Kleiderkammer, was bei 2200 Personen schon eine ganze Menge Arbeit ist. Andere Initiativen haben ein Spielzimmer gebaut, geben Unterricht, machen Sportaktionen uvm. Es gibt den Zugang, allerdings koordiniert und mit zuverlässigen und regelmäßigen Helfern. (https://www.rbb-online.de/politik/thema/fluechtlinge/berlin/2015/12/fluechtlingsunterkunft-flughafen-tempelhof.html)
Die, die sich kritisch äußern, werden ausgeschlossen. „Freiwillige“ Helfer_in bei „Tempelhof hilft“ kann nur sein, wer ohne Lohn die Wünsche der Tamaja GmbH erfüllt. Die Einwilligung in das Lagerregime und das kapitalistische System sind hier die Voraussetzungen für humanitäre Hilfe. Wer helfen will, muss sich zu deren Komplizen_in machen.
Die ARD fällt nicht auf Elias’ Taktik herein, sich durch Schuldzuweisungen aus der Kritik zu ziehen. Die BZ tat dies am 9. Dezember ganz offensichtlich und bestimmt nicht unbeabsichtigt, wenn sie die Einrichtung als „Vorbildliche Flüchtlingsunterkunft im Flughafen Tempelhof“ tituliert. In einem kurzen Video werden „Spielmöglichkeiten“, „ein weiter Verpflegungspunkt“, „verlängerte Essenszeiten“ und „Getränke rund um die Uhr“ als Errungenschaften der Tamaja GmbH hervorgehoben. (http://www.bz-berlin.de/berlin/tempelhof-schoeneberg/tempelhof-soll-berlins-1-not-notunterkunft-werden)
Zudem prangert Elias nun auch selbst die Bedingungen in den Hangars an und schiebt die Schuld auf den Senat. (http://www.berliner-zeitung.de/berlin/ehemaliger-flughafen-tempelhof-hangars-5-bis-7-sollen-bis-weihnachten-fuer-fluechtlinge-fertig-sein,10809148,32892130.html) Im Artikel in der BZ behauptet eine Sprecherin gar, dass die Anlage zur „Not-Not-Unterkunft“ werden und bald keine_r länger als zwei Wochen dort wohnen müssen soll.
Bei den Bewohner_innen kommt Elias weniger gut an, schließlich ist er der sichtbare Kopf eines repressiven und gewaltvollen Lagerregimes. In einem Cafe schauen Bewohner_innen der von Elias beherrschten Unterkünfte den Bericht von Frontal 21. Als sein Gesicht auf dem Bildschirm erscheint, reagieren sie gereizt, fast jeder hier kennt ihn.
Was wird die mediale Zuwendung bringen, die die „Notunterkunft“ im ehemaligen Flughafen derzeit erfährt und die vermutlich noch zunehmen wird, wenn die Lager ausgebaut werden? Sicherlich kann sie erheblichen Druck ausüben. Am 9. Dezember ist der LaGeSo-Chef Franz Allert zurückgetreten. Dies ist zum Teil auf die zunehmende mediale Skandalisierung der Zustände vor dem LaGeSo zurückzuführen. Doch wird die Kritik in die falschen Bahnen geleitet, denn weder der Austausch einzelner Politiker_innen noch von Lagerbetreiber_innen wird Fluchtursachen und massive gesellschaftliche Ungleichheiten merklich beeinflussen. Hier bezieht die Weisekiezinitiative klar Stellung: Kein Frieden mit dem kapitalistischen System und seinen Profiteur_innen!