Krawalle in Leipzig - Verfassungsschutz: Gewaltpotenzial war bekannt

Erstveröffentlicht: 
15.12.2015

Hätten die Krawalle in Leipzig am Wochenende verhindert werden können? Nach den schweren Ausschreitungen mit zahlreichen Verletzen und erheblichen Schäden in der Südvorstadt fordern Politik und Polizeigewerkschaft Konsequenzen. Während sich Leipzig Oberbürgermeister Burkhard Jung vom Verfassungsschutz im Stich gelassen fühlt, kritisierte die Polizeigewerkschaft die Stadt, weil sie die Demo trotz Warnung vor Eskalation zugelassen hat.

 

Der sächsische Verfassungsschutz hat Vorwürfe der Stadt Leipzig zurückgewiesen, nicht ausreichend über das linksextreme Gewaltpotenzial informiert zu haben. Verfassungsschutzpräsident Gordian Meyer-Plath sagte MDR SACHSEN, man habe davor in Lageberichten explizit gewarnt. "Dass an diesem Wochenende Gewalt ausgehen würde gegen Demonstranten und Polizeibeamte, das war dem Verfassungsschutz und den Sicherheitsbehörden bekannt." Er könne allerdings nicht beurteilen, ob die Berichte seiner Behörde auch an richtiger Stelle angekommen seien.

 

OB Jung: "Warum wissen wir so wenig?"

 

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung hatte nach den Ausschreitungen von Linksextremen am Sonnabend am Rande einer Demonstration gegen Rechtsextreme im Stadtteil Connewitz den Verfassungsschutz kritisiert. "Wie ist es möglich, dass der Verfassungsschutz so wenig weiß und dass wir nicht informiert sind?", sagte er am Sonntag nach den Krawallen in einem MDR-Interview. Der SPD-Politiker forderte, systemfeindliche und kriminiell gewalttätige Aktivitäten im Untergrund frühzeitig zu beobachten. Man müsse mit den rechtsstaatlichen Mitteln und mit aller Härte vorgehen. Und das passiere nicht, so Jung. "Ich brauche eine gezielte, auf die jeweilige Situation zugespitzte Beurteilung der Lage", legte Jung am Montag noch einmal nach. "Ich muss wissen, wer dort anreist. Wer steckt hinter Tarnnamen. Das alles ist nicht gelaufen." Am Dienstag will sich Jung deshalb mit Verfassungsschutzpräsident Meyer-Plath zum Gespräch treffen.

 

Ich werde nicht müde zu betonen, dass wir es hier fast mit terroristischen Gruppierungen zu tun haben, und ich erwarte einfach beste Erkenntnisse durch den Verfassungsschutz.

Burkhard Jung im Interview mit dem MDR SACHSENSPIEGEL

 

Verfassungsschutz: Erkenntnisgewinn ist schwierig


Sachsens Verfassungsschutzpräsident Meyer-Plath sagte, der militanten linksextremistischen Szene in Leipzig gehörten im Kern an die 200 gewaltbereite Autonome an, die sehr konspirativ zusammenarbeiten würden. Daher sei es nicht leicht, im Vorfeld Erkenntnisse zu gewinnen. Hinzu kämen auswärtige Linksextremisten. Genaue Geschehnisse seien damit schwer zu prognostizieren. Bundesweit sei die Leipziger Szene herausragend, was Anzahl und Schwere ihrer Straftaten betreffe. 

 

Jung sieht demokratische Demonstrationskultur in Gefahr


Oberbürgermeister Jung zufolge halten Ausschreitungen wie am Sonnabend in Leipzig friedliche Demonstranten davon ab, an Kundgebungen gegen Fremdenfeindlichkeit teilzunehmen. Zudem würden Anhänger von Pegida und Legida in ihren Vorurteilen bekräftigt, dass der Staat nicht gegen Kriminelle vorgehe. Jung sagte, die Eskalation werde durch das Erstarken und den Extremismus der Ränder zunehmen. "Und das ist die Gefahr, die ich sehe."

 

Fast fassungslos stelle ich fest, dass es gar nicht mehr um die Gegenwehr gegen fremdenfeindliche Umtriebe ging, sondern plötzlich nur noch Gewalt gegen Polizei bis hin zur Feuerwehr ausgeübt wurde. Es ging um einen Feindschaft gegen diesen Staat hochkrimineller Gewalttäter.

Burkhard Jung im Interview mit dem MDR SACHSENSPIEGEL

 

Jung wies zugleich Forderungen nach Demonstrationsverboten zurück. "Es gibt ein Demonstrationsrecht in Deutschland. Wir haben versucht, der Situation Rechnung zu tragen und die drei fremdenfeindlichen, rechtsradikalen Demonstrationszüge zusammenzufassen zu einer Aktion in einem Bereich", so Jung im MDR SACHSENSPIEGEL. Die Stadt habe verhindert, dass Rechtsradikale durch Connewitz - den alternativen Stadtteil - gezogen seien. Damit widersprach Jung auch Vorwürfen der Polizeigewerkschaft Sachsen, die die Versammlungsbehörde für die Ausschreitungen in mitverantwortlich gemacht hatte.

 

In Anbetracht dessen, dass nicht mehr Polizei verfügbar war, hätte man die Demonstration absagen müssen.

Cathleen Martin
Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Sachsen

 

Bei den Krawallen in Leipzig waren am Sonnabend nach Behördenangaben 69 Polizisten verletzt und 50 Polizeiautos beschädigt worden. Ein Beamter ist bis auf weiteres arbeitsunfähig. Die Polizei nahm 23 Menschen vorübergehend in Gewahrsam. Sie sind inzwischen alle wieder auf freiem Fuß. Die Randalierer hinterließen in der Stadt eine Spur der Verwüstung. Schaufensterscheiben und Scheiben von Wartehäuschen gingen zu Bruch, Müllcontainer brannten. Die Stadt schätzt den Schaden auf weit mehr als 100.000 Euro.