Gewalt gegen Gerichtsvollzieher –selbst ernannter Hilfspolizist verurteilt

Erstveröffentlicht: 
16.12.2015
Prozess in Meißen: 56-Jähriger muss Haftstrafe von 16 Monaten antreten / Andere Angeklagte nicht erschienen
VON WINFRIED MAHR

 

Meissen. Das Recht in der dörflichen Idylle Bärwaldes (Kreis Meißen) wollten sie so lange in die eigenen Hände nehmen, bis ihr eigenes Reich gekommen sei. Doch musste sich gestern der erste von gut einem Dutzend selbst ernannter Ordnungshüter der staatlichen Autorität beugen. Das Amtsgericht Meißen verurteilte den 56-jährigen Ullrich S. zu 16 Monaten Haftstrafe, weil er vor drei Jahren auf seinem Hof einen Gerichtsvollzieher festhalten und misshandeln ließ.

 

Als der 55-jährige Ulrich Lamm am 23. November 2012 an der Pforte des Dreiseithofes im Unterdorf von Radeburg klopfte, um ein relativ läppisches Bußgeld von reichlich 50 Euro einzutreiben, ahnte er nicht, welches Martyrium ihn drinnen erwartete. Neben dem Bewohner Ullrich S. sah er sich plötzlich von zwölf Leuten umzingelt, weil Wortführer Ullrich S. prinzipielle Zweifel an dessen Legitimität kundtat. Wie auf einem von der Bürgerwehr angefertigten Video zu sehen war, folgte eine hochnotpeinliche Befragung des amtlichen Vollstreckers, der sich zuvor mit seinem Dienstausweis vorgestellt hatte. „Weil er weitere persönliche Angaben verweigerte und vor dem Betreten des Grundstückes gewarnt worden war, folgte eine ganz normale vorläufige Festnahme“, erklärte der Angeklagte vor Gericht. Die Anwesenden, darunter mehrere in Uniformen der wenige Monate zuvor gegründeten Bürgerwehr „Deutsche Polizei Hilfswerk“ (DPHW), versperrten alle Ausgänge, und Andreas K., einer der selbst ernannten Hilfssheriffs, versuchte dessen Hände mit Kabelbindern zu fesseln.

 

„Der war mal bei der Bereitschaftspolizei, da sind solche Abläufe wohl noch drin“, versuchte Ullrich S. die Situation vor Gericht herunterzumoderieren. Erst nach einer quälenden Dreiviertelstunde rückte die von beiden Streitparteien gerufene Polizei mit mehreren Einsatzwagen an, anfangs merklich um Orientierung ringend angesichts der vielen polizeiähnlichen Uniformen vor Ort. Erst im Laufe der Ermittlungen wurden Beweismittel wie Videokameras, Handys, Uniformteile sowie diverse Waffen sichergestellt und ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. Das Opfer, dass um sein Leben fürchten musste, konnte aufgrund posttraumatischer Belastungsstörungen 14 Monate nicht arbeiten und musste sich in stationäre Behandlung begeben.

 

Das DPHW wird mit den sogenannten Reichsbürgern in Verbindung gebracht, die die Bundesrepublik Deutschland und ihre Gesetze nicht anerkennen. Weil auch der Angeklagte die Legitimation des Gerichts wiederholt infrage stellte, wurde gegen ihn wegen ungebührlichen Verhaltens ein Ordnungsgeld von 300 Euro verhängt. Der Amtsrichter bezeichnete eine solche Rechtsauffassung als „frei erfunden“ und bescheinigte dem Angeklagten „erhebliche Reifedefizite“, die man sonst nur vor Jugendgerichten erlebe. „Sie haben an diesem Tag ein bisschen Staat gespielt.“ Die Tat stelle einen beispiellosen Taubbruch in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte dar. Die erstmalige Gefangennahme eines mit hoheitlichen Aufgaben ausgestatteten Gerichtsvollziehers hat den Nährboden für physische und psychische Gewalt gegenüber Ordnungshütern bereitet“, so Poth.

 

Der Angeklagte hat nun eine Woche Zeit, Rechtsmittel einzulegen. Es war das erste von drei Verfahren im Zusammenhang mit der Tat. In zwei weiteren Prozessen müssen sich je vier weitere Mitglieder und Unterstützer des DPHW verantworten. Im Zuschauerraum und vor dem Gerichtsgebäude hatten sich rund drei Dutzend Unterstützer des Angeklagten eingefunden. Auch sie stellten die Legitimation des Gerichts und der Bundesrepublik insgesamt infrage.

 

Bei den Männern im Alter von 45 und 54 Jahren sowie einer 55 Jahre alten Frau handelt es sich um mutmaßliche Anführer des nun aufgelösten „Deutschen Polizei Hilfswerks“. Der 45-jährige Volker S. aus Bärwalde soll sich in Belgien aufhalten und wird per Haftbefehl gesucht. Da auch Kerstin und Andreas K. aus Spremberg gestern nicht zur Verhandlung erschienen waren und trotz stundenlanger Unterbrechung auch nicht vorgeführt werden konnten, erließ Richter Andreas Poth auch gegen sie Haftbefehl.