Asylverfahren: Alles soll besser werden – doch niemand weiß, wann

Erstveröffentlicht: 
11.12.2015
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eröffnet in Markkleeberg eine neue Außenstelle

VON ANDREAS DEBSKI

 

Markkleeberg. Der Farbgeruch hängt noch in den kahlen Räumen, die Rechner sind gerade ausgepackt – um die Regis-trierung von Flüchtlingen zu schaffen,hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) jetzt in Markkleeberg (Landkreis Leipzig) eine Außenstelle eröffnet. In einem tristen Bürokomplex, am südlichen Stadtrand von Leipzig gelegen. Nach dem Stammsitz Chemnitz und einer weiteren Registratur in Dresden ist dies die Nummer 3 in Sachsen. Daneben sind derzeit im Freistaat zehn mobile Teams unterwegs, die in den Erstaufnahme-Unterkünften die Daten von Asylsuchenden aufnehmen. „Wir sind erst am Anfang der Verbesserungen. Sicher um einiges zu spät, aber es wird allmählich besser werden“, gesteht BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise bei der offiziellen Eröffnung in Markkleeberg ein.

 

BAMF-Chef Weise: Wir sind erst am Anfang der Verbesserungen

 

Wie recht Weise hat – gebürtiger Radebeuler und vor gut zwei Monaten als neuer Krisenmanager der Bundesbehörde installiert –, verdeutlicht ein Blick auf die Zahlen. Bundesweit sind allein in diesem Jahr bislang 960 000 neue Flüchtlinge aufgenommen worden; davon warten mehr als eine halbe Million Menschen noch immer darauf, um überhaupt umfassend registriert zu werden und einen Asylantrag beim BAMF stellen zu können. In Sachsen sind dies immerhin 7000. Hinzu kommt: Die Zahl der nicht entschiedenen Anträge liegt bei 356 000 – Tendenz steigend „Ein Asylverfahren dauert momentan im Durchschnitt5,2 Monate. Unser Ziel ist, dies auf drei Monate zu reduzieren. Wann wir das erreichen, lässt sich nicht sagen“, gibt Elisabeth Lang, die BAMF-Gruppenleiterin für Sachsen und Berlin, unumwunden zu. Bei Frank Jürgen Weise klingt das so: „Wir sind noch nicht bei der Kapazität, die das Land braucht.“

 

Der BAMF-Chef gesteht in Markkleeberg Fehler ein, teilt aber auch kräftig aus. Dem Bundesamt seien für dieses Jahr nur gut 3000 Stellen genehmigt worden – „eine absolute Fehlentscheidung“, stellt Frank Jürgen Weise mit Fingerzeig nach Berlin und gegen seinen Amtsvorgänger klar. „Wir werden die Stellen im nächsten Jahr mehr als verdoppeln“, kündigt er an. Seit Juli sind schon 400 neue Mitarbeiter hinzugekommen, bis Ende nächsten Jahres werden es bundesweit 7300 sein. Auch davon soll Sachsen profitieren: Hier steigt die Zahl von aktuell 115 auf 260. Zwei Mitarbeiter hat der Freistaat abgestellt. „Es gibt sehr viele Bewerbungen, daran herrscht kein Mangel“, sagt Elisabeth Lang. Sie erklärt auch, weshalb die Einstellungen erst jetzt erfolgen: „Als Behörde müssen wir auf den Bundeshaushalt warten, vorher wissen wir nicht, wie viel Geld zur Verfügung steht und dürfen nicht handeln.“

 

Dass die neue Außenstelle in Markkleeberg, die Ende nächsten Jahres nach Leipzig-Gohlis in die neue Erstaufnahme-Einrichtung umziehen soll, den Verfahrensstau schnell mitbeheben kann, glaubt bei der Eröffnung wohl niemand. Die derzeit zehn Mitarbeiter – darunter vier sogenannte Asyl-Entscheider – schaffen gerade einmal das Anlegen von sieben bis zehn Akten pro Tag. „Auch das wird sich ändern“, gibt sich Frank-Jürgen Weise optimistisch. „Demnächst werden es20 Mitarbeiter sein, Ende nächsten Jahres 70, davon 20 Entscheider.“ Bis dahin wird sich der Akten- und Registrierungsberg allerdings noch weiter auftürmen, das weiß auch der BAMF-Chef.

 

Innenminister Ulbig: Flüchtlingszahlen gehen erstmals in diesem Jahr zurück

 

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) honoriert zumindest die BAMF-Bemühungen. „Unter Führung von Herrn Weise wird das nachgeholt, was zuvor versäumt wurde“, lobt er in Markkleeberg. Zugleich stellt der Minister auch klar: Zwar gehen die Flüchtlingszahlen erstmals in diesem Jahr zurück, und vergangene Woche kamen nur 1497 statt wie bisher 2000 nach Sachsen – „die Kapazität muss aber weiter ausgebaut werden, sodass auch gleich Akten angelegt und Asylverfahren eingeleitet werden können“. Momentan ist es so, dass sehr viele Flüchtlinge sogar ohne Registrierung im Freistaat verteilt werden. Die rasche Datenaufnahme in den Außenstellen sei vor allem für die Kommunen wichtig, erklärt Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) und dringt ebenfalls auf deutliche Verbesserungen: „Die Kommunen müssen wissen, was auf sie zukommt. Dann können auch Entscheidungen für die Unterbringung früher getroffen werden.“

 


 

Verfahrensdauer: Teufel steckt im Detail

 

Die Kritik an der Länge von Asylverfahren zieht sich von Anbeginn durch die gesamte Debatte, auch im Freistaat Sachsen. Warum, so lautet die Frage, benötigen die Behörden zuweilen mehr als ein Jahr, um einen Flüchtling als Asylberechtigen anzuerkennen – oder halt nicht? Und wie kommt es zu dem Verwaltungschaos? Die Antworten darauf sind kompliziert, der Teufel steckt im Detail. Insgesamt sechs große Problemfelder gibt es dabei.

 

1  Das Wirrwarr beginnt nicht erst beim viel kritisierten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), sondern viele Monate zuvor. Bis zu vier Mal werden Flüchtlinge von verschiedenen Behörden registriert: erst an der deutschen Grenze oft von einem Bundespolizisten; später von Hilfsorganisationen in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder; dann von der Zentralen Aufnahmestelle (ZAS) in Sachsen und schließlich vom BAMF – dem eigentlichen Startpunkt des Asylverfahrens.

 

2  Ein weiteres Problemfeld betrifft die Tatsache, dass sich nicht alle Flüchtlinge registrieren lassen. Grund: Sie sind „schwarz“ eingereist oder wollen sowieso von Deutschland in ein anderes Land weiterreisen.

 

3 Gleichzeitig aber werden Flüchtlinge oft auch doppelt registriert. Grund: Die für Einreise und Asylverfahren zuständigen Behörden sind nicht ausreichend miteinander vernetzt. Folge sind ein Zahlenwirrwarr sowie ein erheblicher Mehraufwand. Ein Gesetz soll jetzt Abhilfe schaffen.

 

4 Ein weiterer Grund für die Dauer ist die Kompliziertheit vieler Verfahren, zum Beispiel weil keine Pässe vorhanden oder diese gefälscht sind. Eine Überprüfung aber ist zwingend erforderlich.

 

5 Hinzu kommt, dass Flüchtlinge nach der Erstregistrierung oft genug noch monatelang auf den Start des eigentlichen Asylverfahrens durch das BAMF warten müssen und die Heime verstopfen – zuweilen kann allein dies sechs, sieben Monate dauern.

 

6 Das nächste und wohl auch größte Problemfeld ist das BAMF selbst. Der Behörde fehlt schlicht das Personal, um die große Anzahl der Flüchtlinge schnell und korrekt bearbeiten zu können. Zwar stockt das BAMF erheblich auf. Es steht aber gleichzeitig vor dem Problem, dass im Falle von Syrern erneut die Einzelprüfung greift – und nicht mehr das einfache Schnellverfahren. Jürgen Kochinke