„Bei sozialem Wohnungsbau muss die Linke Druck aufbauen“

Erstveröffentlicht: 
09.12.2015
Linkenchef Volker Külow über Zukunftskonzept 2020, Mitgliederentwicklung und Linksextremismus
VON MATHIAS ORBECK

 

Leipzig. Flüchtlinge nicht gegen andere Benachteiligte ausspielen – etwa bei sozialem Wohnraum. Das ist eine Forderung der Leipziger Linken, die im Dezember eine breit angelegte Debatte über die Zukunft ihrer Partei startet. Die LVZ sprach darüber mit Parteichef Volker Külow (55). Der ehemalige Landtagsabgeordnete arbeitet wieder als Historiker und freiberuflicher Berater für Kommunikation und Marketing.

 

Sie arbeiten an einer Zukunftsstrategie Ihrer Partei 2020. Wie unterscheiden sich die Linken im Jahre 2020 von heute?


Es gibt ja keinen Masterplan, wie wir 2020 aufgestellt sein wollen. Jetzt geht es darum, einen möglichst breiten und offenen Diskussionsprozess in unserem Stadtverband zu führen und möglichst viele Mitglieder einzubeziehen. Im Laufe eines Jahres versuchen wir, viele Ideen zu entwickeln und Defizite zu benennen. Natürlich wünsche ich mir, dass die Linke 2020 genauso stark ist wie heute. Möglichst noch stärker in einer wachsenden, bunter und vielfältiger werdenden Stadt. Interessierte Migrantinnen und Migranten kommen zu uns, denen wir auch eine politische Heimat bieten wollen. Vielleicht gelingt es sogar, sie in verantwortlichen Positionen einzubeziehen...


...weil von Ihren 1300 Mitgliedern viele älter sind und Sie Nachwuchs brauchen?


Nachwuchs braucht jede Partei. Wir haben aber nicht zu viele Alte, eher zu wenig Junge. Dabei haben wir erstaunlich viele Neueintritte. 50 bis 60 pro Jahr, in Wahlzeiten sogar noch mehr. Junge Leute treten oft übers Internet ein und haben wenig Erfahrung mit Parteien. Mir macht es viel Kopfzerbrechen, wie wir es schaffen, die Neuen an uns zu binden. Viele Funktionen werden von Mitgliedern ausgeübt, die jenseits der 70 sind. Hier muss ein Generationswechsel her. Ansonsten besteht die Gefahr, dass unsere Verankerung in der Stadtgesellschaft sinkt.


Ist der Generationswechsel für Sie die größte Herausforderung?


Das glaube ich nicht. Die größte Herausforderung sehe ich darin, dass die enormen, auch sozialen Wandlungsprozesse der Stadtgesellschaft bei uns zu wenig abgebildet werden und wir mit der Dynamik nicht immer Schritt halten.


Wie macht sich das bemerkbar?


In bestimmten Netzwerken und Strukturen sind wir nicht so vertreten, wie es sein müsste. „Willkommen in Leipzig“ ist ein Beispiel. Die Linke ist selbstverständlich dabei, viele einzelne engagieren sich. Als Partei sind wir aber zu wenig präsent. Derzeit beteiligen wir uns ebenfalls an einer Aktionswoche gegen Kinderarmut und Stromabschaltung. Die sozial Abgehängten sollen sehen, dass wir uns nicht nur um Flüchtlinge kümmern. Es geht aber mehr, auch im Kontakt zu den Gewerkschaften. Da müssen wir uns stärker an eigenen Ansprüchen messen.


Apropos Willkommenskultur. Im Umfeld der Demos gibt es immer wieder Ausschreitungen, die Linksautonomen mit Nähe zu Ihrer Partei angelastet werden. Warum äußert oder distanziert sich die Linke davon nicht?


Permanente Ergebenheitsadressen gegen den Mainstream lehne ich ebenso ab wie jede Form der Gewalt. Die ist kontraproduktiv, weil sie das gute Anliegen diskreditiert. Es gibt den Begriff des sogenannten „Wutautonomen“, der widerspiegelt, dass hier mittlerweile etwas völlig aus dem Ruder gelaufen ist, wie einige Gewaltexzesse in den letzten Monaten belegen. Nun aber jede Woche zu erklären, dass die Leipziger Linke gegen Gewalt ist, halte ich jedoch für überflüssig. Das habe ich oft genug getan.


Ist Ihnen da etwas entglitten?


Nein. Da bin ich weder verantwortlich noch zuständig. Solche Strukturen sind weit weg von unserer Partei und konterkarieren wie gesagt eher linke Ziele.


Im Referat auf Ihrem jüngsten Parteitag haben Sie sich viel mit Außenpolitik beschäftigt. Gibt es zu wenig Leipziger Themen?


Nein. Das mache ich traditionell, weil die Mitglieder eine solide, belastbare, linke Analyse der internationalen Politik erwarten. Das ist bei vielen Themen wie jetzt bei den Flüchtlingen wichtig, deren Kommen Auswirkungen auf die Arbeit in den Kommunen hat. Beispielsweise für den sozialen Wohnungsbau.


Da haben Sie eine eigene Arbeitsgruppe gegründet. Ist sozialer Wohnungsbau Ihr Hauptthema?


Es ist eins der allerwichtigsten Themen. Durch den Einwohnerzuwachs, auch durch Flüchtlinge, verschärft sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt zusehends. Ohne sozialen Wohnungsbau, der in den letzten Jahren nicht stattgefunden hat, wird es dramatische Konkurrenz- und Verteilungskämpfe geben. Hier muss die Linke Druck aufbauen und Impulse setzen, damit etwas passiert. Der Bund stellt zwar Geld bereit, das Land Sachsen hat den sozialen Wohnungsbau jedoch abgeschafft. Jetzt geht es darum, schnell Förderprogramme aufzulegen und auch die sächsische SPD zu motivieren, in der Landespolitik aktiv zu werden. Passiv abzuwarten, ist unverantwortlich. Vielleicht wacht ja auch der eine oder andere Abgeordnete der CDU auf, wenn die Mieten permanent steigen.


Interview: Mathias Orbeck