Der unaufhaltsame Aufstieg der Frauke Petry

Erstveröffentlicht: 
30.11.2015
Wird die AfD-Vorsitzende zur neuen Leitfigur der Rechtspopulisten in Deutschland? Sie ist ehrgeizig – aber sie wirkt auch unnahbar
Von Klaus Wallbaum

 

Hannover. Sie sitzt auf ihrem Stuhl, etwas erhöht, direkt neben ihren Vorstandskollegen. Frauke Petry wirkt anders als die anderen. Sie sitzt nicht nur, sie thront auf ihrem Platz, ruhig und überlegen. Während am Mikrofon die Vorsitzenden aus Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt kämpferische Grußworte in den Saal rufen und kräftigen Applaus ernten, blickt sie regungslos nach oben, unbeteiligt. Ist sie gedanklich überhaupt anwesend?

 

Frauke Petry ist die unumstrittene Führungsfigur der AfD, nach dem Bundesparteitag an diesem Wochenende in Hannover mehr denn je. Im Juli noch, als der Machtkampf zwischen ihr und Parteigründer Bernd Lucke eskalierte, stand die Partei vor der Spaltung. Lucke unterlag, trat mit seinen Getreuen aus, und die AfD rutschte in Umfragen ab. Das Ende schien nah. Doch seit September, parallel mit den Flüchtlingsströmen, klettert die AfD wieder nach oben, von Luckes Parteineugründung namens Alfa („Allianz für Fortschritt und Aufbruch“) redet kaum jemand – und Petry darf sich eigentlich wie ein Glückskind fühlen: Befreit von interner Konkurrenz will sie den Siegeszug der AfD einleiten, die Umfragen deuten Erfolge bei den bevorstehenden Landtagswahlen an.

 

Trotzdem wird es kein strahlender Auftritt der Vorsitzenden vor den rund 500 Delegierten. Nicht nur wegen der Gegendemonstrationen, die groß angekündigt wurden, dann aber doch viel kleiner ausfielen als erwartet. Schon am Morgen war Petry verspätet im Tagungssaal erschienen, hatte eilig die Vorstandskollegen begrüßt und dann ihrem Ko-Vorsitzenden Jörg Meuthen die Eröffnungsrede überlassen. Sie nutzt die Zeit, sich zu sammeln für ihre politische Grundsatzrede gegen Mittag, die ein Höhepunkt dieses von vielen unspektakulären Satzungsfragen dominierten Parteitags werden soll.

 

Aber richtig leidenschaftlich klingt Petry nicht, eher pflichtschuldig. „Schön, dass Sie jetzt die nächste Rede ertragen müssen“, sagt sie einleitend – fast entschuldigend. Dann spult die AfD-Vorsitzende ihr Manuskript ab. Natürlich gebe es einen Zusammenhang zwischen der starken Zuwanderung und der wachsenden Terrorgefahr in Europa – „wer das leugnet, ist naiv“. Dann redet Petry über den Begriff „Lügenpresse“, der anfangs bei den Pegida-Demonstrationen benutzt wurde und inzwischen auch bei AfD-Politikern hoffähig geworden ist. Der Bundesvorstand setze dieses Wort „sparsam“ ein, sagt sie. Vor Monaten noch hatte sie sich davon distanziert. Am Freitag tanzte sie beim Bundespresseball. Nun meint Petry, sie verstehe, dass sich Journalisten von dem „Lügenpresse“-­Vorwurf „berührt“ fühlten. Aber dann könnten sie ja „umso besser verstehen, wie AfD-Politiker angesichts wachsender Anfeindungen und Verunglimpfungen“ empfänden. Mit „Humor“ könne man auf so etwas reagieren, fügt Petry hinzu und sagt: „Deshalb will ich jetzt von ,Pinocchio-Presse‘ reden.“ Was witzig sein sollte, bekommt zwar braven Applaus in der Halle, aber richtig auflockern kann Petry ihre Rede damit nicht. Sie bleibt verkrampft. Ein Beobachter im Saal sagt, Petry sei „die Sahra Wagenknecht auf der rechten Seite“ – eine attraktive, kluge und ehrgeizige, aber eben auch unnahbare Politikerin.

Was ist das für eine Frau, die an der Spitze der deutschen Rechtspopulisten steht und damit eine ähnliche Rolle einnehmen könnte wie Marine Le Pen in Frankreich? Petry lässt keinen Zweifel daran, dass das nächste große Ziel die Bundestagswahl 2017 ist – und auch wenn sie es noch nicht sagt: Sie selbst dürfte die Spitzenkandidatin werden. Kann sie das, führen und integrieren? „Was ihr fehlt, ist Empathie“, sagt ein AfD-Funktionär, der ungenannt bleiben will. Der Delegierte Christian Klinge aus Schweinfurt, der nach Petrys Rede kräftig geklatscht hat, nennt ihren Vortrag kurz darauf „ordentlich“. Begeisterung wäre etwas anderes.

 

So wird auf diesem Parteitag ein Problem der AfD-Führung sichtbar: Als Lucke noch die Nummer eins war, galt er als abgehobener und kopfgesteuerter Professor, Petry als menschlicher Gegenentwurf dazu. Nun ist sie oben allein – und kommt zunehmend kühl rüber.

 

Dabei war sie mal ganz anders. Frauke Petry kam 1975 in Dresden zur Welt. Der Vater ging in den Westen und ließ die Familie in der DDR zurück. Als die Mauer fiel, zog sie mit ihrer Mutter nach Bergkamen in Nordrhein-Westfalen. In der Schule fiel die 15-jährige Frauke ­damals mit guten Leistungen auf. „Sehr zielstrebig“ sei sie gewesen, erinnert sich ihr Chemielehrer Harald Sparringa. Wenn sie mal eine Zwei statt einer Eins geschrieben hatte, sei das für sie schon eine Niederlage gewesen. Aber so ehrgeizig und leistungsorientiert sie auch war, Sparringa erinnert sich an ein freundliches, geselliges und sehr offenes Wesen: „Sie konnte gut auf Menschen zugehen und war immer sympathisch.“ Dominant sei sie gewesen, auch in der Beziehung zu ihrem Mann, einem Schulkameraden, mit dem sie später wieder nach Sachsen zog.

 

Vor wenigen Monaten hat Frauke Petry ihren Mann verlassen. Auch der Kontakt zum alten Lehrer Sparringa, der über Jahre Bestand hatte – als sie in England Chemie studierte, promovierte, heiratete, vier Kinder bekam und eine Firma gründete – ist inzwischen abgebrochen. „Es passt einfach nicht mehr“, sagt der Grünen-Sympathisant Sparringa, „ich verstehe sie nicht mehr.“ Was hat Frauke Petry verändert, was hat sie so hart werden lassen?

 

Ihr früherer Lehrer vermutet, dass ein Schlüsselerlebnis im Scheitern ihrer Firma liegt. Purivent hieß das kleine Unternehmen, das sie nach Abschluss ihrer Ausbildung gründete. Entwickelt wurde ein umweltfreundlicher Füllstoff für Autoreifen – basierend auf einer Rezeptur, die Petrys Mutter ausgetüftelt hatte. Die mächtige Konkurrenz auf dem Reifenmarkt ließ dem kleinen Unternehmen keine Chance, alles endete mit einer Privatinsolvenz. „Das war ihre erste große Niederlage – und vielleicht wirkt sie deshalb manchmal so unerbittlich, weil sie mit ihrer Firma so harten Gegenwind erleben musste“, meint Sparringa.

 

Ist sie damit gestählt genug, Führungsfigur der „neuen Rechten“ zu werden? Petry lächelt, will den Begriff „neue Rechte“ nicht akzeptieren. Viele Parteien gründeten sich in Europa, die sich abgrenzen von den etablierten Kräften, manche stünden rechts, andere links: Alle seien vereint im Wunsch, „dem Volk“ mehr Mitsprache zu geben, sagt sie. Petry nimmt sich vor, „auch die Ängstlichen für die AfD zu gewinnen“, jene Menschen, die politisches Engagement noch scheuten. Dazu müsse die Partei „in allen Sälen dabei sein“: „Im Ballsaal, im Kreißsaal und auch im Hörsaal.“

 

Ein wenig scheint es, als sage sie das als Auftrag an sich selbst: In den vergangenen Wochen irritierten männliche AfD-Politiker mit teilweise kruden Thesen – Marcus Pretzell, ihr Lebensgefährte und Chef der AfD in Nordrhein-Westfalen, dachte laut über Schusswaffeneinsatz an der deutschen Grenze nach, Björn ­Höcke, Thüringens AfD-Chef, weckte mit nationalistischen und parlamentskritischen Tönen Erinnerungen an die rechtsextreme NPD. Beide stellen Petrys Autorität formal nicht infrage – sie setzen aber durch ihr Auftreten wichtige Zeichen. Von Petry hörte man monatelang nichts, sie war abgetaucht. Nun weiß sie: Solche „Verschnaufpausen“ werden ihr nicht mehr gegönnt.


 

AfD will Bündnis zwischen Nato und Russland

Im Kampf gegen den IS fordert die AfD ein Bündnis zwischen Nato und Russland. „Wir sehen Russland als legitimen Mitspieler im Konzert der Mächte und als einen wichtigen Partner im gemeinsamen Kampf gegen den islamischen Terror“, heißt es in einem Beschluss. Zudem solle Berlin die 2012 abgebrochenen Beziehungen zu Syrien wieder aufnehmen. „Es kann nicht sein, dass man gegen Russland eine Politik in Europa macht. Das muss aufhören“, sagte Bundesvize Alexander Gauland. Die Sanktionen gegen Moskau müssten aufgehoben, normale Beziehungen hergestellt werden.

 

Den geplanten Bundeswehreinsatz in Syrien lehnt die AfD ab. Vielmehr sollten syrische Männer, die nach Deutschland geflohen sind, verpflichtet werden, in ihrer Heimat gegen den IS zu kämpfen.


 

 

Nachgefragt ...
„Mit Petry ist die AfD nach rechts gerutscht“

Kann Frauke Petry zur Leitfigur der „neuen Rechten“ in Deutschland werden?


Ist sie das nicht schon? Die Partei ist im letzten Jahr deutlich nach rechts gerutscht. Frauke Petry hat das befördert. Nachdem dann Tausende gemäßigter Mitglieder ausgetreten sind, hat sie sich auf ein Rollenspiel eingelassen: Björn Höcke aus Thüringen spricht die „neuen Rechten“ an, und sie versucht, die letzten Bürgerlichen zu halten. Das ist Taktik, denn sie sagt ja selbst, dass sie inhaltlich mit Höcke keine wesentlichen Differenzen hat. Dahinter steht als strategischer Kopf ihr Lebensgefährte Marcus Pretzell, der Landeschef aus NRW, der zur Not Schusswaffen an der Grenze einsetzen will.


Was trennt denn die AfD von Ihrer Neugründung Alfa?


Also Schüsse auf Flüchtlinge – das geht für Alfa natürlich gar nicht. Und Alfa will auch nicht das deutsche Asylrecht abschaffen. Deutschland soll den Flüchtlingen, die wirklich vor Krieg und Bürgerkrieg fliehen, großzügig helfen. Großzügig, aber nicht unbegrenzt. Eine Flüchtlingspolitik muss human und realistisch sein. Ohne eine Obergrenze geht es angesichts von Millionen Flüchtlingen leider nicht. Und deshalb müssen wir unsere Hilfe auf die Verletzlichsten konzentrieren: auf Frauen, Familien und Kinder.


Hat die AfD noch Schutzvorkehrungen gegen eine Unterwanderung von rechts?


Ich glaube nicht. Ich hatte einst einen Leitfaden für Aufnahmegespräche geschrieben, mit dem eventuelle rechtsradikale Auffassungen identifiziert werden konnten. Aber der ist im Laufe der Zeit immer weniger angewendet worden. Ich habe schon lange nichts mehr davon gehört. Stattdessen sprechen die Kreisverbände von Meinungsfreiheit, dass sie gegen Gesinnungsprüfungen sind. Aber wenn man nicht darauf achtet, welche Meinungen die Mitglieder vertreten, dann ist das ein offenes Tor für alle, die von ganz rechts kommen.


Die AfD steigt in den Umfragen, Alfa nicht – was wollen Sie tun?


Wir sagen den Menschen: Ihr braucht keine radikale Partei, wenn ihr mit den Etablierten nicht einverstanden seid.

Interview: Klaus Wallbaum