In ihren Solidaritätsbekundungen zur ESC-Absage des NDR an Xavier Naidoo, wählten die Promis Michael Mittermeier und Till Schweiger den einfachen Weg. Man war sich einig: Die Medien sind an allem Schuld! So schrieb Mittermeier auf Facebook: „Tja, schade dass ein billig initiierter Presse-Shitstorm ausreicht, dass deutschlandweit ein Klima der Hetze entsteht, und der NDR einknickt“ und Schauspieler Til Schweiger legte nach, indem er die kontrovers geführte öffentliche Diskussion als „Terrorismus der so genannten Leitmedien“ abkanzelte. Fast unvermeidbar, dass man sich angesichts dieser Begriffe an „Mainstreammedien“ und „Lügenpresse“ erinnert fühlt. Nun sprang auch noch Herbert Grönemeyer dem Musiker-Kollegen Naidoo bei: „Wir brauchen keine Gesinnungspolizei oder Meinungsüberwachung, sondern hoffentlich 80 Millionen verschiedene Köpfe und Wahrheiten.“ schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Doch an welche Wahrheiten glaubt Xavier Naidoo und welche Medien betreiben Hetze?
Die Vorwürfe gegen Xavier Naidoo sollen angeblich Teil einer Medienhetzkampagne sein. Doch suchte der Sänger im vergangenen Jahr immer wieder die Öffentlichkeit, um seine Thesen, unter anderem zu den Terroranschlägen 9/11, darzulegen. Es muss daher erlaubt sein, Reden und Songtexte, die über weit mehr als „Liebe und Toleranz“ erzählen, zu diskutieren, ohne als „Gesinnungspolizei“ oder „Meinungsüberwacher“ abgewatscht zu werden. Xavier Naidoo sagt, dass er in seinen Texten „bewusst Botschaften verpackt“. Man darf ihn also ernst nehmen.
Wenn seine Botschaft im Hidden Track „Wo sind sie“ lautet,
Pädophilen die Arme und die Beine abzuschneiden und sie töten zu
wollen, ist das weder mit den demokratischen Grundwerten noch dem
deutschen Rechtsstaat (auf den auch pädophile Straftäter Anspruch haben)
vereinbar. Wer so drastische Texte veröffentlicht, muss damit rechnen,
das Kritiker anmerken, dass martialische Sprüche dieser Art unangenehm
an die NPD-Propaganda „Todesstrafe für Kinderschänder“ erinnern.
In dem Song, mit dem Naidoo angeblich sein eigenes Missbrauchstrauma bewältigen möchte, ist auch die Rede von okkulten Ritualen, bei denen „Kinder und Babies abgeschlachtet werden“. Der erklärende Satz folgt sogleich. Die Täter seien „Teil einer Loge, getarnt unter Anzug und Robe“. Wer so etwas schreibt, muss damit rechnen, wenn man nicht nur an ein persönliches Schicksal, sondern auch an die Fülle dubioser Internet-Beiträge zu angeblich satanistisch-rituellen Kindermorden denkt. Jüdische Freimaurerlogen als Ritualmörder sind ein jahrhundertealter Klassiker antisemitischer Verschwörungstheorien.
In Naidoos Songtexten muss man nicht mühsam zwischen den Zeilen lesen, um seine Ansichten zu den Terroranschläge auf das World Trade Center, die er in dem Song Goldwaagen verpackt hat, zu entdecken. Sie haben eine unübersehbare Ähnlichkeit mit den „Wahrheiten“ der Truther-Bewegung:
Die Atlantikbrücke hat deutsche Politiker gekauft Der Verein Atantik-Brücke e.V., der u.a. von der ehemaligen Herausgeberin von Die Zeit Marion Gräfin Dönhoff gegründet wurde, will als überparteiliche Organisation die Beziehungen zwischen Deutschland und den Amerikaner stärken. Doch für Verschwörungstheoretiker und Xavier Naidoo sind die Ziele ganz andere: „Hat die Atlantik-Brücke euch wirklich alle gekauft?“, trällert der Sänger. Er denkt auch, dass Angela Merkel gekauft wurde und kritisiert in dem Lied die Vergabe des Eric-M.-Warburg-Preises an die Kanzlerin als Anerkennung für die Schaffung freundschaftlicher Beziehungen zu den USA und fordert sie auf: „Du solltest dich schämen!“. Der Namensgeber des Preises ist der deutsche Jude Eric M.Warburg. Er musste 1938 vor den Nazis in die USA fliehen – gibt es also wirklich einen Grund, sich für diese Ehrung zu schämen?
Die CIA hat die Anschläge auf das Worldtrade Center geplant Einer der beliebteste Verschwörungstheorie zu 9/11 besagt, dass der Anschlag auf die Twin Tower kein Terrorangriff der Al-Qaida war, sondern vom Geheimdienst CIA und der US-Regierung gesteuert wurde. Auch die Antwort auf die Frage, wie das dritte Gebäude WTC 7 zerstört wurde, steht für Verschwörungstheoretiker fest: Das Gebäude wurde gezielt gesprengt, um wichtige Beweise über die wahren Drahtzieher des Attentats zu vernichten. Naidoo stellt fest: „9/11, London und Madrid – jeder weiß, dass Al Qaida nur die CIA ist“ und reimt weiter „World Trade Center Nummer sieben – warum ist von dem Gebäude nichts mehr übrig geblieben?“
Geheimclubs lenken die Welt Wenn Naidoo in seinem YouTube-Gespräch mit den Sons of Libertas und Oliver Janich vielsagend anmerkt, dass Altkanzler Helmut Schmidt bei Bohemian Grove, dem Treffpunkt des elitären US-Clubs „Bohemian Club“ zu Gast war, raunt er gemeinsam mit den Verschwörungstheoretiker, die glauben, dass Mitglieder von Geheimclubs die Geschicke der Welt lenken. Oliver Janisch, der als Referent gemeinsam mit Eva Hermann und Andreas Popp beim esoterisch-verschwörerisch anmutenden Wege in die Freiheit Kongress 2015 eingeladen ist, bezweifelt nicht nur die offiziellen Erklärungen zu 9/11. Er plädiert in dem Gespräch mit Xavier Naidoo für ein seltsames Bündnis: „Alle Regierungen lügen. Die Wahrheitsbewegung, die libertäre Bewegung und die spirituelle Bewegung müssen sich vereinigen.“
Naidoo empfiehlt seinen Fans in seinem Lied über Die Wahrheit Janich’s Buch „Die Vereinigten Staaten von Europa – Geheimpläne enthüllen die dunklen Pläne der Elite“. „Lest mal nach, so seh‘ ich’s auch!“ Der Autor behauptet darin, dass eine Herrscherklasse die Vereinigten Staaten von Europa nur will, um einen Weltstaat mit einer einzigen Zentralregierung zu erschaffen. Diese Herrscherklasse betreibe „im wahrsten Sinne eine gigantische Gehirnwäsche, damit das Gros der Menschen nicht wahrnimmt, dass sie nur als Sklaven für die wahren Herrscher dieser Welt arbeiten.“ Der einschlägig bekannte Verschwörungsliteratur-Verlag Kopp jubelt über diese Analyse der EU: „Es droht eine Orwell’sche Schreckensvision wie im Buch 1984“. Die Kritik der NDR Redakteurinnen und Redakeure an Naidoos Nominierung für den zweifelsohne fröhlichen, aber auch sehr europäischen Event ESC verwundert angesichts solcher Literatur-Tipps nicht.
Jürgen Elsässer als Gesinnungsgenosse?
Sicher – jeder kann sich mal irren. Und mancher erliegt zeitweilig der Sogkraft der einfachen Welterklärungsmodelle der Verschwörungstheoretiker. Xavier Naidoo hat sich öffentlich von den Reichsbürgern distanziert und natürlich kann es sein, dass er letztes Jahr ganz spontan auf der Demonstration der Reichsbürgern gelandet ist und nur aus Versehen eine Rede zum angeblich immer noch von Amerika besetzten Deutschland hielt und an anderer Stelle rein zufällig ein T-Shirt mit dem Schriftzug „Freiheit für Deutschland“ trug. Womöglich ist es auch eine Unterstellung, dass das Anheften des schwarz-rote Bändchen der prorussischen Separatisten in der Ukraine auf einer Demo politisches Bewusstsein zeigt – aber geschenkt! Dass Naidoo nur zwei Monate nach seinem Auftritt bei den Reichsbürgern ausgerechnet dem Verschwörungstheoretiker-Pabst Jürgen Elsässer (der mit ihm auf derselben Demo auftrat) im rechtspopulistischen Magazin Compact ein Interview zum Thema „Pressehetze“ gibt, lässt einen nachdenken. Elsässer ist selbst ein großer Hetzer – zur Zeit geht es vor allem gegen Flüchtlinge.
Wenn es Naidoos Kollegen mit ihrer Solidarität ernst meinen, könnten sie – statt die Presse zum Rufmörder abzustempeln – ihn darauf hinweisen, das bestimmte Verschwörungs-theorien politisch gefährlich und nicht selten antisemitisch unterfüttert sind. Mittermeier, Schweiger und Grönemeyer könnten ihm erklären, warum Liedzeilen wie „Ihr wart sehr, sehr böse, steht bepisst in euren Socken. Baron Tothschild gibt den Ton an und er scheißt auf euch Gockel. Der Schmock is’n Fuchs und ihr seid nur Trottel“ nicht nur als lustiges Rapper-Lied, sondern als antisemitisches Gedankengut angesehen werden. Freunde, die es gut mit ihm meinen, würden ihm sagen, dass Oliver Janisch und Jürgen Elsässer keine adäquaten politischen Gesprächspartner sind und ihn zwangsläufig in ihr schlechtes Licht rücken. Til Schweiger macht sich jedoch lieber auf facebook über „wachsame Journalisten“ lustig.
Die Naidoo-Verteidiger könnten langsam ihren kritischen Blick statt ausschliesslich auf die Berichterstattung, nun auch einmal auf die Gedanken werfen, mit denen der als „christliche Freigeist“ gelobte Xavier Naidoo, spielt. Wie der Bochumer Grönemeyer schreibt: „Solange niemand davon verhetzt, verunglimpft, verletzt oder ausgegrenzt wird, ist das Kultur.“ Die unreflektierte Sicht auf Verschwörungstheorien gehört nicht dazu, denn viel zu oft steht hinter ihnen Diffamierung, Hetzte und Verunglimpfung. Sie sind eben keine „Option“, wie Naidoo meint. Um sie kann man nur einen weiten Bogen machen. Wer das nicht schafft, ist kein Presseopfer, sondern muss sich Kritik gefallen lassen.