„Die Kirche schweigt keinesfalls zur Flüchtlingswelle“

Erstveröffentlicht: 
14.11.2015

Sachsens Landesbischof Carsten Rentzing über die Zuwanderung und den Sinn des Buß- und Bettages

 

Dresden. Auf der Synode der sächsischen Landeskirche wird Bischof Carsten Rentzing heute seinen ersten Bericht im neuen Amt vorstellen. Am 29. August war der 48-Jährige in der Dresdner Kreuzkirche als Bischof eingeführt worden. Nach den ersten 100 Tagen seiner zwölfjährigen Amtszeit sieht er große Herausforderungen.

 

Wo wollen Sie in Ihrem Bericht inhaltlich Schwerpunkte setzen?


Ich werde etwas zur Situation und Entwicklung unserer Gemeinden sagen und zu den gesellschaftlichen und kirchlichen Herausforderungen, die das mit sich bringt. Ein Thema, das die Gesellschaft seit Monaten bewegt, ist die anhaltende Flüchtlingswelle. Ende Oktober hatte eine Gruppe von sieben Leipziger Pfarrern öffentlich das Schweigen der Landeskirche und des Landesbischofs kritisiert. Es hat mich überrascht, dass man dort offenbar nicht zur Kenntnis ge­nommen hat, wie häufig und wie klar wir uns dazu in den vergangenen Wochen zu Wort gemeldet haben. In acht Wochen habe ich mich dazu in drei ­Predigten, einem Kirchenleitungsbeschluss und einer Kanzelabkündigung geäußert. Die Kirche schweigt also keinesfalls. Unsere Verlautbarungen dürfen aber auch nicht inflationär werden. Ich bin mit den betreffenden Pfarrerinnen und Pfarrern im Gespräch. Eine Verschärfung des Tons, wie ich ihn aus dieser Erklärung herauslese, hilft allerdings ­niemandem – auch nicht den Flücht­lingen.


Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte „Wir schaffen das“. Was sagt der sächsische Landesbischof?


Wir werden diese riesengroße Herausforderung nur bewältigen, wenn die breite Basis der Gesellschaft das mitträgt. Dazu braucht es eine Atmosphäre des Friedens. Den Auftrag der Kirche sehe ich darin, einen Beitrag zu dieser Grund-atmosphäre zu leisten. Ein Beispiel ist die Aktion „Licht an für Menschlichkeit“, die die sächsische Landeskirche und das katholische Bistum Dresden-Meißen initiiert haben. Wir laden dazu ein, mit einer Kerze im Fenster an jedem Sonntagabend ein Zeichen der persönlichen Zustimmung zu einem menschlichen Umgang miteinander zu setzen. Wir werben für die Einhaltung demokratischer Grundregeln und für die Achtung eines jeden Menschen. Damit wollen wir etwas Versöhnliches ins Zentrum stellen.


Versöhnlich geht es derzeit aberleider gar nicht zu. Im Gegenteil: Die Stimmung wird aggressiver ...


Stigmatisierungen – egal von welcher Seite – tragen nachweislich nicht dazu bei, die vor uns liegenden Aufgaben zu bewältigen. Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes – ganz gleich aus welcher Kultur, mit welchem religiösen Hintergrund oder welchen politischen Ansichten. In erster Linie ist er ein geliebtes Kind Gottes und als solchen haben wir ihn zu behandeln. Noch mal: Es geht ja nicht nur darum, den hier ankommenden Menschen ein Bett anzubieten und sie nicht verhungern zu lassen. Sie brauchen eine mittel- und langfristige Perspektive, damit sie nicht an die Ränder der Gesellschaft abgedrängt werden. Das ist eine so gewaltige gesellschaftliche Aufgabe – dafür brauchen wir alle Kräfte.


In Flüchtlingsheimen in Hamburg und Berlin kam es wiederholt zu Übergriffen von Muslimen auf Christen wegen deren Glaubens. Warum verurteilt die Kirche das nicht?


Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir christlichen Flüchtlingen gegenüber ein besonders hohes Maß an Verantwortung haben – gemäß dem Vers aus dem Galaterbrief „Tut Gutes jedermann, zuallermeist aber an des Glaubens Genossen“. Es ist völlig klar, dass wir Christen beistehen müssen, die in Flüchtlingsheimen unter Druck geraten. Aber wir sollten das nicht herbeireden.


An vielen Orten ist das leider Realität.


Dazu, was in anderen Bundesländern passiert, kann ich nichts sagen. Was Sachsen angeht, so sind mir von den Behörden bislang keine schweren Übergriffe genannt worden. Das kann ich nur zur Kenntnis nehmen. Wenn sich das ändern sollte, würde ich mich dazu natürlich deutlich äußern.


Von den bis zu 1,5 MillionenFlüchtlingen, die Deutschland in diesem Jahr erwartet, sind 80 Prozent Muslime. Inwiefern ist das für die Kirche eine missionarische Herausforderung?


Für mich persönlich steht es völlig außer Frage, dass wir Christen den Auftrag haben, das Evangelium zu verkünden – natürlich auch Menschen, die aus anderen Ländern und mit anderen Hintergründen zu uns kommen. Wenn Menschen den Wunsch haben, Christ zu werden, sollten wir sie im christlichen Glauben unterweisen. Was viele beim Stichwort Mission zögerlich macht, ist gewiss die Bange, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Durch Krieg und Flucht traumatisierte Menschen sollten nicht als Erstes mit einem möglichen Religionswechsel konfrontiert werden. Das ist auch eine Frage der Würde.


Am 18. November ist Buß- und Bettag – in Sachsen noch gesetzlicher Feiertag. Aber selbst viele Kirchenmitglieder wissen nicht genau, was „gefeiert“wird. Wie erklären Sie es ihnen?


An diesem Tag geht es um innerliche Einkehr und das Nachdenken darüber, was in meinem Leben gut und wasschief läuft. Es ist gut, sich vor Gott zumindest einmal im Jahr darüber Rechenschaft zu geben und Inventur zu machen. Ursprünglich sind die Buß- und Bettage eingeführt worden als staatliche und gesellschaftliche Bußtage. Der Gedanke: Wenn ein Volk Buße tut, fließt Gottes Segen wieder neu in dieses Land hinein. Wenn es nicht bereit ist, sich immer ­wieder zu besinnen, dann bekommt es diesen Segen nicht. Dieser Gedanke ist meines Erachtens zeitlos aktuell.


Interview: Matthias Pankau