Faustschläge, Schlagstockeinsatz und Pfefferspray-Nebel—laut Fanberichten ging eine vermummte Einheit der Polizei nach dem Spiel der BSG Chemie Leipzig beim Heidenauer SV am Sonntagnachmittag brutal gegen die Chemie-Fans vor. Das „Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig e.V." berichtet dabei von massiver und ungerechtfertigter Polizeigewalt gegen die Fans des Vereins. Es ist nicht das erste Mal, dass beide Seiten aneinander geraten.
Während des Sachsenliga-Spiels in Heidenau präsentierte die Chemie-Ultràgruppe Diablos Leutzsch ein Spruchband mit der Botschaft „Wären wir ein Nazimob, wären keine Bullen hier". Der Spruch spielte auf die rechtsmotivierten Übergriffe auf das Flüchtlingsheim in der sächsischen Stadt an und kritisierte zugleich das zaghafte Verhalten der völlig unterbesetzten und überforderten Polizei. Nach Abpfiff sollen dann Fans von Chemie und die in Heidenau eingesetzte Dresdner Polizei aneinandergeraten sein.
„Nach dem Spiel hatte schon die Polizei in Heidenau völlig grundlos mit Pfefferspray auf Chemie-Fans gesprüht und knüppelten mit Schlagstöcken auf sie ein", erklärt ein Sprecher des „Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig" auf Anfrage von VICE Sports. Das Rechtshilfekollektiv sieht sich als Solidargemeinschaft zur Unterstützung bei juristischen Fragen rund um den Spieltag für die Leipziger Chemie-Fans und organisiert Vorträge, damit Fans ihre Rechte gegenüber Justiz und Polizei erfahren.
Als die Chemie-Fans schließlich von dem Auswärtsspiel am Leipziger
Hauptbahnhof ankamen, warteten mehrere Beamten auf sie. „Es war
Sonntagabend, alle waren müde und trotzdem standen dort 40 bis 50 mit
Helmen vermummte Polizisten, die aggressiv auftraten", schildert der
Sprecher des Rechtshilfekollektivs. Nachdem etwa knapp 70 Fans in die
Straßenbahn stiegen, wurde diese von Polizeiwagen eskortiert und nach
wenigen Stationen von mehreren Polizisten „Hollywood-reif gestoppt", wie
es der Sprecher schildert. Vier Polizisten sollen daraufhin in die Bahn
gestiegen sein, in der ebenfalls normale Passanten saßen.
Die
Beamten sollen daraufhin versucht haben eine Person aus der Bahn zu
ziehen, woran einige Fans der Leipziger diese aber hindern wollten. „Sie
kamen mit Helmen vermummt in die Bahn, doch informierten weder die
Fahrgäste, warum die S-Bahn überhaupt gestoppt wurde, noch forderten sie
irgendwelche Personalien auf", erklärt das Rechtskollektiv Chemie
Leipzig. Daraufhin sollen laut Augenzeugen die Polizisten einigen Fans
mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben und einer der Beamten drohte
„die ganze Bahn einzupfeffern, wenn sie nicht kooperieren", erklärt der
Sprecher des Rechtshilfekollektivs. „Es war ein Himmelfahrtskommando."
Der Grund für die „Überprüfung" soll der Diebstahl eines Schals am
Hauptbahnhof gewesen sein—eine beliebte Unart in der Ultràszene und
natürlich auch eine Straftat. „Der Fan wurde fotografiert und seine
Personalien wurden aufgenommen", erklärt das Rechtshilfekollektiv Chemie
Leipzig. „Ein Tatmotiv wurde nicht geschildert und die Vorwürfe konnten
nicht erhärtet werden, sodass er nach einer Stunde weiterfahren
durfte." Beide Seiten haben jedoch eine Vorgeschichte.
Bei der
Polizei-Einheit handelte es sich um die Leipziger Beweissicherungs- und
Festnahmeeinheit (BFE)—die bei den politisch linksorientierten
Chemie-Fans schon berüchtigt für ihr brutales Vorgehen ist. „Polizisten
dieser Einheit haben einen großen Hass gegenüber Chemie-Fans, weil sie
sich antirassistisch engagieren", erklärt das Rechtshilfekollektiv
Chemie Leipzig. Eine kleine Gruppe von Chemie-Fans gilt zudem als
gewaltbereit.
Schon vor zwei Jahren kam es zu einer Berührung von BFE und Fans von Chemie Leipzig, als der ehemalige DDR-Traditionsverein mit etwa 500 Anhängern zum Auswärtsspiel nach Zwenkau im Leipziger Süden fuhren. Laut Polizei sollen etwa 20 Chemie-Fans einen Supermarkt gestürmt und bestohlen haben. Daraufhin wurden weitere Einheiten mobilisiert und etwa 75 Polizisten, darunter die BFE, wollten nach Abpfiff die Ladendiebe ergreifen. Chaos brach aus, die Polizei war überfordert und setzte Schlagstöcke und Pfefferspray ein.
Augenzeugen berichteten damals gegenüber Spiegel Online von „Massiver Polizeigewalt", es wurden zahlreiche Menschen verletzt und die Verantwortlichen des Vereins übten deutliche Kritik gegenüber der Beamten. Einige Tage später erschien ein Video im Internet, das die Aussagen der Augenzeugen untermauert. Die Polizei geht auf den Bildern brutal gegen die Chemie-Fans vor. Auf dem Video wird ein unbeteiligter Fan, der die Vorkommnisse filmt, zu Boden geworfen, sein Handy zerstört. Wegen der sichergestellten Aufnahmen müssen sich im nächsten Jahr zwei Polizisten vor Gericht verantworten.
Das Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig erklärt VICE Sports zudem, dass einzelne Fans und Augenzeugen immer wieder von Polizisten massiv eingeschüchtert wurden. „Die BFE pöbelt immer wieder und droht mit Gewalt gegen einzelne Fans der Leipziger Fanszene." Statt zu beschützen und zu beschwichtigen, sollen die Beamten immer wieder Anhänger der BSG Chemie provozieren. „Bei einer Antinazi-Demo auf der einige Chemie-Fans privat waren, wurden sie von BFE-Polizisten als 'Scheiss Zecken' beleidigt und es kamen dumme Sprüche wie 'Lass doch mal um die Ecke gehen' ", erklärt ein Sprecher des Rechtshilfekollektivs.
Auch
nach mehrmaliger Anfrage und einer zugesicherten Antwort, erreichte VICE
Sports keine Stellungnahme seitens der Leipziger Polizei. Die einzelnen
Täter des Vorfalls vom Sonntagabend werden wohl sowieso nicht ermittelt
werden, da die mit Helm vermummten Beamten in Sachsen keiner
Kennzeichnungspflicht unterliegen und nur die einzelne Einheit der BFE
erkennbar war.
Update: Die Polizei Leipzig erklärte in einer
später zugesandten Stellungnahme an VICE Sports bezogen auf die
Anschuldigungen der Chemie-Fans, dass „alle polizeilichen Handlungen situativ angemessen waren."
Der Grund für das Vorgehen der Beamten sei ein geklauter Schal eines
anderen Leipziger Fußballklubs gewesen und die Verhinderung der „Identitätsfeststellung des Täters" durch „einzelne Mitglieder aus der Gruppe der Chemiefans". Die Darstellungen der Leipziger Fans seien „aus Sicht der Polizei subjektiv". Doch der Pressesprecher der Polizei Leipzig fügte hinzu: „Das
heißt aber nicht, dass wir, falls es sich so zugetragen hat, dies
tolerieren. Jetzt wird im Rahmen des Ermittlungsverfahrens alles
untersucht zur Belastung oder Entlastung aller beteiligten Personen."