Als Mitte September bekannt wurde, dass in der Landesfeuerwehrschule in Eisenhüttenstadt mehrfach Nazi-Parolen gerufen worden sein sollen und wenig später auch Vorwürfe gegen einen Lehrgangsleiter im Raum standen, ermittelte bald der polizeiliche Staatsschutz gegen neun Berufsfeuerwehrleute. Bei einem Lehrgang sollen diese RechtsRock abgespielt und dabei mehrfach „Sieg-Heil“ gerufen haben. [1]
Weiterhin ist in Oberhavel der NPD-nahe Neonazi Maik Neuber in der örtlichen Feuerwehr Oberkrämer Marwitz als Oberfeuerwehrmann aktiv. Dieser war auch Anmelder eines rassistischen „Abendspazierganges“ in Velten am 5. November diesen Jahres. Neben ihm ist auch der NPD-Anhänger und Neonazi Marko Fichte in Oberhavel als Feuerwehrmann aktiv. Erst 2014 machte er noch eine Truppmannausbildung bei der Freiwilligen Feuerwehr Borgsdorf. Ebenso in einer Freiwilligen Feuerwehr in Oberhavel soll auch der Neonazi Maik Naumann aktiv sein. [2]
Nun wird, wie üblich, mehr oder weniger nach Aufklärung und Konsequenzen
verlangt, doch die grundlegenden Probleme, die dahinter stehen, sind an
sich keine Neuen. Neonazis und ihre ideologischen Versatzstücke sind in
sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen präsent. Warum sie gerade nicht
in der Feuerwehr auftauchen und aktiv sein sollen, kann niemand
wirklich beantworten. Gerade hier gibt es, z.B. in der Jugendfeuerwehr,
ein Freizeitangebot, klare Regeln, männliche Vergemeinschaftung sowie
Uniformen und Abzeichen. Alles Dinge von denen sich auch, und vor allem,
Neonazis angesprochen fühlen können. Dazu kommt ein starker Korpsgeist,
in Feuerwehrkreisen „Kameradschaft“ genannt, der sich vor allem bei
Kritik von außen und innen zeigt und sich in dem oben geschilderten Fall
an der Landesfeuerwehrschule beispielsweise als Mobbing äußert. [3]
Insbesondere die Darstellung der eigenen heroischen Männlichkeit,
häufige frauen-, homo- und trans*feindliche Geschlechterbilder und stark
hierarchische Strukturen, die sich nicht nur auf Einsatzsituationen
beschränken, können genauso Anreize für durchschnittliche Mitglieder wie
für Neonazis sein. Zwar gibt es auch progressive Tendenzen in Bezug auf
Geschlechterrollen und Leistungsgedanken innerhalb der Feuerwehr, doch
befinden sich diese noch deutlich in den Kinderschuhen. Oft hängen
emanzipatorische Ansätze in der Ausbildung an der einzelnen Ausbilder_in
oder Jugendfeuerwehrwart_in und deren jeweiligen Methoden und
Schwerpunkten.
Am 14. November 2015 soll nun in der
Biosphäre in Potsdam auf der Delegiertenversammlung des
Landesfeuerwehrverbandes Brandenburg auch sein 25-jähriges Bestehen
gefeiert werden und der brandenburgische Innenminister Schröter wird ein
Grußwort halten. Stellt sich die Frage, ob es auch um die Geschehnisse
der letzten Monate gehen wird und wie mögliche Konsequenzen seitens des
Feuerwehrverbandes gegen neonazistische Tendenzen aussehen werden.
Immerhin bearbeiten andere offizielle Strukturen das konkrete Auftreten
von Neonazis in Feuerwehruniformen seit einiger Zeit. So bemerkte vor
ca. fünf Jahren, im Rahmen des Deutschen Feuerwehrtages in Leipzig, der
Landesjugendfeuerwehrwart aus Mecklenburg-Vorpommern: „Man kann es nicht
Schönreden […] Rechtsextreme Vorfälle gibt es vielerorts in den
Feuerwehren.“ [4] Eigentlich sollte es an diesem Tag darum gehen, zu
zeigen, dass die Feuerwehr nicht ausschließlich aus deutschen
heterosexuellen Männern besteht, doch überlagerte auch hier das Thema
Neonazis den eigentlich angedachten Diskurs.
Wenn es vielerorts in der Feuerwehr Neonazis gibt, stellt sich für Potsdam schnell die Frage – hier auch?
Neonazis in Fahrland – Im Jugendclub und in der Feuerwehr
Die Antwort lautet schlicht: Ja – und zwar hinlänglich bekannt in Fahrland.
Der Blick nach Potsdam-Nord beschäftigt Antifaschist_innen in Potsdam
seit über zehn Jahren. Damals sorgte eine Initiative von linken
Jugendlichen aus Potsdam und Potsdam-Nord unter dem Namen „Engagierte
Jugend – Potsdamer Umland“ für den Anstoß einer länger andauernden
Debatte um Neonazis in Potsdams Norden und speziell in Fahrland. Sie
verteilten Flyer, schrieben einen offenen Brief und gaben ein
Presseinterview. Der später mit dem „Band für Mut und Verständigung“
ausgezeichnete Verein „Jugend engagiert in Potsdam“, der Betroffenen
rechter Gewalt zur Seite stand und ihnen eine Stimme verschaffte,
organisierte eine Veranstaltung zum Thema rechte Gewalt im örtlichen
Jugendclub. [5]
Der Jugendclub „Treffpunkt Fahrland e.V.“ sowie der örtliche
Jugendleiter Thomas Liebe gerieten in die Kritik. Laut den damals von
Neonazigewalt Betroffenen und ihrem Umfeld hielten sich dort regelmäßig
Neonazis auf und nutzten diesen als ihren Rückzugsort. Sie beanspruchten
den Jugendclub und das Dorf als „ihr Territorium“ und gingen gegen
jede_n vor die_der sich ihnen – aus ihrer Perspektive – in den Weg
stellte. [6]
Antifaschistische Gruppen ergänzten dieses Bild mit ihren Recherchen und
belegten die Berichte der Betroffenen mit weiteren Details über die
neonazistischen Aktivitäten und die Organisierung der örtlichen
Neonazis. [7] Dabei ging es aber nie nur um die Aktivitäten der extremen
Rechten in den Dörfern, sondern auch stets um den fatalen Umgang mit
diesen durch Thomas Liebe und andere Verantwortliche in und um den
Jugendclub „Treffpunkt Fahrland e.V.“. Das Konzept der „akzeptierenden
Jugendarbeit“ führte zu einer Hegemonie neonazistischer und
menschenfeindlicher Jugendlicher in Potsdams Norden. [8]
Zu den damals in Potsdam-Nord aktiven Neonazis gehörten in Fahrland: Benjamin Oestreich, Tino Nindelt, Paddy Bohm, Matthias Wiechert, Dustin Schlemminger und Paul Enderling; in Neu-Fahrland Jens Zimmer und in Marquardt war es Steffen Meyer. Zu den Potsdamern, die gelegentlich zu Besuch im Dorf oder im Jugendclub waren, gehörten Manuel Baruth, der ehemalige Bassist der RechtsRockband „Preussenstolz“, und sein Mitschüler Lasse Risch.
In ihrem Umfeld, dass die Neonazifreund_innen tolerierte und mitunter
selbst „Thor Steinar“ und andere Neonazikleidung trug, zählten u.a.
Personen wie Kevin Bohm, Bruder von Paddy Bohm, Max R., Dustin E., auch Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Fahrland, Sascha Li. und Oliver St..
Bereits damals war ein Teil dieser jungen organisierten und
unorganisierten Neonazis auch in der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr
aktiv.
Neonazistischer Hintergrund – Paul Enderling als Jugendwart und Hauptfeuerwehrmann
Zwei der eben genannten tauchten Jahre
später als „Gruppenführer“ in der Ortswehrführung der Freiwilligen
Feuerwehr Fahrland wieder auf. Paul Enderling als „Jugendwart“ sowie „Hauptfeuerwehrmann“ und Sascha Li.
als „Löschmeister“. Beide sind von Beruf Soldat und durch den Erwerb
einer „Jugendleitercard“ und weiterer Qualifikationen aus Sicht der
Feuerwehr Fahrland berechtigt mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten.
Sascha Li. ist seit 1999 bei der Freiwilligen Feuerwehr, Paul Enderling
seit dem Jahr 2000. [9]
Darum, dass sie ausbildungstechnisch und handwerklich vermutlich
geeignet sind, soll es hier nicht vordergründig gehen. Jedoch ist ihre
fachliche Kompetenz nicht allein darauf zu beschränken. Gerade bei der
Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kommt der Rolle der Vorbildpersonen
eine wichtige Bedeutung zu. Neonazis sind hierbei aus vielerlei Gründen
an der absolut falschen Stelle.
Paul Enderling gehört seit mindestens neun Jahren zur Potsdamer Neonaziszene. Er war Teil der Neonazikameradschaft die sich sowohl „Alternative Jugend Potsdam“ (AJP) als auch „Aktionsgruppe Potsdam Nord“ (AGPN) nannte. Die AJP trat erstmals am 21.10.2006 bei einem Neonaziaufmarsch in Berlin-Tegel in Erscheinung und ging 2009 mit ihrer Homepage ins Netz. Auf dieser präsentierten sie ihre Propagandaaktionen und berichteten von neonazistischen Aufmärschen, Vernetzungstreffen, Fußballturnieren und revisionistischen Gedenkveranstaltungen. Die Zeitspanne von 2007-2011 bildete dabei die Hochphase der neonazistischen Aktivitäten im Potsdamer Norden. In dieser festigten sie ihre Strukturen, tobten sich aktionistisch mit Verbreitung von Propaganda und kleinen Aktionen aus, vernetzten sich zum Teil auch überregional und beanspruchten Potsdam-Nord als ihr Territorium. Durch ihre Aktivitäten versuchten sie vehement eine so genannte „National befreite Zone“ zu errichten. All dies ist in den vergangenen Jahren, detailliert von Gruppen wie der Antifaschistische Linke Potsdam und dem Antifaschistischen Pressearchiv Potsdam dokumentiert worden und auch heute noch zugänglich und nachvollziehbar.
Als einer der Jüngsten nahm Enderling am 13. Februar 2007 an einer spontanen Demonstration von Potsdamer Neonazis in der Potsdamer Innenstadt teil. Diese fand anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens statt. An Propagandaaktionen in und um Potsdam hat er regelmäßig teilgenommen, verteilte u.a. zusammen mit dem Neonazi Benjamin Oestreich Flyer für die NPD und verbreitete mittels Plakaten und Aufklebern neonazistische Inhalte in Fahrland und umliegenden Dörfern. Über die Grenzen von Potsdam-Nord hinaus, war Paul Enderling in seiner Freizeit regelmäßig mit weiteren Neonazis in der Großraumdisko „Music Parc“ in Teltow feiern sowie auf regionalen wie auch überregionalen Neonaziaufmärschen aktiv (z.B. am 12.04.2008 in Lübben und am 12.01.2008 in Magdeburg). Neben regelmäßigen Versuchen der Einschüchterung und Bedrohung alternativer Jugendlicher im Dorf führte er, zusammen mit den oben genannten Neonazis, auch gewalttätige Übergriffe durch. Am 14. August 2007 war er direkt an einem Angriff auf einen alternativen Jugendlichen in Fahrland beteiligt.
Sascha Li., bei der Feuerwehr Fahrland als Gruppenführer und Löschmeister aktiv, hat seit seiner Jugend Kontakt in die neonazistische Szene im Potsdamer Norden – sei es auf Fußballturnieren oder auf Parties mit den örtlichen jugendlichen Neonazis und Mitläufer_innen. Freundschaftlichen Kontakt pflegt er zu vielen der oben genannten neonazistischen Clique – auch zu den Neonazis Jens Zimmer, Tino Nindelt und Benjamin Oestreich.
Dieser Kontakt wird auch über den Zusammenschluss „PdmNord“ aufrecht erhalten. In diesem sind neben Enderling und Li. viele der oben Genannten „organisiert“ und verabreden sich zu (Haus)Partys oder ähnlichem. In ihrer Außendarstellung setzen sie dabei u.a. auf Rockerästhetik mit Kutte und Aufnähern sowie Aufkleber. Zusammen mit dem Label „PdmNord“ tauchen immer wieder auch neonazistische Aufkleber oder Schmierereien, z.B. der Schriftzug „Potsdam Nord 88“ am 25. November 2012 auf dem Weihnachtsmarkt in der Brandenburger Straße, auf. [10] „Mitglieder“ von „PdmNord“ tragen mitunter neonazistische Aufdrucke auf Ihrer Kleidung zur Schau und bedrohten bereits alternative Jugendliche am Potsdamer Hauptbahnhof.
Dorfgemeinschaft und deutsche Abwehrdiskurse
Neonazis und Menschen, die sich von
menschenverachtenden Standpunkten nicht eindeutig distanzieren oder
diesen unkritisch gegenüber stehen, haben in der Arbeit mit Jugendlichen
nichts verloren. Auch, wenn mit solchen Vorwürfen konfrontierte Vereine
oder Institutionen mit Vorliebe darauf hinweisen und argumentieren,
dass die gemeinten Neonazis doch so nett, umgänglich und
vertrauenswürdig seien.
Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre mit dem Thema Neonazis in
Fahrland zeigen, dass es wenig Bereitschaft der Akteur_innen vor Ort
gibt, substanzielle Kritik, geschweige denn Selbstkritik, zu üben. Es
ist davon auszugehen, dass auch in diesem Fall den vorgelegten Tatsachen
mit Verschlossenheit, Ablehnung und einer Abwehr der Kritik „von Außen“
begegnet werden wird.
So unreflektiert und einfältig reproduzierte Klischees des deutschen
dörflichen Abwehrdiskurses auch seien mögen, so real werden diese immer
wieder, wenn sich Antifaschist_innen oder Betroffenen von Neonazigewalt
in kleineren Gemeinden und Dorfgemeinschaften zu Wort melden. In
Fahrland ist Thomas Liebe, in seiner Funktion als Leiter des
Jugendclubs, einer derjenigen, die diese Abwehrhaltung immer wieder
einnimmt und so der den Neonazis Schutz bietenden Dorfgemeinschaft
Argumentationen und Bezugspunkte liefert. Auf einer Sitzung des „Lokalen
Aktionsplan gegen Gewalt und Rechtsextremismus“ vertrat er tatsächlich
die Meinung, dass in Fahrland „mehr Probleme mit Linken als mit Rechten“
zu behandeln wären. [11] Eine Aussage von der er sich, trotz vielfacher
Kritik, bis heute nicht distanzierte.
Dass es auch anders ablaufen kann, zeigt das Beispiel Eisenhüttenstadt. Hier trauten sich Verantwortliche den Mund auf zumachen und nicht weg zusehen, wenn klar neonazistisches und menschenfeindliches Gedankengut verbreitet wird. Es bleibt zwar abzuwarten, wie sich der dortige Fall entwickelt und welche kurz-, mittel- und langfristige Konsequenzen gezogen werden, aber immerhin haben sich Mitglieder der Feuerwehrschule gegen Neonazis und menschenverachtende Tendenzen in ihren Reihen gestellt. Etwas, was in Fahrland und der dortigen Freiwilligen Feuerwehr bisher nicht geschah.
[1] http://www.maz-online.de/Brandenburg/Nazi-Sprueche-vom-Feuerwehr-Ausbilder und http://www.maz-online.de/Brandenburg/Feuerwehren-Neonazi-Verdacht-erhaertet und http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/1005979/ und http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/1005111/
[2] http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/1019827/ und http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/abendspazierg-nger-sind-zur-ck
[3] http://www.maz-online.de/Brandenburg/Feuerwehrschule-Mobbing-gegen-internen-Kritiker
[4] http://www.news.de/politik/855060779/die-roten-sehen-braun/1/
[5] Quelle „Engagierte Jugend – Potsdamer Umland“ und http://www.pnn.de/potsdam/79872/
[6] http://www.pnn.de/potsdam/114314/, http://www.pnn.de/potsdam/114314/, http://www.pnn.de/leserbriefe/78213/, http://www.pnn.de/potsdam/31006/, http://www.pnn.de/potsdam/43528/
[7] http://www.inforiot.de/nazis-in-potsdam-nord/, http://www.inforiot.de/potsdamer-neonazis-bestaendig-aktiv/, http://www.inforiot.de/nicht-weg-sondern-hinsehen-es-gibt-ein-problem/, http://www.inforiot.de/potsdamer-neonazis-gut-organisiert-npd-als-treibende-kraft/, http://www.inforiot.de/naziaktivitaeten-in-potsdam-und-umgebung-im-fruehjahr-2010/
[8] u.a. „Hinter den Kulissen – Hinter- und Vordergründe der brandenburgischen Neonaziszene“; 2013; Seite 34
[9] http://www.feuerwehr-fahrland.de/ortswehrfuehrung.html
[10] http://apap.blogsport.eu/2013/01/chronik-neonazistischer-aktivitaten-in-potsdam-und-umgebung-2012/; Eintrag vom 25.11.2012
[11] http://www.pnn.de/potsdam/43528/
Bild 1: Sascha Li. und Paul Enderling in den Reihen der Freieilligen Feuerwehr Fahrland
Bild 2: Paul Enderling, Matthias Wiechert und Tino Nindelt (v. l. n. r.) im örtlichen Jugendclub in Fahrland
Bild 3: Ein Like von Paul Enderling und anderen Neonazis für den Neonazi Benjamin Oestreich
Bild 4: Matthias Wiechert, Paul Enderling und Paddy Bohm am 19. Januar 2008 auf einem Neonazi-Aufmarsch in Magdeburg
Bild 5: Ein Like von Paul Enderling für einige Mitglieder des Zusammenhangs „Pdm Nord“; mit dabei ist Sascha Li.
Bilder mit Bildunterschriften: https://linksunten.indymedia.org/de/node/159113
Artikel auf der AR_P//U-Website mit allen Bildern und Bildunterschriften: http://arpu.blogsport.eu/2015/11/12/neonazis-bei-der-feuerwehr-auch-in-p...
Antifaschistische Recherche_Potsdam//Umland