Flüchtlingskrise: Sachsens Landräte senden Notruf an die Kanzlerin

Erstveröffentlicht: 
10.11.2015

Warnung vor „Stimmungswandel“ in der Bevölkerung


VON WINFRIED MAHR

 

Dresden. Die Asylpolitik der Bundesregierung hat alle zehn sächsischen Landräte zu einem Notruf veranlasst. In einem Brief des sächsischen Landkreistages an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) warnen die Landräte wegen des anhaltenden Flüchtlingszustroms vor einem „zunehmenden Stimmungswandel“ in der Bevölkerung. Sie seien in „drängender Sorge um den bürgerschaftlichen Zusammenhalt“ in Städten und Gemeinden.

 

„Wir verspüren den zunehmenden nachvollziehbaren Unmut unserer Bürgerinnen und Bürger.“ Die Kreisverwaltungschefs fordern Merkel und Gabriel auf, „die Anstrengungen auf Bundesebene noch einmal deutlich zu verstärken, um hier tatsächlich auch zu einer notwendigen Begrenzung des Flüchtlingszustroms zu kommen“. Die Landkreise würden an Kapazitäts- und Belastungsgrenzen stoßen, heißt es in dem Schreiben. Der „anhaltende Kraftakt der Schaffung immer neuer Unterbringungskapazitäten“ sei nicht durchzuhalten, „zumal man durch diese Notmaßnahmen direkt in die Lebensgewohnheiten der Bürgerschaft eingreifen muss“, so die Botschaft.

 

Öffentliche Akzeptanz schwindet


„Wenn wir die Flüchtlingsintegration schaffen wollen, dann mit der Bevölkerung“, sagt Nordsachsens Landrat Kai Emanuel (parteilos). Die öffentliche Akzeptanz jedoch schwinde immer mehr, „darum haben wir es immer schwerer, diese Aufgabe zu bewältigen“.

 

Der Landkreis Leipzig müsse im November und Dezember noch 1000 Asylsuchende aufnehmen. „Es ist absehbar, dass wir dabei an die Grenzen unserer praktischen Möglichkeiten kommen, Flüchtlinge dezentral oder in geeigneten Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen“, warnt Landrat Henry Graichen (CDU). Der Landkreis müsste kurzfristig Turnhallen für die Belegungen freimachen, „die eigentlich für den Schul- und Vereinssport gedacht sind“.

 

Wasser auf Mühlen der Rechtspopulisten


Auch im Erzgebirgskreis wächst der Druck: „Wöchentlich kommen zurzeit 100 Flüchtlinge an. Bis Weihnachten werden es dreimal so viele“, betont Landrat Frank Vogel (CDU), gleichzeitig Präsident des sächsischen Landkreistages: „Wir können hier in den Bergen aber im Winter keine Zelte aufstellen!“

 

Es sei längst klar, „dass die Zuwanderung eingeschränkt werden muss“, sagt Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer. Das Land sei „an einem Punkt angekommen, an dem es so nicht weitergehen kann“. Die Sachsen-Union soll deshalb auf ihrem Landesparteitag am Wochenende schärfere Regeln beschließen. Das derzeitige „Auf-Sicht-Fahren“ des Bundes, des Freistaates und der Kommunen führe zur Verunsicherung in der Bevölkerung und sei Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten, warnt der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Christian Hartmann.

 

„Das Schreiben der Landräte verstehe ich als Warn- und Weckruf“, sagt Michael Geisler, CDU-Landrat Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. „Wir wollen auf die bestehende und vor allem auf die zu erwartende Situation aufmerksam machen, wenn der Zustrom an Flüchtlingen so anhält wie bisher.“

 

Selbst der Fraktionschef der Linken im Landtag, Rico Gebhardt, räumt ein: „Wir teilen die Position der Landräte, dass die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung noch kein Problem gelöst haben – etwa Abhilfe bei überlangen Asylverfahren zu schaffen.“ Die Linke sei aber nicht der Ansicht, dass Sachsen bei der Flüchtlingsaufnahme auf Kapazitätsgrenzen zusteuere, „solange es noch Landkreise gibt, in denen sich drei Viertel der Gemeinden bisher gar nicht an der Unterbringung von Geflüchteten beteiligen“.

 

Der ganze Brief auf: www.lvz-online.de