Flüchtlinge in Sachsen – das sind die Fakten

Erstveröffentlicht: 
26.10.2015
Von Unterbringung bis zu finanziellen Leistungen – das erwartet die Asylbewerber wirklich

VON MATTHIAS PUPPE

 

Leipzig. Nach aktuellen Prognosen aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird Deutschland in diesem Jahr bis zu einer Million Flüchtlinge aufnehmen. Das sind beachtliche Zahlen, die die Bundesländer und Kommunen vor Herausforderungen stellen. Grund zur Hysterie gibt es aber nicht, das zeigen die nüchternen Fakten.

 

Ausgangslage: In Deutschland leben 81 Millionen Menschen, darunter 8,3 Millionen Ausländer (rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung). Zu den vier Millionen Sachsen gehörten zum Jahreswechsel auch 100 000 ohne deutschen Pass (2,5 Prozent). In Leipzig war der Anteil mit sechs Prozent höher.

 

Zahl der neuen Flüchtlinge: Von Januar bis Ende September 2015 wurden laut BAMF in Deutschland 347 000 Anträge auf Asyl registriert – das waren gut 100 000 mehr als im gesamten Vorjahr. In der einzigen sächsischen Antragsstelle in Chemnitz gingen bis dato 18 600 Anträge ein. Viele der Flüchtlinge warten in Turnhallen noch darauf, dass ihre Anträge überhaupt aufgenommen werden. Der bisherige Höchstwert aus dem Jahr 1992 während des Balkankrieges mit 438 000 Asylanträgen wird 2015 überschritten werden. Sollte Deutschland tatsächlich eine Million Flüchtlinge aufnehmen, entspräche das 1,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Sachsen müsste dann – über das ganze Jahr gerechnet – knapp 50 000 Geflüchtete beherbergen. Oder anders gesagt: 80 Sachsen nehmen einen Flüchtling auf.

 

Kriegs- oder Armutsflucht: Aktuell sind es vor allem Syrer, die aus ihrem zerstörten Land zu uns kommen. Allein im September waren es 16 000. Seit Ausbruch des Krieges vor drei Jahren haben vier Millionen Menschen die Arabische Republik verlassen – die eine Hälfte in Richtung Europa, die andere gen Jordanien, Ägypten oder Libanon. Gerechnet auf das ganze Jahr gab es 2015 in Deutschland bisher noch mehr Antragsteller vom Balkan (knapp 100 000). Zuletzt wurden allerdings immer weniger Menschen aus Südosteuropa registriert.

 

Top 10 der Herkunfstländer im September 2015. BAMF

 

Die Hälfte kann bleiben: Bis Ende September hat das BAMF jeden zweiten gestellten Asylantrag entschieden. 40 Prozent der Antragsteller dürfen bleiben, 38,4 Prozent der Anträge wurden inhaltlich abgelehnt, der Rest aus formalen Gründen. Abgelehnte Flüchtlinge müssen die Bundesrepublik bis zu einem festgelegten Zeitpunkt wieder verlassen – meist innerhalb eines Monats. Zehntausende abgelehnte Asylbewerber sind in diesem Jahr bereits freiwillig wieder ausgereist. Deutlich weniger wurden abgeschoben. Verschiedene Gründe können die Abschiebung verzögern, zum Beispiel der Gesundheitszustand oder fehlende Pässe. Laut Bundesinnenministerium waren Mitte Oktober 193 000 Asylbewerber ausreisepflichtig, etwa 141 000 von ihnen sind aber temporär geduldet.

 

Syrer mit guten Chancen: Ob Anträge abgelehnt oder angenommen werden, ist vor allem abhängig vom Herkunftsort der Flüchtlinge. Im September 2015 wurden 90 Prozent der syrischen Anträge aufgrund der Lage in der Arabischen Republik mit Krieg, Folter und Verfolgung anerkannt. Dagegen wurden praktisch alle Anträge aus Balkanstaaten abgelehnt – schon bevor die neue Gesetzeslage diese Länder zu sicheren Drittstaaten erklärt hat. Auch Afghanen (12 Prozent Ablehnung) und Pakistani (37 Prozent) müssen häufig damit rechnen, letztlich doch wieder zurückgeschickt zu werden.

 

Entscheidungen über Asylanträge in Deutschland im Jahresvergleich. Grüne Balken: Bewerber dürfen bleiben. Blaue Balken: Bewerber müssen wieder ausreisen. BAMF

 

Unterbringung: Über den Königsteiner Schlüssel – der Steueraufkommen und Bevölkerungszahl berücksichtigt – werden die Ankommenden auf alle Bundesländer verteilt. Sachsen muss 5,14 Prozent der Flüchtlinge aufnehmen, hatte Anfang Oktober dafür 13 000 Plätze in Erstaufnahme-Einrichtungen. Bis zum Jahresende soll die Bettenzahl auf 20 000 steigen, so Innenminister Markus Ulbig (CDU).

 

 

Warten in Flüchtlingsheimen: Erst wenn ein Asylantrag aufgenommen wurde und eine persönliche Anhörung stattgefunden hat, können Flüchtlinge in die Unterkünfte der Städte und Kreise umziehen. Das kann mehrere Wochen dauern. So leben derzeit in Leipzig etwa 3000 Menschen in städtischen Flüchtlingsheimen und -Mehrfamilienhäusern, warten auf die Ergebnisse ihres Asylverfahrens. Bis Ende Dezember soll die Zahl für 2015 auf 5400 angestiegen sein. Mit Blick auf die Einwohnerzahl hätten dann 100 Leipziger einen Asylbewerber beherbergt.

 

 

Muslime und Christen: Die Zahl der Muslime im Freistaat betrug Anfang des Jahres etwa 20 000 – das sind 0,48 Prozent aller Sachsen. Eine Million der Menschen im Freistaat sind Christen. Mit den Flüchtlingen kamen noch einige Tausende Muslime hinzu. Aber nicht jeder Asylbewerber aus Arabien oder Afrika ist auch ein Muslim. Das trifft vor allem auf Syrer und Afghanen zu (82 Prozent). Flüchtende Eriträer sind dagegen zu 78 Prozent Christen, Iraker mehrheitlich Jesiden. Laut Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen gab es bisher keine Erkenntnisse, dass Dschihadisten unter den Asylbewerber sind.

 

Finanzielle Leistungen: Sobald ihre Asylanträge tatsächlich registriert wurden, erhalten Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen Taschengeld. Laut Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sind das für Alleinstehende oder Familienvorstände 143 Euro pro Monat. Sobald die Geflüchteten die Erstaufnahme in Richtung kommunale Asylunterkunft oder eigene vier Wände verlassen können, stehen ihnen maximal 362 Euro im Monat als Lebensunterhalt zu. Das ist weniger als der Regelsatz für Hartz-4-Empfänger mit 399 Euro.

 

Luxusgüter: Mobiltelefone sind sehr wichtig für Flüchtlinge und kein Zeichen von Wohlstand. Nur so können sie nach ihrer Flucht über Tausende Kilometer noch Kontakt zu anderen, versprengten oder in der Heimat verbliebenen Familienmitgliedern halten. Es ist wohl auch ein Trugschluss, dass hiesige Technikmärkte von der Flüchtlingskrise profitieren: Viele Asylbewerber haben ihre Kommunikationsgeräte schon bei der Ankunft in Deutschland dabei.

 

Kriminalität: Anzeichen für einen merklichen Anstieg der Kriminalität seit Beginn der Flüchtlingswelle in Deutschland gibt es bisher nicht, macht das Innenministerium deutlich. Es häufen sich allerdings vor allem in sozialen Netzwerken Gerüchte über Asylbewerbergruppen, die Supermärkte oder andere Geschäfte ausrauben – das sind bisher ausnahmslos Falschmeldungen. Polizei und Betreiber haben schon mehrfach darauf hingewiesen, dass es keine solche Straftaten gab.