Der Absturz eines erfolgreichen Autors

Erstveröffentlicht: 
22.10.2015

Der Weg von Akif Pirinçci, der einst Katzenromane schrieb, zu einem Mann, der menschenverachtende Reden hält

 

Das sei „Deutschlands derbster Hassredner“, hier werde „die Axt des Hasses“ spürbar. So und ähnlich wird der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci seit Dienstag jetzt beschimpft. Die Welle der Empörung über ihn reißt nicht ab – und Auslöser sind seine verbitterten, menschenverachtenden Worte. Er hatte am Montagabend als einer der Hauptredner auf der Pegida-Demonstration in Dresden die Politiker „Gauleiter gegen das eigene Volk“ gescholten, Deutschland als „Scheißstaat“ bezeichnet und Asylbewerberinnen „flüchtende Schlampen“ genannt. Das ganze gipfelte in folgender Bemerkung: „Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.“

 

Diese verbalen Ausfälle haben nun drastische Konsequenzen für den 56-jährigen Autor. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat gegen ihn Ermittlungen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung aufgenommen, die Bertelsmann-Verlage Diana, Goldmann und Heyne liefern seine Bücher nicht mehr aus.

 

Wie kommt ein Mann, der als Autor einen Namen hat, auf solche Abwege? Mit seinen „Felidae“-Katzenkrimis wurde Pirinçci in den Neunzigerjahren berühmt. Jetzt aber klingt seine Sprache vulgär, die von ihm gewählten Ausdrücke treffen unter die Gürtellinie. Am Telefon wirkt der Autor gehetzt und aufgebracht, versucht eine Erklärung und Rechtfertigung. Den Satz mit den KZs habe er doch nicht auf Flüchtlinge bezogen, meint er jetzt. Vielmehr habe er sagen wollen, dass deutsche Politiker jene, die gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sind, in Konzentrationslager stecken wollten.

 

Pirinçci sagt: „Wenn ich wirklich gesagt hätte, dass man Flüchtlinge ins KZ stecken sollte – das wäre ja ungeheuerlich. Die Menschen müssen glauben, ich sei völlig irre. Das ist grotesk.“ Er fühle sich missverstanden, ergänzt er: „Sie wollten mich schon immer fertig machen.“ „Sie“, das sei die „linksversiffte Presse“, eins der vielen Feindbilder, die der Rechtsextremist bereits in seinem Pamphlet „Deutschland von Sinnen“ gezeichnet hatte. Schon bei der Veröffentlichung des Buches 2014 geriet Pirinçci in den Verdacht, mit NS-Gedankengut zu sympathisieren. Die „Zeit“ verglich das Buch mit Hitlers „Mein Kampf“. Kritiker forderten Onlinehändler auf, das Buch zu boykottieren.

 

Allein der Untertitel „Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ verrät, wie feindselig Pirinçci eingestellt ist, wie beliebig seine Zielscheiben sind. Seine verbalen Querschläge treffen wahlweise den Sozialstaat, Greenpeace, Gleichstellungsbeauftragte, Pro Asyl, Professoren für Soziologie oder Frauen („Selbstverwirklichung funktioniert beim Weibe einfach nicht“). Die Homo­ehe bezeichnet er als „schlechten Witz“, Gender Mainstreaming als „Geisteskrankheit“, und Muslime stellt er als Dauervergewaltiger dar. Wie eine im Rausch gehaltene Stammtischtirade wirkt das Pamphlet. Aber wer meint, auf dem Markt würde eine solche Aneinanderreihung wirrer Gedanken mit Missachtung gestraft werden, der irrt sich: Der Titel führte wochenlang bei Amazon die Bestsellerliste an. Binnen zweier Wochen wurden rund 200 000 Exemplare verkauft. „Von meinen Verlagen fühle ich mich verraten. Man hat dem öffentlichen Druck nachgegeben und löscht einen Autor einfach so aus“, sagt er jetzt.

 

Pirinçcis Romane wie „Der Rumpf“ oder „Die Damalstür“ – verfilmt mit Heike Makatsch – haben sich millionenfach verkauft und wurden in 17 Sprachen übersetzt. Als politischer Autor trat er bereits zuvor im pro-westlichen Weblog „Die Achse des Guten“ hervor. Woher kommt diese Wut, wie lässt sich die zunehmende Radikalisierung von harmlosem Krimiautor über kulturpessimistische Thesen à la Thilo Sarrazin bis zur politischen Hetzrede erklären? Das Buch „Deutschland von Sinnen“ gibt nur bedingt Antwort. Die Wut scheint sich aus einer doppelten persönlichen Kränkung zu speisen: Als Bestseller-Autor muss er hohe Steuern zahlen, die er in der „bunten Republik“ verschleudert sieht. Ein ganzes Kapitel handelt zudem davon, wie seine Frau ihn verlassen hat, was ihn zu einer generellen Abrechnung mit dem weiblichen Geschlecht verleitet.

 

Pirinçci ist selbst Sohn türkischer Einwanderer. Bereits einen Tag nach der Ankunft in Deutschland hätten die Eltern arbeiten müssen, ein Jahr lang habe er als Neunjähriger mit seiner Schwester und den Eltern ein Zimmer geteilt. „Das war knallhart“, sagt er. „Meine Eltern hatten andauernd Angst, dass sie abgeschoben werden.“ Mitgefühl mit den Flüchtlingen von heute hat ihn diese Biografie nicht gelehrt. Im Gegenteil, tiefes Misstrauen herrscht vor. Es scheint, nicht Deutschland sei von Sinnen.