Wegen eines tätlichen Angriffs auf eine Radfahrerin hatte das Amtsgericht den Leipziger NPD-Stadtrat Enrico Böhm (33) zu acht Monaten Haft verurteilt. In der Berufungsverhandlung gestern vor dem Landgericht räumte der Angeklagte die Tat erstmals ein und bot seinem Opfer sogar Schmerzensgeld an. Die Haftstrafe gegen ihn sei jedoch zu hoch.
Leipzig. NPD-Stadtrat Enrico Böhm (33) hat den tätlichen Angriff auf eine Radfahrerin in Altlindenau vor Gericht gestanden. „Ich habe mich hinreißen lassen, sie mit dem Fuß zu stoppen“, erklärte der gelernte Mediengestalter am Dienstag im Berufungsprozess am Landgericht. „Das bereue ich.“
Am 25. April 2014 soll Böhm in der Gemeindeamtsstraße einer Radfahrerin (29) gegen den Oberkörper getreten und sie verletzt haben. Vom Amtsgericht war Böhm im Mai dieses Jahres aufgrund dieser Attacke und weil er die Frau als „Zeckenschlampe“ bezeichnet haben soll, wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte elf Monate Freiheitsentzug ohne Bewährung beantragt, die Verteidigung hingegen Freispruch. Beide waren in Berufung gegangen, so dass nun die 9. Strafkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Richter Klaus Kühlborn den Fall erneut aufrollt.
Böhm, der seit Ende 2014 für die rechtsextreme NPD im Leipziger Stadtrat sitzt, hatte bisher zu den Vorwürfen geschwiegen. Vor dem Landgericht gab zunächst sein Verteidiger Mario Thomas eine Erklärung ab. Demnach sei der Tatvorwurf der Körperverletzung zutreffend. Sein Mandant habe sich zu dieser Zeit in einer sehr angespannten Situation befunden. Als Stadtratskandidat der NPD sei er „erheblichen Überfällen“ ausgesetzt gewesen – etwa im Februar und April 2014, als Angreifer jeweils mit Steinen die Scheiben der Wohnung seiner Familie zerstört und in einem Fall Teerbomben hineingeworfen hätten. Durch die Anschlagserie habe er unter einem „extremen psychischen Druck“ gestanden, so Böhm. Doch wie soll das die brutale Attacke auf die Radfahrerin erklären, die an jenem Tag auf dem Weg zum Einkauf zufällig durch die Gemeindeamtsstraße fuhr und dort auf den Angeklagten traf? „Der Angeklagte hat eine unbeteiligte und unbescholtene Person angegriffen, es gibt nichts Schlimmeres.“, hatte Amtsrichter Mathias Winderlich seine Entscheidung im Mai begründet.
Böhm gibt vor, sehr aufgebracht gewesen zu sein, weil Unbekannte in der Gemeindeamtsstraße, ganz in der Nähe des früheren NPD-Zentrums in der Odermannstraße, die Scheibe eines Audi eingeworfen hatten. Der Angeklagte, damals nach eigenem Bekunden Audi-Fahrer, bezog die Attacke auf sich. Während er an dem beschädigten Wagen stand und mit der Polizei telefonierte, sei die Radfahrerin vorbeikommen. „Ich habe sie mit dem Anschlag in Verbindung gebracht“, erklärte er vor Gericht. Warum, ließ er allerdings offen. Zugleich bestritt er, die Frau als „Zeckenschlampe“ bezeichnet zu haben. Sie hatte dies gegenüber der Polizei ausgesagt. Böhm, auf dessen Konto 13 Vorstrafen gehen, bot der Frau 500 Euro Schmerzensgeld an. Allerdings blieb die Radfahrerin der Berufungsverhandlung aus unbekannter Ursache fern. Deshalb bestimmte die Strafkammer einen weiteren Verhandlungstermin für den 12. November.
Wieder aktuell ist die Anklage gegen Böhm wegen versuchter Nötigung aufgrund eines Telefonats mit dem Jobcenter. Das Amtsgericht hatte ihn in dem Punkt freigesprochen, doch Staatsanwalt Ulrich Jakob ging auch dagegen in Berufung. Böhm soll im Gespräch mit einer Telefonistin der Behörde den Rückruf einer Sachbearbeiterin gefordert haben. Andernfalls, so soll der NPD-Mann laut Anklage gedroht haben, werde die Frau „den Kopf unter dem Arm tragen“. Die Verteidigung bestritt dies, allenfalls sei von „Kopf waschen“ die Rede gewesen. Doch die Telefonistin blieb im Zeugenstand dabei: „Wir schreiben so etwas grundsätzlich im Wortlaut auf.“
Von Frank Döring