"Pegida-Demonstranten werden pauschal beschimpft und kriminalisiert"

Erstveröffentlicht: 
25.10.2015

Unser Leser meint, dass es dem Menschen eigen ist, sein Zuhause zu verteidigen. Professor Werner Patzelt erwidert, dass nur die demokratische Grundordnung die Grenzen ziehen kann.

 

Am 20. Oktober haben wir über den Umgang mit AfD und Pegida berichtet. Unser Leser Otto-von Eicken aus Berlin findet, alle Menschen dürfen ihre Meinung äußern:

 
"Die Furcht vor Überfremdung ist ein Ur-Gefühl des Menschen. Von den 15.000 Pegida-Demonstranten sind 14.000 so normal wie Sie und ich. Alle Menschen dürfen ihre Meinung kundtun. Auch wenn sie nicht mit der Regierungsmeinung und/oder Pressemeinung übereinstimmt. Welche Mittel hat der normale Bürger, um sich zu artikulieren? Demonstrationen gehören doch zur politischen Kultur. Bei fünf Grad und Nieselregen geht man nur zur Demo, wenn man ein echtes Anliegen hat. Indem die Pegidas pauschal abgeurteilt werden, werden sie unnötig kriminalisiert. Meines Erachtens haben die Leute ein Recht darauf, gehört und mit ihren Ängsten ernst genommen zu werden. Es handelt sich schließlich um ihr Zuhause. Und sie wollen sich darin wohlfühlen. Ich finde das nicht verwerflich."

 

Dies ist die Antwort des Politikwissenschaftlers Werner J. Patzelt:


"Wer – wie ich – die Dresdner Pegida-Demonstrationen im Dezember und Januar persönlich beobachtet, auch drei Umfragen unter Pegida-Demonstranten durchgeführt hat, auf etlichen öffentlichen Diskussionsveranstaltungen und auf seiner Facebook-Seite vielen Pegida-Sympathisanten begegnet, sich immer wieder im Gespräch mit über Pegida berichtenden Journalisten befindet sowie regelmäßig die Liveticker und Videoaufzeichnungen zu den wöchentlichen Pegida-Veranstaltungen verfolgt: Der weiß schon ziemlich gut, wer die Pegidianer sind, wie sie denken, wie sie sich verhalten. Also kann er auch die Medienberichterstattung und öffentliche Meinungsbekundungen über Pegida daraufhin beurteilen, ob ihnen ein realistisches Bild der Lage zugrunde liegt sowie ein ausgewogenes Urteil gelingt.

 

Deutsche Medien trennen nicht sorgsam zwischen Bericht und Kommentar

 

Zur Medienberichterstattung über Pegida fällt auch vielen ausländischen Journalisten auf, die mich für Interviews aufsuchen, dass deutsche Medien nicht allzu sorgsam zwischen Berichterstattung und Kommentierung trennen. Fakten werden oft so ausgewählt, aneinandergereiht und sprachlich umkleidet, dass der Leser, Hörer oder Zuschauer zum Urteil geleitet wird: Pegida ist schlecht, Pegidianer sind dumm und gemein, die Gegner von Pegida stehen für das Gute – und auf deren Seite sollte jeder stehen.


Etwa wird von Pegidianern so gut wie immer „gebrüllt“, während Gegendemonstranten „rufen“. Wenn ein Pegida-Demonstrant einen knapp eineinhalb Meter hohen Galgen mitführt, dann ragt dieser auf Pressefotos auf wie ein Mast, an dem Meuterer die Schiffsoffiziere aufhängen wollen – und laufen gleich alle Demonstranten genau diesem Galgen hinterher. Wird gar noch skandiert „Merkel muss weg!“, dann ist eine Unverschämtheit zu beklagen; wo käme man auch hin, wenn das Volk seiner Regierung nicht pflichtschuldig zujubelte! 

 

Auf „Bild“ und Glotze sind nun freilich Politiker angewiesen


Von der Pegida-Demonstration am letzten Montag erfährt man als Medientenor, dass die Polizei ganz überfordert war, einige Tausende von wild randalierenden Rechtsradikalen im Schach zu halten, die – von geifernden Rednern weiter aufgehetzt – quer durch die Stadt schüchterne Gegendemonstranten und verängstigte Flüchtlinge jagten, ja den einen oder anderen brutal zu misshandeln versuchten. Dass es sich ziemlich anders verhielt, lässt sich zwar im Internet leicht ermitteln – jedoch nicht, wenn man einfach den Medien vertraut, auf die man sich üblicherweise verlässt.


Auf eben die – Gerhard Schröder würde sagen: auf „Bild“ und Glotze – sind nun freilich Politiker angewiesen. Und wenn die nicht riskieren wollen, ihrerseits als Pegida-Sympathisanten angegriffen, verächtlich gemacht und ausgegrenzt zu werden, dann sagen sie am besten genau das, was auch Journalisten über Pegida sagen, also gern als politisch richtige Einschätzung aus Politikermund beglaubigt bekommen. Deshalb liest man: Mischpoke ist unterwegs, verführt von Rattenfängern, mit Hass und Kälte in den Herzen, zur Schande Deutschlands, Dresdens Ruf gar ruinierend. Mitgefangen, mitgehangen – das gilt für alle, die sich diesem Abschaum zugesellen. Hat denn in einer Demokratie nicht jeder das Recht, sich zur Mehrheit zu bekennen? Wer das trotzdem nicht tut, der beleidigt die Mehrheit der Anständigen, missbraucht das Demonstrationsrecht. Also weg mit ihm! 

 

Die Grenzen zieht nur die freiheitliche demokratische Grundordnung


Mein Fazit nach einem Jahr Pegida: Es gibt sehr wohl pauschale sowie ganz unnötige Kriminalisierungen, Aburteilungen und Beschimpfungen von Pegida-Demonstranten. Diese haben sehr wohl – ebenso wie ihre Gegner – ein Recht darauf, gehört und mit ihren Anliegen oder Ängsten ernst genommen zu werden. Sie tun auch nichts Verwerfliches, wenn sie sich andere Sorgen machen als die Mehrheit im Lande. Natürlich darf man sie kritisieren und politisch ablehnen. Doch die einzuhaltenden Grenzen zieht allein die freiheitliche demokratische Grundordnung mitsamt den sie konkretisierenden Gesetzen. Schade ist allerdings, dass sich in diesem Land ein unparteiisches Gefühl für politischen Anstand verloren hat – und zwar längst, bevor auch Rechte, nicht nur Linke, sich öffentlich empörten."