Am Samstag, 24. Oktober, gab es gleich mehrere Facetten rechten Gedankengutes zu besichtigen. Erst die Opfer, dann das Heute. Zunächst beteiligten sich mehrere hundert Menschen am Gedenken für den von Neonazis in Leipzig ermordeten Kamal Kilade. Ein Leipziger Opfer von Rassismus, denn 19-jährig starb Kilade am 24. Oktober 2010 ohne Grund nach einer Messerattacke gegenüber des Leipziger Hauptbahnhofes. Anschließend ging es für viele der Gedenkenden zum Protest gegen einen Aufzug der rechtsextremen "Offensive für Deutschland" nach Markkleeberg. Die L-IZ war mit der Kamera dabei.
„Erinnern heißt Kämpfen – doch warum kämpfen wir?“, fragte ein Sprecher der Initiative „Schwarze Menschen in Deutschland“ zu Beginn seines Redebeitrages und schob die Antwort gleich selbst hinterher: „Weil ich muss. Wer in Sachsen lebt und so aussieht wie ich, hat keine andere Wahl.“
Bereits zum fünften Mal jährte sich an diesem Samstag der Todestag von Kamal Kilade. Der Iraker war in der Nacht zum 24. Oktober 2010 am Hauptbahnhof von einem Neonazi mit einem Messer ermordet worden. Ein weiterer Rechtsextremer hatte sich mit Schlägen und Pfeffersprayeinsatz an dem tödlichen Übergriff beteiligt. Der Fall erregte bundesweit Aufsehen, unter anderem weil die Staatsanwaltschaft nicht von einem rassistischen Motiv ausgegangen war und lediglich auf Totschlag plädierte. Der Vorsitzende Richter bewertete die Tat jedoch anders und verurteilte Marcus E. wegen Mordes zu 13 Jahren Haft. Daniel K. musste wegen gefährlicher Körperverletzung drei Jahre ins Gefängnis. Mittlerweile befindet er sich wieder auf freiem Fuß.
Die Demonstration hatte auf dem Marktplatz begonnen und sich zügig in Bewegung gesetzt, um den Teilnehmern im Anschluss eine rechtzeitige Anreise nach Markkleeberg zu ermöglichen, wo die „Offensive für Deutschland“ (OfD) ihre vierte Kundgebung abhalten wollte.
Der zweite Redebeitrag am Gedenkstein für Kamal Kilade handelte insbesondere vom Verhalten der Polizei. Einige Beamte würden auf den Kundgebungen bei bestimmten Parolen immer wieder lachen und über Verbindungen zur organisierten Neonaziszene verfügen. Nach der Tat im Jahr 2010 hätten sich die Ermittlungsbehörden für das eigentliche Motiv nicht interessiert. Dieser Vorwurf spielt unter anderem darauf an, dass die Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Kameradschaft, zahlreiche einschlägige Tattoos und in den Wohnungen gefundene Nazipropaganda bei den Ermittlungen zunächst offenbar ohne große Bedeutung waren. Bei seiner Festnahme trug Daniel K. einen Pullover mit der Aufschrift „Kick off Antifascism“.
Die Kundgebung endete am Bayerischen Bahnhof. Von dort aus machten sich die Demoteilnehmer mit Fahrrad, Straßenbahn oder S-Bahn auf den Weg nach Markkleeberg. Bei den vorherigen Demonstrationen der OfD auf dem Augustusplatz, in Grünau und auf dem Refugees-Welcome-Platz hatten sich die Teilnehmerzahlen jedes Mal etwa halbiert. Dieser Trend setzte sich südlich von Leipzig fort: Weniger als 40 Personen fanden sich hinter dem Banner der OfD ein, darunter Orgachef Silvio Rösler, Alexander Kurth von der Neonazipartei „Die Rechte“, die ehemalige „Heimatschutz Meißen“-Lenkerin Anne Zimmermann und Gedichteschreiber Erhard Kaiser.
Wie schon bei den ersten beiden Kundgebungen blockierten Gegendemonstranten einen Teil der Strecke. Auf dem als Rückweg angedachten Abschnitt löste sich nach mehrfacher Aufforderung durch die Polizei eine Sitzblockade von selbst auf. Die teilnehmenden Personen entfernten sich wie gewünscht Richtung Norden – und bildeten dort gemeinsam mit anderen Aktivisten unverzüglich eine neue, noch größere Sitzblockade.
Auch in der Parallelstraße hatten sich Menschen der OfD in den Weg gestellt. Eine von der Versammlungsbehörde vorgeschlagene Alternativroute lehnte Rösler im Gegensatz zu früheren Veranstaltungen diesmal ab. Als die Versammlungsbehörde „aufgrund der Blockadehandlungen und der fehlenden Möglichkeiten, diese verhältnismäßig zu beseitigen“ (O-Ton Polizeibericht) einen „Sofortvollzug“ der Streckenänderung verfügte, löste Rösler seine Veranstaltung auf. Stattdessen wurde direkt vor Ort eine Spontankundgebung angemeldet.
Rösler und seine Weggefährten wirkten sichtlich genervt von der erneuten Störung ihrer Aufmärsche. In zahlreichen spontanen Redebeiträgen wetterten sie gegen die Protestierer, die Polizei und die anwesenden L-IZ-Journalisten. Mehrere Teilnehmerinnen suchten bei letzteren sogar ein persönliches Gespräch, das jedoch ergebnislos verlief. Die einen wollten der pauschalen Behauptung, auf der Gegenseite stünden zahlreiche gewalttätige Straftäter, nicht folgen; die anderen wussten angeblich nicht, dass es sich bei Alexander Kurth um einen mehrfach wegen schwerer Körperverletzung verurteilten Neonazi handelt und verteidigten dessen Meinungsfreiheit.
Nach Auflösung der Versammlung zeigte sich dann die Friedfertigkeit der OfD, als Rösler seine ganz persönliche Offensive für Deutschland startete. Einen L-IZ-Journalisten, der den Abgang der Demoteilnehmer fotografieren wollte, jagte er unter lautem Geschrei mehrere Meter über die Straße. Seine eigenen Leute riefen ihm hinterher, dass er sich um „die Ratte“ nicht kümmern soll, und hielten ihn mit Mühe zurück. Die Polizei zeigte während des Angriffs keine Reaktion.
Das tat sie dann wenige Minuten später, als sie einen anderen L-IZ-Journalisten einer Identitätsfeststellung unterziehen wollte. Dieser hatte sich – genau wie weitere Kollegen – in den Polizeikessel begeben, um dort Gespräche mit Anwesenden zu führen. Es kam zu einer kurzen Diskussion, an deren Ende von der Maßnahme abgesehen wurde. Mehr als 100 Gegendemonstranten konnten sich dieser jedoch nicht entziehen. Ihnen droht nun eine Strafanzeige.
Das Statement der Polizei zum Versammlungsgeschehen am 24. Oktober 2015
„Bereits heute Nachmittag fand in Leipzig ein Aufzug der Gruppe „Rassismus tötet!“ unter der Leitung von Frau Nagel und dem Motto „5 Years of anger and sorrow – Fight racism“ statt. Mehrere hundert Teilnehmer hatten sich zwischen 14:00 Uhr und 16:00 Uhr eingefunden und liefen nach der Auftaktveranstaltung auf geänderter und genehmigter Strecke zwischen Markt und Bayrischen Bahnhof (Abschlusskundgebung um 15:41). Anschließend fuhr die Mehrzahl der Versammlungsteilnehmer mit der S-Bahn nach Markkleeberg zur Kundgebung „Gegen jeden Rassismus“, um dort ihre Proteste gegen die OfD zu richten.
Die „Offensive für Deutschland“ (OfD) hatte von 17:00 Uhr bis 19:00 Uhr ihren Aufzug mit etwa 800 Teilnehmern in Markkleeberg angemeldet. Unter dem Thema „Die Offensive für Deutschland demonstriert gegen die Politik dieser Regierung für eine souveräne Nation“ versammelten sich jedoch weit weniger Anhänger. Nach dem Verlesen der Auflagen begannen sie mit ihrem Aufzug. Schon die beiden vorangegangenen Versammlungen am 17. und 19.10.2015 waren mäßig frequentiert; gab es dort nur 130 bzw. 70 Teilnehmer.
Gleichzeitig agierte dort ab 16:30 Uhr die Kundgebung „Aktionsbündnis Markkleeberg“ unter dem Motto „Markkleebergs Ruf: kein Rassismus – keine Gewalt“. Aus dem Umfeld dieser Versammlung heraus wurden um 17:17 Uhr kurzzeitig Einsatzfahrzeuge mit Steinen beworfen. Es gab fünf beschädigte Fahrzeuge; ein Dienst-Kfz war nicht mehr fahrbereit.
Zudem wurde zu dieser Zeit auch ein brennendes Haus in der Hohe Straße in unmittelbarer Nähe des Versammlungsumfeldes gemeldet. Es stellte sich heraus, dass starker Rauch aus einem leer stehenden Haus drang. Neben Polizeibeamten kamen auch Kameraden der Feuerwehr zum Einsatz. Die Feuerwehr geht von Brandstiftung aus. Die Lage konnte durch den offensiven Einsatz von Polizeikräften schnell beruhigt werden.
Um 17:46 Uhr wurde die Versammlung beendet. Zeitgleich mit der Versammlung der OfD begann die Protestversammlung „Gegen jeden Rassismus“ des linken Spektrums. Die räumlichen Beschränkungen der Versammlungsbehörde wurden dabei durch die Versammlungsleiterin und die Teilnehmer missachtet. Gemäß der Auflage der Versammlungsbehörde sollte sich der Versammlungsort in Markkleeberg auf der Hauptstraße in Höhe Turmblick befinden. Die Versammlung verlagerte sich jedoch auf der Hauptstraße zur Parkstraße.
Um 17:30 Uhr erklärte die Versammlungsleiterin die Versammlung dort für beendet. Auf der Aufzugsstrecke OfD formierte sich um 17:20 Uhr eine Sitzblockade auf der Raschwitzer Straße zwischen der Parkstraße und Kastanienweg. Um 17:50 Uhr wurden diese Personen angesprochen, dass sie sich zu entfernen haben. Um 17:55 Uhr erfolgte die zweite Ansprache. Nach der dritten Ansprache um 17:58 Uhr zog sich der Gruppierung in Richtung Kastanienweg zurück und setzte sich erneut nieder, verließen aber nach geraumer Zeit den Ort in Richtung Hauptstraße.
Eine zweite Sitzblockade wurde um 17:51 Uhr an der Hauptstraße/Parkstraße. Auch hier erfolgten zwischen 17:55 und 18:00 Uhr drei Ansprachen, diese Blockade zu beenden. Um 18:15 Uhr schlug die Versammlungsbehörde dem Versammlungsleiter der OfD eine Änderung der Aufzugsstrecke vor. Dies wurde durch den Versammlungsleiter abgelehnt.
Um 18:20 Uhr verfügte die Versammlungsbehörde, aufgrund der Blockadehandlungen und der fehlenden Möglichkeiten diese verhältnismäßig zu beseitigen, eine Streckenänderung und ordnete einen Sofortvollzug an. Gegen 18:28 Uhr erklärte der Versammlungsleiter der OfD seine Veranstaltung für beendet. Um 18:30 Uhr wurde eine Spontankundgebung der OfD vor Ort angemeldet.
Die Versammlungsbehörde gestattete dies bis 19:00 Uhr. Während dieser spontanen Versammlung verließen bereits mehrere Personen selbige. Um 19:03 Uhr wurde die Spontanversammlung vor Ort für beendet erklärt. Nach dem Normalisieren der Lage konnten dann die polizeilichen Einsatzkräfte sukkzessive aus dem Einsatz herausgelöst werden.
Auch während des heutigen Einsatzverlaufes kam es wiederum zu Gewalttätigkeiten und wurden Straftaten begangen (Stand: 22:00 Uhr: 134 Straftaten).“