Amts- und Mandatsträger in Sachsen sehen sich in der Asyldebatte mit Beleidigungen und Bedrohungen konfrontiert. Derzeit bearbeitet das Operative Abwehrzentrum in Leipzig 57 entsprechende Verfahren, so der Stand vom 19. Oktober. Wie bedroht fühlen sich Nordsachsens Bürgermeister, deren Hauptaufgabe derzeit die Unterbringung von Flüchtlingen ist?
Nordsachsen. Nach Darstellung des BKA geraten Flüchtlinge und deren Helfer zunehmend in das Visier fremdenfeindlicher Gewalttäter. Bürgermeisterin Astrid Münster (FWG) in Bad Düben nimmt einen "zunehmend aggressiveren Ton" wahr. "Das hat seit Sommer eine andere Qualität bekommen." Sie selbst sei im Zusammenhang mit der Entscheidung Gemeinschaftsunterkunft in Bad Düben persönlich "verbal stark angegriffen" worden. "Insbesondere in den sozialen Medien geht da viel ab." Deshalb lese sie inzwischen nicht mehr alles. Sie wünscht sich vor allem mehr Verständnis. "Wir wollen alle das Beste für unsere Stadt. Mitunter sind Kommunen aber auch an Dinge gebunden, die auf Bundes- und Landesebenen entschieden werden."
Sorgen über die Entwicklung in verschiedenen Kommunen, wo Bürgermeister verbal attackiert werden, macht sich Steffen Schwalbe, parteiloser Rathaus-Chef in Rackwitz bei Delitzsch. "Ich persönlich wurde aber bislang nicht angegriffen. Ich führe zwar viele Gespräche zum Thema Asyl, erhalte täglich etwa fünf Bürgeranfragen. Doch die Diskussionen, insbesondere zur Unterbringung, liefen bis jetzt immer sachlich ab." In der 5000-Einwohner-Gemeinde wohnen etwa 100 Flüchtlinge, mehrheitlich in großen Wohnprojekten.
Bisher gäbe es zum Thema Asylbewerber und Flüchtlingsunterbringung weder im Gemeindeamt noch bei ihm privat problematische Anrufe, Post oder E-Mails, war von Bürgermeister Matthias Müller (CDU) in Wermsdorf zu erfahren. "Ich fühle mich in keiner Weise bedroht, aber ich spüre die Last und die Verantwortung dieser Aufgabe."
"Bürgermeister werden für alles Mögliche verantwortlich gemacht und in Sachen Asyl auch angefeindet", konstatiert der Bürgermeister Lothar Schneider (parteilos) aus Laußig bei Bad Düben. "Ich betrachte es mit Sorge, dass die persönlichen Anfeindungen in der Zahl und auch in der Art und Weise an Schärfe zunehmen. Doch das ist keine Lösung. Die Sorgen und Nöte der Bürger nehme ich ernst, doch die Flüchtlingsproblematik können wir nur gemeinsam bewältigen."
Keine Anfeindungen hat bis jetzt CDU-Bürgermeister Axel Wohlschläger in Löbnitz bei Delitzsch erlebt. "Doch die Problematik bewegt, was sich auch in der vermehrten Zahl der Anfragen, die insbesondere per Mail eingehen, niederschlägt. "Doch bis jetzt war das alles sehr sachlich."
Bürgermeister Roland Märtz (CDU) aus Doberschütz bei Eilenburg meint: "Bis jetzt habe ich keine Hass-Mails bekommen. Ich bin auch nicht beleidigt worden. Das Dorf tickt ein Stück anders als die Stadt. Hier gibt es eine andere Sozialstruktur, mehr Nähe. Auch wenn die Emotionen jüngst bei der Einwohnerversammlung in Mörtitz, als es um eine Asylunterkunft im Gewerbegebiet Sprotta ging, schon weit oben waren."
Als in der Gemeinde Krostitz bei Delitzsch Pläne bekannt wurden, dass im Ortsteil Zschölkau in einer Asylunterkunft 200 Flüchtlinge untergebracht werden sollten, schlugen die Wellen hoch, bekam Bürgermeister Wolfgang Frauendorf (CDU) nicht nur schöne Worte zu hören. Bedroht habe er sich aber bisher nicht gefühlt. "Es gab und gibt keine persönlichen Anfeindungen. Viele sehen ein, dass wir gerade in der Flüchtlingsfrage Dinge umsetzen müssen, zu denen wir verpflichtet sind", so Frauendorf. Ob er, wenn er Hass-Mails erhalten sollte, möglicherweise seinen Job aufgeben würde, darüber habe er sich noch keine Gedanken gemacht.
Oberbürgermeister Manfred Wilde (parteilos) in Delitzsch zählt zu den sehr netzwerkaktiven Nutzern und setzt sich mit seiner Meinung bei Facebook bewusst einer breiten Öffentlichkeit aus. Wenn jemand Unwahrheiten im Netz verbreitet, korrigiert er den Verursacher schon mal mit einer persönlichen Nachricht. "Ich hatte noch keinen Shitstorm mit einem Haufen Kommentare gegen mich", sagte Wilde im September der LVZ. Weil er sich derzeit im Ausland befindet, konnte er aktuell zum Thema nicht befragt werden.
Bürgermeisterin Ines Möller (parteilos) in Wiedemar musste sich zwar schon etlicher Diskussionen stellen, weil in Wiedemar demnächst 60 Flüchtlinge untergebracht werden sollen. "Aber direkte Anfeindungen gab es bislang nicht", sagte sie. Auch per E-Mail sei es bislang überwiegend sachlich zugegangen.
Oberbürgermeister Andreas Kretschmar (parteilos) in Oschatz engagiert sich im "Bündnis für Demokratie, Menschlichkeit und Toleranz". "Dafür habe ich kein negatives Feedback bekommen." In der jüngsten Stadtratssitzung bezog er Stellung zur Flüchtlingspolitik und sagte, dass die Große Kreisstadt Verantwortung übernehme. "In Oschatz werden weitere 90 Asylbewerber erwartet. Für sie entstehen am Wellerswalder Weg, Nähe Kegelbahn, Häuser in Modulbauweise", erklärte der Oschatzer OBM.