Dresden - Ein Jahr PEGIDA: Zur „Geburtstags“-Kundgebung und zur Gegenveranstaltung „Herz statt Hetze“ werden am Montag in Dresden wieder Tausende Teilnehmer erwartet.
Wir haben den Politikprofessor Dr. Werner J. Patzelt (62) gefragt, welche Fehler im Umgang mit PEGIDA gemacht wurden und wie es mit der Bewegung weitergeht.
MOPO24: Herr Patzelt, letzten Montag tauchte bei der PEGIDA-Demo ein Galgen auf, auch der Ton der Reden wird scheinbar schriller. Droht eine weitere Eskalation?
Prof. Werner Patzelt: Der Ton wird rauer, weil bei denen, die ein Jahr lang zu PEGIDA gegangen sind, das Maß an Verbitterung und Zorn natürlich steigt. Sie haben das Gefühl, die ganze Zeit recht gehabt zu haben, wenn in der Asylpolitik jetzt der Bundestag beschließt, was sie vor einem Jahr schon gefordert haben. Und dafür sind sie als Faschisten und Rassisten beschimpft worden.
MOPO24: War es denn rückblickend falsch, PEGIDA zu kritisieren?
Prof. Werner Patzelt: Mit der Sorge, dass die ganz passive Einwanderungspolitik, wie sie Deutschland so lange betrieben hat, zu nichts Gutem führt, hatten die Pegidianer natürlich recht. Andererseits: Die Kritik am rüden Auftreten von PEGIDA-Rednern und etlichen Demonstranten war und ist in Ordnung. Nur ist doch im Gewand von Kritik gesagt worden, 'Das sind alle Rassisten und Faschisten, die müssen weg von der Straße'. Das ist ein Verdrängenwollen aus dem politischen Diskurs. Diese Reaktion war völlig falsch, und hat PEGIDA erst recht stark gemacht, weil sie zu solidarisierenden Trotzreaktionen führte.
MOPO24: Die Lager von PEGIDA-Anhängern und -Gegnern scheinen unversöhnlich. Wer könnte sie wieder zusammenführen?
Prof. Werner Patzelt: Niemand, dazu ist die Sache zu verkorkst. Eine Chance auf eine Aussöhnung sehe ich erst im Lauf der Jahre, falls die Politik die Probleme in den Griff bekommt. Sie werden am Montag wieder erleben, dass auf Seiten der Gegendemonstranten die Sache nicht minder verhärtet ist.
MOPO24: Chance vertan, also!?
Prof. Werner Patzelt: Ja. Viele hätten vieles besser machen können. Ministerpräsident Tillich hätte bei einer PEGIDA-Demo reden und dabei sagen sollen, wo die Demonstranten Recht oder Unrecht haben. Reale Probleme hätte man versuchen sollen zu lösen. Auch die AfD hatte eine Zeitlang die Chance, die Stimmen der Pegidianer auf sich zu ziehen. Das ist jetzt vorbei. Es wird wohl irgendwann eine rechtsradikale Protestpartei entstehen - weil wir beim Umgang mit PEGIDA politisch einfach zu wenig gekonnt haben.
MOPO24: Man hätte PEGIDA also eher „einfangen“ sollen?
Prof. Werner Patzelt: Man hätte hinhören sollen und sich fragen, „Was bewegt die Leute wirklich?“ Man hätte fragen sollen, „Wo in dem Protest gibt es denn etwas Begründetes?“ Dass die Sorge um die ungeregelte Zuwanderungspolitik begründet war, weiß inzwischen der größte Teil der Republik. Also man hätte den Leuten in möglichst gewinnenderweise erklären müssen, warum jetzt so viele Flüchtlinge kommen - und was man dagegen tut, dass Trittbrettfahrereffekte nicht überhand nehmen. Auf diese Weise hätte man breites bürgerliches Engagement viel nachhaltiger gestärkt als durch selbstgerechte Ausgrenzeritis.
MOPO24: Wird PEGIDA also im zweiten Jahr ihres Bestehens wieder erstarken? Und werden die Parteien dadurch weiter geschwächt?
Prof. Werner Patzelt: Ich weiß nicht, ob es in einem Jahr PEGIDA noch gibt, beziehungsweise PEGIDA mit Lutz Bachmann. Es gibt zwar etliche Bachmann-Fans bei PEGIDA, aber auch andere, die sich fragen: „Was hat er eigentlich erreicht in diesem Jahr? Die ganze politische Wucht, die wir auf die Straße bringen, führte ja zu nichts!“ Zwar hat die Politik viele PEGIDA-Forderungen jetzt faktisch erfüllt, aber selbst damit schafft Bachmann es nicht, politisch zu punkten. Eine andere Frage ist: Gelingt es der Politik, den Zustrom von Asylberwerbern allmählich wirklich zu verringern und die Integrationsprobleme zu lösen? Das würde PEGIDA schwächen.
MOPO24: Falls nicht - würden dann auch die Teilnehmerzahlen bei PEGIDA wieder steigen?
Prof. Werner Patzelt: Das würde erst recht passieren, wenn Leute mit Selbstachtung dem Lutz Bachmann - oder einem möglichen Nachfolger - leichter zuhören könnten. Wenn da eines Tages ein halbwegs vorzeigbarer Typ auftauchen sollte, würde es gefährlich für unser politisches System. Dann funktionierte die Aufforderung erst recht nicht mehr, doch nicht „einem Bachmann“ hinterherzulaufen. Vor einer solchen Entwicklung warne ich seit über einem Jahr. Aber die Mehrheit wollte - und will - die Sache ja falsch handhaben.
MOPO24: Ist das jetzt eine späte Genugtuung für Sie? Sie wurden ja mal als „PEGIDA-Versteher“ gebrandmarkt.
Prof. Werner Patzelt: Was heißt gebrandmarkt? Ja, ich habe verstanden, worum es bei PEGIDA geht - und wundere mich, warum so viele Leute auch noch stolz darauf sind, dass sie das nicht verstanden haben und deshalb Ratschläge geben, die nichts zum Besseren wenden. Eine politische Genugtuung ist das nicht, allenfalls eine wissenschaftliche.