Bundesrat billigt Gesetzespaket - und die Europäische Union richtet ihre Hoffnungen auf die Türkei
Von André Stahl
Berlin. Die schärferen Regeln im Asylrecht können am 1. November in Kraft treten. Nach dem Bundestag stimmte am Freitag auch der Bundesrat dem geplanten Gesetzespaket zu. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte unterdessen gestern eine schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber aus Deutschland. "Die Belastung durch die große Zahl der Flüchtlinge ist enorm", sagte Merkel beim Deutschlandtag der Jungen Union in Hamburg. Gegen den Widerstand der SPD drang die Kanzlerin darauf, an den deutschen Grenzen Transitzonen für Flüchtlinge einzurichten. "Wir erleben eine außergewöhnliche Situation, in der zeitweilig auch ein außergewöhnliches Mittel hilfreich sein kann", sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Diese seien allerdings "keine alleinige Lösung".
Die Länderkammer billigte folgende im Eilverfahren zwischen Bund und Ländern vereinbarten Maßnahmen mit großer Mehrheit:
Asylrecht: Mit dem Gesetz wird der Bund-Länder-Kompromiss
umgesetzt. Danach sollen Asylregeln verschärft, Verfahren beschleunigt
und der zügige Bau von Unterkünften ermöglicht werden. Menschen, die
langfristig in Deutschland bleiben dürfen, sollen besser integriert
werden. Auch Albanien, der Kosovo und Montenegro gelten fortan als
"sichere Herkunftsländer". Asylbewerber aus diesen Ländern können
schneller abgeschoben werden. In Erstaufnahmeeinrichtungen werden
Bargeldzahlungen weitgehend durch Sachleistungen ersetzt. Wer aus
wirtschaftlichen Gründen, aber nicht wegen politischer Verfolgung oder
Krieg einreist, kann schneller abgeschoben werden.
Minderjährige Flüchtlinge: Die Verteilung minderjähriger,
unbegleiteter Flüchtlinge orientiert sich künftig an den Bedürfnissen
der Kinder und Jugendlichen. Diese werden nun gleichmäßig in Deutschland
verteilt. Bislang mussten sie in der Stadt bleiben, in der sie
eingereist waren.
Nachtragsetat: Der Bundesrat billigt den Haushalt. Damit
verdoppelt der Bund seine Flüchtlingshilfe 2015 auf 2 Milliarden Euro.
Von 2016 an übernimmt der Bund für jeden Flüchtling eine Pauschale von
670 Euro pro Monat. Zusammen mit weiteren finanziellen Zusagen für den
Wohnungsbau und die Betreuung unbegleiteter Minderjähriger sollen die
Länder 2016 um mehr als 4 Milliarden Euro entlastet werden.
Grüne stimmen zu: Die Grünen stehen vor einer Zerreißprobe:
Führende Bundespolitiker der Partei haben vor der Reform gewarnt, weil
damit Abschiebungen leichter werden. Die Gesetzesverschärfung konnte
aber nur den Bundesrat passieren, weil mehrere Länder mit
Grünen-Regierungsbeteiligung zugestimmt haben - so Baden-Württemberg,
Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.
Niedersachsen (rot-grün) und Brandenburg (rot-rot) enthielten sich.
Annäherung an die Türkei: Beim EU-Gipfel, der bis zum frühen
Freitagmorgen dauerte, war eine Verständigung mit der Türkei vereinbart
worden. Hintergrund ist, dass sich in der Türkei rund zwei Millionen
syrische Flüchtlinge aufhalten. Von der EU will die Türkei eine
Finanzhilfe von 3 Milliarden Euro, das ist dreimal so viel wie von der
EU bisher geboten. Im Gegenzug soll die Türkei die Migranten, die über
die türkische Grenze nach Bulgarien und Griechenland in die EU kommen,
wieder aufnehmen müssen. Zudem will die EU der Türkei versprechen, die
ruhenden Gespräche über einen EU-Beitritt der Türkei wieder aufzunehmen.
Sollte Merkel bei ihrem Besuch in Ankara Signale in diese Richtung
aussenden, dürfte Präsident Recep Tayyip das in politisches Kapital im
Wahlkampf ummünzen. Die Türkei wählt Anfang November ein neues
Parlament.
Flüchtling an Bulgariens Grenze erschossen
Bulgariens Grenzpolizei hat einen Flüchtling im Grenzgebiet zur Türkei erschossen. Zu dem tödlichen Zwischenfall kam es laut Polizei, als die Polizisten eine Gruppe von 54 Männern stoppen wollte.
Die Migranten seien illegal aus der Türkei eingedrungen und damit
über die EU-Außengrenze. In dem Abschnitt sei der Grenzzaun beschädigt.
Die jungen Männer, nach ersten Erkenntnissen aus Afghanistan, hätten
Widerstand geleistet, sagte ein Kommissar.
Ein Grenzpolizist habe nach eigener Darstellung einen Warnschuss
in die Luft gefeuert, der aber den Flüchtling tödlich getroffen habe.
Ermittlungen sollen die genauen Umstände klären.
Der bulgarische Regierungschef Bojko Borissow war wegen des
Vorfalls vorzeitig vom EU-Gipfel in Brüssel abgereist. Es ist der erste
tödliche Vorfall mit einem Migranten in Bulgarien. Das ärmste EU-Land
liegt nicht auf der aktuellen Balkanroute von Flüchtlingen aus
Krisengebieten nach Deutschland.
Ungarn riegelt auch die Grenze zu Kroatien ab
Budapest. Ein weiterer Weg für den Flüchtlingszustrom in Europa wird abgeriegelt: Ungarn hat in der Nacht zu Sonnabend die Grenze zum EU-Nachbarn Kroatien geschlossen. Das verstärkt den Trend zur nationalen Abschottung in der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.
Ungarn blockiert die rund 300 Kilometer lange Grenze, um die
ungehinderte Einreise von Zuwanderern zu verhindern. Das erklärte
Außenminister Peter Szijjarto. Einen Monat zuvor hatte Ungarn die Grenze
zu Serbien mit einem Zaun abgeriegelt und damit Zehntausenden
Flüchtlingen und Migranten die Weiterreise nach West- und Nordeuropa
erschwert. Über Kroatien kommen täglich Tausende Flüchtlinge an die
ungarische Grenze. Von dort bringen Mitarbeiter ungarischer Behörden sie
an die Grenze zu Österreich.
Mit der Entscheidung in Budapest wird der Flüchtlingsstrom über die
Balkanroute unterbrochen. Tausende dürften sich jetzt neue Wege über das
Euroland Slowenien im Norden Kroatiens suchen. Der EU-Gipfel habe keine
Entscheidung gebracht, die den Schutz der EU-Außengrenzen möglich
mache, obwohl dies die beste Lösung gewesen wäre, sagte der
Außenminister nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts mit
Ministerpräsident Viktor Orban in Budapest. Zugleich werde weiter
erwartet, "dass Ungarn die Schengen-Regelungen einhält". Gemeint ist
damit, dass Ungarn als erstes sicheres Herkunftsland der EU eigentlich
alle Flüchtlinge aufnehmen, registrieren und bei sich unterbringen muss.
Sein Land reagiere jetzt darauf mit der Sperrung der kroatischen
Grenze, erklärte Szijjarto. Für Asylanträge würden an der Grenze zwei
Transitzonen eingerichtet.
Die Voraussetzungen zur Grenzschließung seien gegeben, sowohl die
physischen Sperren als auch die personellen Ressourcen, sagte Szijjarto.
Die regulären Grenzübergänge blieben passierbar, aber es gebe strengere
Kontrollen. Man habe Kroatiens Botschafter sowie die Außenminister
Deutschlands, der Slowakei, Tschechiens und Polens unterrichtet. Bisher
waren die vor allem aus Syrien, Afghanistan und Pakistan kommenden
Flüchtlinge von der Türkei über Griechenland, Mazedonien, Serbien und
Kroatien nach Ungarn gereist. Ungarns Behörden hatten sie weiter an die
Grenze zu Österreich transportiert, die sie zu Fuß überquerten. Von dort
ging die Reise meist weiter nach Deutschland. Allein am Donnerstag
waren so knapp 5000 Flüchtlinge über Kroatien nach Ungarn gekommen.