Nach MDR-Bericht über teure Pläne für Schkeuditzer Asylbewerber-Unterkunft sprechen Kreisräte von "Sittenwidrigkeit"
VON OLAF BARTH
Schkeuditz. Ist der Landkreis Nordsachsen bei
der Suche nach einer weiteren Unterkunft für Asylbewerber über den
Tisch gezogen worden? Davon geht zumindest ein am Dienstagabend
ausgestrahlter MDR-Bericht über ein Haus in der Schkeuditzer
Edisonstraße aus. Denn dem Sender war ein Vertrag zugespielt worden, in
dem das Landratsamt für zehn Jahre festgeschrieben dem Betreiber der für
alleinstehende Männer gedachten Unterkunft monatlich über 70000 Euro
zahlen soll, was sich laut MDR in den zehn Jahren auf rund 8,5 Millionen
Euro an Steuergeldern summiert.
Die Information, dass der
Landkreis 60 Asylbewerber in dem Mehrfamilienhaus unterbringen will,
hatte der Schkeuditzer Oberbürgermeister Jörg Enke (Freie Wähler) schon
im März dieses Jahres an die Stadträte weitergegeben. Bestätigt wurde
das vom LRA-Pressesprecher Rayk Bergner, der da auch erwähnte, dass man
sich in Vorverhandlungen befinde. Im August dann bestätigte
Ordnungsdezernentin Angelika Stoye, dass die Verhandlungen noch liefen,
erste Zwischenergebnisse aber erzielt wurden. Welcher Art die waren,
ließ sie offen. Auf mehrere Nachfragen der LVZ zum Objekt reagierte das
LRA immer wieder nur mit dem Hinweis auf "laufende Verhandlungen".
Selbst die letzte Anfrage vom Donnerstag vergangener Woche beantwortete
die LRA-Pressestelle noch am Tag der Ausstrahlung des MDR-Berichtes
damit, dass es zum Thema keine Informationen gebe.
Dem war aber
nicht so: Denn bereits am 24. September ist jener Vertrag, der jetzt
hohe Wellen schlägt, unterschrieben worden. Wie Landrat Kai Emanuel
(parteilos) gestern auf Anfrage der LVZ mitteilte, sei der Druck,
Asylsuchende im Landkreis menschenwürdig unterzubringen, enorm
gestiegen. "Wir müssen unsere Anstrengungen erhöhen und sind bestrebt,
auch interne Verfahren zu verkürzen", erklärte Emanuel. In dem
Zusammenhang sei die Vertragsprüfung im Fall Edisonstraße ähnlich
verlaufen wie bei anderen Verträgen. Nur dass bei anderen Verträgen der
Betreiber bekannt gewesen ist und deshalb nicht gesondert geprüft wurde.
So wurde auch bei der noch unbekannten Firma anthrop.ma GmbH verfahren.
"Der Betreiber ist von uns nicht überprüft worden", gibt Emanuel ein
Versäumnis zu.
Aktuell sind in Nordsachsen 1378 Asylsuchende in
zentralen Unterkünften des Landkreises in Delitzsch, Rackwitz, Oschatz,
Torgau und ab nächster Woche auch in Dölzig untergebracht. Der
Tagessatz, den Nordsachsen an die Betreiber zahlt, unterscheide sich
dabei. Konkret benennen will der Landrat die Sätze auf Nachfrage der LVZ
aber nicht. Den Satz, der laut MDR im Vertragswerk für die geplante
Schkeuditzer Unterkunft mit 35,70 Euro pro Tag und Asylsuchendem
verankert ist, könne mit Tagessätzen anderer Einrichtungen nicht
verglichen werden. "Man muss ja auch sehen, was man für eine Leistung
erhält", sagte Emanuel. So würden unterschiedliche Kostenbestandteile zu
den Sätzen führen. "Neben den Betreibungskosten gehören dazu auch
Hausmeisterkosten oder die anteiligen Gebäudekosten", erklärte der
Landrat.
Gerade letztere Kosten dürften in der Edisonstraße
tatsächlich recht hoch sein, da das Gebäude bei einem Brand 2013
beschädigt wurde und laut MDR für rund 450000 Euro saniert werden muss.
"Die Sanierungskosten sind in dem Tagessatz enthalten, liegen nach
Angaben des Betreibers aber deutlich höher", so Emanuel. "Das werden wir
prüfen." Weiterhin sei wichtig, dass die Fixkosten der Einrichtungen
bei größeren Unterkünften mit etwa 250 Personen andere Bedeutung haben
als in Einrichtungen mit 60 zu betreuenden Personen.
Die
ungewöhnlich lange Dauer des Vertrages über zehn Jahre bestätigte
Emanuel und verteidigte sie. "Ich finde die Lage der Unterkunft sehr
gut. Mit der Nähe zum BSZ haben wir auch Möglichkeiten, zum Beispiel
Sprachkurse anbieten zu können", sagte der 47-Jährige. Außerdem sei die
Anbindung an die Infrastruktur sehr gut. Auf Flüchtlingsströme wolle der
Landkreis flexibel reagieren und habe sich bei Schkeuditz für eine
längere Vertragslaufzeit entschieden.
Den Vertrag oder besser die
vom Betreiber aufgeführten Kalkulationen sowie den Betreiber selbst
wolle man sich jetzt noch einmal genau anschauen. "Es ist noch nichts
passiert. Der Vertrag wird erst gültig, wenn die Einrichtung betrieben
wird", sagte Emanuel. Er wolle sich mit dem Betreiber zu Gesprächen
treffen. In den nächsten Wochen sollen Unklarheiten aus dem Weg
geräumt sein.
In dem MDR-Beitrag bezeichnete die Landtagsabgeordnete
Petra Zais den Vertrag als Wucher. Jemand würde sich damit eine goldene
Nase verdienen. Die Sprecherin der Grünen für Migration und Asyl hoffe
nun, dass die Kreisräte für Transparenz sorgen und daraus ein
öffentliches Thema machen. Noch nicht alle kannten gestern den Vorgang,
einige aber schon. Michael Friedrich zum Beispiel, Fraktionschef der
Linkspartei im Kreistag, plädierte gegenüber der LVZ dafür, zu
überprüfen, ob sich hier jemand die Not der Flüchtlinge zunutze macht.
"Wenn die genannten Zahlen stimmen, scheinen mir diese weit überzogen.
Völlig unverständlich ist mir die Zehn-Jahres-Frist, dafür gibt es
überhaupt keinen Anlass", meinte Friedrich. Auch bezüglich der
Seriosität der Betreiberfirma habe er Zweifel, wenn diese sich
Nachfragen von Journalisten entzieht: "Es ist sicher legitim, einen
Gewinn machen zu wollen, doch die genannten Summen halte ich für
sittenwidrig." Die Frage sei nun, wie man da wieder rauskommen kann,
denn Vertrag sei Vertrag. Der 64-Jährige hält Konsequenzen für nötig:
"Die Betreiberverträge müssen künftig auch im Vergabeausschuss oder im
Kreistagsausschuss behandelt werden, um die Prüfung auf breitere
Grundlagen zu stellen. Das werde ich im Ältestenrat anregen."
Nicht
nur künftige, sondern auch alle bisher abgeschlossenen Betreiberverträge
will jetzt Heiko Wittig unter die Lupe nehmen. Der 51-Jährige führt die
gemeinsame Fraktion der SPD/FDP und Grünen an. "Das Beispiel lehrt,
dass Vertrauen in die Verwaltung gut, Kontrolle aber besser ist.
Bezüglich des jetzt zur Debatte stehenden Vertrages, den ich im
Vergleich zu anderen für sittenwidrig halte, ist zu klären, wie es dazu
kommen konnte. Ebenso, welche Änderungen möglich sind und wer diese
Betreiberfirma ist", sagte Wittig. Die angefragten Vertreter der
CDU-Fraktion waren gestern nicht erreichbar. Der Schkeuditzer
Oberbürgermeister Jörg Enke, der für die Freien Wähler zugleich im
Kreistag sitzt, wollte sich zu dem Sachverhalt nicht äußern, da er den
Vertrag nicht kenne.