SPD-Ortsverein nimmt sich Dulig zur Brust

Erstveröffentlicht: 
14.10.2015

Flüchtlingskrise: Position des Parteichefs scharf kritisiert

 

VON JüRGEN KOCHINKE


Dresden. Der Aufruf hat eine knappe Überschrift, darunter geht es zur Sache. "Unsere Grundwerte sind nicht verhandelbar" lautet der Tenor, im Text greifen die Verfasser unverblümt ihre eigene Parteispitze an. "Es geht gegen jedes sozialdemokratische Verständnis innerparteilicher Demokratie, dass SPD-Kabinettsmitglieder auf Bundes- oder auch Landesebene Grundwerte unserer Partei öffentlich zur Disposition stellen", heißt es dort. Dann nehmen sich die Autoren SPD-Landeschef Martin Dulig zur Brust. Forderungen, schreiben sie, "die Flüchtlingswelle einzudämmen, sie zeitweise zu stoppen", seien inakzeptabel. "Sätze wie diese sind es, die uns kopfschüttelnd zurücklassen."


Der Aufruf stammt vom SPD-Ortsverein Dresden Neustadt und sorgt jetzt für reichlich Wirbel, auch weil er gegen Landeschef und Wirtschaftsminister Dulig zielt. Schließlich war er es, der in seiner Festrede zum 3. Oktober im Landtag seine bisherige Haltung zur Asyl-Krise und Willkommenskultur korrigiert hat - und dabei genau jene Worte benutzte. "Wir müssen die Flüchtlingswelle eindämmen", hatte er gesagt, "ja, sie zeitweise stoppen". Nur so sei ein menschenwürdiger Umgang mit Flüchtlingen zu erreichen.


Daran hatte es schon vor Tagen Protest aus SPD-Reihen gegeben. So hatten die sächsischen Jusos Dulig umgehend angezählt, und auch die SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration meldete sich unter der Überschrift "Flucht-Ursachen bekämpfen, nicht Flüchtende" kritisch zu Wort. Jetzt aber sammelt sich der Protest. So war gestern zu beobachten, wie die Zahl der Unterstützer des Appells des Dresdner Ortsvereins im Internet fast im Minutentakt anstieg - darunter sogar SPD-Mitglieder aus Vorpommern/Rügen sowie Hannover. Am späten Nachmittag hatten bereits mehr als 60 unterschrieben.


Auch zwei prominente SPD-Mitglieder aus dem Freistaat sind mit dabei. Beide sitzen als Abgeordnete im sächsischen Landtag, sie heißen Sabine Friedel und Henning Homann. "Es stünde der SPD gut zu Gesicht, beim Thema Hilfe für Menschen in Not mindestens so klar zu stehen wie Angela Merkel", sagte Friedel gestern auf Anfrage mit Blick auf die Bundeskanzlerin vom Koalitionspartner CDU. Homann wiederum ist sogar SPD-Fraktionsvize und verweist auf das im Grundgesetz festgelegte Recht auf Asyl. "Das ist eine rote Linie", sagte er gestern. Zwar unterschreibe er "nicht jeden einzelnen Satz in dem Aufruf". Er nehme aber den Wunsch der Parteibasis wahr, "mehr in Entscheidungsprozesse eingebunden zu werden". Letzteres steht auch genau so im Aufruf. "Wir als SPD-Neustadt verlangen von unseren Kabinettsmitgliedern und Mandatsträgern die verstärkte Rückkopplung mit der Parteibasis", heißt es dort. "Einigkeit kann nicht von oben bestimmt werden, sondern muss innerparteilich ausgehandelt werden."