Seit 2013 kümmert sich Lutz Thielemann darum, dass sich Firmen in der Region ansiedeln, lockt mit seinem Team Fachkräfte an, rührt die Werbetrommel. Wie das geht, was das bringt und was dabei stört, erklärt der Chef der Invest Region Leipzig im Interview.
Erzählen Sie mal in drei Sätzen, wozu die Invest Region da ist.
Es geht um die Akquisition von Unternehmen für arbeitsplatzschaffende
Investitionen in der Region Leipzig und um die Gewinnung von Fachkräften
in Mangelbereichen. Das erreichen wir über klassischen Vertrieb und ein
aktives Standortmarketing via Werbung, PR und Online-Marketing. Der
Schwerpunkt ist die aktive Ansprache von nationalen und internationalen
Unternehmen für Erweiterungsinvestitionen in unserer Region.
Welche Erfolge können Sie vorweisen?
Wir knüpfen Kontakte, betreuen diese intensiv und übergeben sie nach
einer Ansiedlungsentscheidung an die Wirtschaftsförderungen in Stadt und
Landkreisen. Ansiedlungen sind also gemeinsame Erfolge von uns und den
Ämtern. Wir haben aktuell 135 Unternehmen als Ansiedlungsinteressenten
generiert, allein 40 im ersten Halbjahr 2015. Aus diesem Potential
sollen mittelfristig Entscheidungen reifen. Oft dauert ein solcher
Prozess ein bis anderthalb Jahre. Konkret gibt es sechs Unternehmen, die
sich in unserer Begleitung bisher angesiedelt haben.
Was sind das für Unternehmen?
Firmen im Bereich IT- und E-Commerce, internationale
Ingenieursunternehmen mit Fokus auf Kunststoffe und Automotive, ein
Logistik- und ein Fertigungsdienstleister. Es gibt für das laufende Jahr
zwei weitere Unternehmen, bei denen wir guter Dinge sind, dass es
klappt.
Was spricht für die Region?
Die Rahmenbedingungen sind sehr gut. Eine hochmoderne Infrastruktur,
verfügbare Flächen zu vorteilhaften Preisen, eine attraktive
Förderkulisse, eine hohe Produktivität und die Dynamik einer wachsenden
Region mit rasant zunehmender Einwohnerzahl und überdurchschnittlicher
Lebensqualität.
In welchen Bereichen ist in der Region der Fachkräftemangel am größten?
Bei Ingenieuren, Informatikern, Ärzten im ländlichen Raum, bei Facharbeitern in der Gastronomie, Logistik und Pflege.
Manche Bürger reagieren mit Unverständnis, wenn Sie an polnischen
Autobahnen um Fachkräfte werben und fragen: Wieso bilden wir nicht
eigene Leute aus? Es gibt ja immer noch Arbeitslose...
Es gibt zahlreiche Maßnahmen unterschiedlicher Träger zur Belebung des
Arbeitsmarktes. Wir sind ein Puzzleteil von vielen. Aber es passt nicht
jeder Arbeitssuchende auf die Position, die am Arbeitsmarkt verlangt
wird. Deshalb bemühen wir uns auch überregional um qualifiziertes
Personal. Ärzte oder Mechatroniker aus Bayern oder Baden-Württemberg
sind aufgrund teilweise höherer Lohnstrukturen kaum bereit zu wechseln.
Wir werben um Fachkräfte eher in strukturschwächeren Regionen mit guter
Ausbildungsbasis, aber wenig Unternehmenssubstanz, wie in Mecklenburg
oder auch im polnischen Niederschlesien. Dort besteht die Chance, gut
ausgebildete Leute zu gewinnen. Hierfür bewerben wir unsere
Internet-Börse www.Work-in-Leipzig.de. Darin sind rund 10000 Positionen
gelistet, die täglich aktualisiert werden - gespeist aus verschiedenen
Quellen, vor allem aus Online-Portalen, aus der Arbeitsagentur und von
Internetauftritten regionaler Firmen. Man findet offene Stellen aller
Berufsgruppen von Schkeuditz bis Colditz und von Frohburg bis Torgau.
Funktioniert das?
Durchaus. In strukturschwächeren Regionen gibt es weniger Perspektive.
Das sorgt für Mobilität. Ich bin selbst lange nach Frankfurt/Main
gependelt, um für Nestlé zu arbeiten, da es für mich Mitte der 90er
Jahre hier kaum Möglichkeiten gab. Wenn heute polnische Pendler über die
A2 in Richtung England fahren oder von Breslau nach Süddeutschland,
dann versuchen wir, diese auf unbesetzte Stellen in der Region Leipzig
aufmerksam zu machen, wenn hier in bestimmten Sektoren
Fachkräfteengpässe bestehen. Es gibt zahlreiche gut deutsch sprechende,
erfahrene und qualifizierte Wochenpendler, die bei Arbeitsaufnahme in
unserer Region viele Stunden Fahrzeit sparen könnten, aber dafür mehr
Zeit für die Familie hätten. Und vielleicht siedelt der eine oder andere
sich mit seiner Familie auch an. Ich freue mich, wenn ich auf der
Straße Polnisch höre. Leipzig war über Jahrhunderte eine internationale
Stadt, geprägt durch Händler und Messegäste aus aller Welt, aber auch
durch Zuwanderung. Internationalität gehört zum Gen, zum Markenkern
dieser Stadt.
Ist das noch so?
Es ist weniger geworden durch 40 Jahre teilweiser Isolation.
Deutschlands internationale Plätze sind heute Hamburg, München,
Düsseldorf, Frankfurt am Main und Berlin. Da hat Leipzig noch einen
weiten Weg zu gehen, wenn wir als eine internationale Metropole
wahrgenommen werden wollen.
Legida vermittelt nicht den Eindruck einer weltoffenen Stadt. Wie wirkt sich das aus?
An einem der ersten Legida-Montage hatten wir Journalisten aus Holland
und Großbritannien hier, um die Pressevertreter über Wirtschaftsthemen,
Biocity und die Automobilindustrie zu informieren. Ich präsentierte,
aber die Blicke gingen nach draußen. Und über uns kreisten
Polizeihelikopter, der Markt war voll mit Einsatzkräften und
Demonstranten. In dem Moment hatten wir ein erklärungsbedürftiges
Produkt. Natürlich hakt ein Journalist nach und will wissen, was los
ist. Ich glaube, dass Legida einen extrem negativen Einfluss auf alles
hat: Internationalität, Tourismus, Ansiedlungsaktivitäten und die
Gewinnung von Fachkräften, von Gründern und Talenten. Wir brauchen ein
Maß an Internationalität und Offenheit, damit Impulse in die Stadt
kommen, die Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur beleben.
Sie holen Arbeitskräfte aus strukturschwachen Regionen - und woher
kommen die Unternehmen, bei denen Sie um Ansiedlungen werben?
In Deutschland geht es primär um Baden-Württemberg, Bayern, Hessen.
International um strukturstarke Ballungsräume in der Schweiz, in
Skandinavien, Benelux, Großbritannien, USA, Israel.
Wie sind Sie auf diese Länder gekommen?
Wir haben mit dem Fraunhofer-Institut 2014 analysiert, in welchen
Regionen der Welt das höchste Interesse bestehen könnte, sich im Falle
einer Unternehmenserweiterung in Westsachsen anzusiedeln.
Ist unsere Region strukturstark oder strukturschwach?
Weder noch - dazwischen. Leipzig ist eine wachsende Stadt in einer
dynamischen Region und auf gutem Weg. Die Arbeitsmarktlage entwickelt
sich positiv, auch weil in den letzten 15 Jahren wichtige Ansiedlungen
erfolgt sind und eine Eigendynamik entstand. Andererseits ist die
Situation fragil, da es noch keine selbsttragende Entwicklung und es
noch lange nicht so viele mittelständischen Betriebe wie etwa in
Süddeutschland gibt. Wir brauchen Mittelstand in großer Anzahl, mehr
Breite und Branchenvielfalt in der Struktur. Das bringt Stabilität.
Ist es realistisch, dass wir hier so eine Struktur aufgebaut bekommen?
Die Firmenzentralen mit ihren oft enormen Infrastrukturen sind dort, wo
sie sind - und werden sich mittelfristig nicht wegbewegen, wenn es
keine Veranlassung gibt. Aber Firmen suchen sich aus
Produktivitätsgründen oder Fachkräftemangel weitere
Produktionsstandorte. Da setzen wir an. Es geht um
Erweiterungsinvestitionen.
Es geht also weiterhin um verlängerte Werkbänke.
Diese Werkbänke sind bei vielen Firmen heute produktiver und moderner
als die Ursprungsstandorte und für uns sind sie Wachstumskerne. Außerdem
geht es um Gründungen wie Spreadshirt, Unister, Taschenkaufhaus,
Vita34. Das ist der zweite Weg, den wir gehen müssen. Ich persönlich
glaube nicht, dass man Unternehmenszentralen umsiedeln kann. So etwas
scheitert auch daran, dass die Unternehmer selbst Lokalpatrioten sind
und wie die leitenden Angestellten in großer Zahl an ihre Region
gebunden sind. Konzerne wie Nestlé, Bertelsmann, BASF verlagern nicht
ihre Zentralen. Es braucht Mittelstandsansiedlungen sowie Neugründungen
und hierfür Engagement und Geduld.
Kann man Unternehmen auch im ländlichen Raum rund um Leipzig ansiedeln?
Ja, Auftrag und Mission ist es, für Region und Stadt zu akquirieren.
Ich habe das als Wirtschaftsförderer in Görlitz erlebt, wo wir Schweizer
Weltmarktführer wie die Skan AG ansiedelten. Mit der Invest Region
Leipzig waren wir gerade auf Roadshow in der Schweiz und besuchten
Firmen oft in kleinen Gemeinden, wo sie ihren Ursprung haben. Die
Unternehmer pflegen ein gewisses Understatement, sind bescheiden und
fühlen sich in kleineren Gemeinden wohl. Warum also nicht auch bei uns?
Es kommt auf die Unternehmertypen an. Und es spielt eine Rolle, ob und
wie sich der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde vor Ort selbst um den
Unternehmer kümmert. So etwas kann bei einer Ansiedlungsentscheidung
schwer wiegen.
Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?
Es gibt eine klare Strategie und einen Maßnahmenplan. Wir bearbeiten
Messen und Kongresse in verschiedenen Ländern, gehen auf Roadshows, wir
publizieren Anzeigen in Wirtschaftsmagazinen und betreuen Journalisten
aus aller Welt. Pro Jahr schreiben wir Tausende Angebotsbriefe,
vergangenes Jahr gab es 25000 Mailings und allein 3000 Briefe an
Unternehmer in der Schweiz. Im Juni trafen wir an mehreren Abenden in
Schweizer Gasthöfen mit Unternehmern in kleinen Runden zusammen, während
wir am Tage Firmen besuchten. Eine Mitarbeiterin war knapp drei Wochen
an der US-Ostküste unterwegs, um Netzwerke zu knüpfen, Lobbyisten
kennenzulernen und Unternehmer zu treffen. Ein weiterer Mitarbeiter
bearbeitet zunehmend die skandinavische IT-Szene.
Was macht einen guten Akquisiteur aus?
Flexibilität, Beweglichkeit, Überzeugung und Service. Es geht darum,
investitionsbereite Unternehmer zu finden und zu binden. Das ist
sensibel, kleinteilig und langfristig. Man begegnet Unternehmern mit
Visionen, die nicht nur Basisinformationen brauchen, sondern auch
Fördermittel, Fachkräfte, Fremdkapital, eine geeignete Gewerbefläche und
Partner. Ein Mittelständler erweitert sich vielleicht einmal in seiner
Generation. Da spielen neben harten auch die weichen Faktoren eine
Rolle, wie Ansprache und Betreuungskultur. Wir sind im Kontakt mit einer
Industriefirma, die eine Erweiterung im EU-Raum plant und aktuell fünf
verschiedene Standorte prüft. Es stellte sich heraus: Wir waren die
Einzigen, die das Unternehmen in seinem Schweizer Bergdorf besucht
haben. Und das war wichtig.
Im November organisieren Sie das Weltmarktführerforum in Leipzig? Warum?
Wir erwarten über 200 Teilnehmer sowie als Referenten weltmarktführende
Unternehmen, Konzernmanager, Spitzenpolitiker und Diplomaten. Die
Teilnehmer können dort gut netzwerken. Für uns ist es eine Chance, die
Region bei Entscheidern als dynamischen Wirtschaftsstandort zu
präsentieren. Selbstverständlich sind auch Unternehmer unserer Region
eingeladen. Wir organisieren die Konferenz gemeinsam mit der Leipziger
Foren GmbH und mit Unterstützung von Walter Döring,
Baden-Württembergischer Wirtschaftsminister a. D. Interview: Björn
Meine
www.weltmarktfuehrerforum-leipzig.de